Gravel ist das englische Wort für Schotter und Kies. Der Satz "Der Naturpark Haßberge ist Deutschlands erste Gravel-Region" bezieht sich indes aufs Radfahren. Mit ihm feiert die Radszene derzeit eines ihrer Top-Ziele. Bei Einheimischen hingegen löst das Wort Graveln oft noch Stirnrunzeln aus: Was ist das? Was macht ausgerechnet die Haßberge zum Eldorado? Die Redaktion hat mit zwei begeisterten Bikern gesprochen: Mit Susanne Volkheimer (48), Geschäftsführerin von Haßberge Tourismus (Hofheim), und dem Eichelsdorfer Architekten Jürgen Bergmann (54). Die beiden haben maßgeblich dafür gesorgt, dass es zehn ausgewiesene Gravelrouten durch die Haßberge (bis ins Maintal und den nördlichen Steigerwald) gibt.
Jürgen Bergmann: Graveln ist Fahren, wo immer ich möchte, ohne mir Gedanken machen zu müssen, ob der Weg passt. Ein Gravelbike kann sowohl sportlich genutzt werden als auch zum Cruisen oder zum Bikepacking, also zum Weitwandern mit dem Rad. So gesehen ist Graveln mehr als Rennfahren im Gelände.
Bergmann: Graveln ist eigentlich der Ursprung des Radfahrens. Früher gab es keine asphaltierten Straßen, mit den Fahrrädern musste man überall fahren können. Heute ist Graveln weniger Sport als ein bewusstes Wahrnehmen der Natur, der Umwelt, verbunden mit Kultur und Entschleunigung beim Frischlufttanken. Oder einfach ein Universalrad, um auf die Arbeit oder zum Bäcker zu fahren oder einen Sonntagsausflug zu machen.
Susanne Volkheimer: Ganz klar die Vielseitigkeit. Mit dem Gravelbike macht das Rad fahren auf asphaltierten und besonders auf Schotterpfaden einfach Spaß. Man kann viel tiefer in die Natur eintauchen, die Ruhe genießen und viel entdecken: Burgen mitten im Wald, Fachwerkhäuser, verträumte Auen bis zur Eisdiele auf dem Marktplatz.
Volkheimer: Es gibt abwechslungsreiche Kleinode zu erkunden: von den idyllischen Fachwerkorten bis hin zu geheimnisvollen Burgen und herrschaftlichen Schlössern. Gerade jetzt im Frühjahr, wenn die Schlehen und Obstbäume blühen, ist es einfach wunderschön, hier durch die Landschaft zu graveln. Die Wälder haben nichts Lautes und wer genau hinschaut, entdeckt den Reiz unserer wunderschönen Region. Dazu kommt der Misch- und Buchenwald mit seinen feinsten Schotterpisten und die Naturbadeseen - in die man bei höheren Temperaturen eintauchen kann. Und natürlich die urigen Biergärten und Heckenwirtschaften – hier an der Nahtstelle von Wein- und Bierfranken.
Volkheimer: Wir haben die Routen mit über 700 Kilometern thematisch mit einem Mix aus asphaltierten Rad- und Schotterwegen entwickelt, um die Vielseitigkeit der Gravelbikes nutzen zu können. Natürlich sind die Natur, die Fachwerkorte, die Burgen, die Schlösser und die Einkehrmöglichkeiten am Wegesrand sehr wichtig. Wir möchten als offizielle Instanz gewährleisten, dass die Touren sicher befahren werden können und aus naturschutzfachlicher Sicht nichts gegen die Routenführung spricht.
Volkheimer: Gerade die Gravelbiker und -bikerinnen sind Technologie-affiner und lassen sich auch gerne von GPS-Gerät, Smartphone oder gar Smartwatch durch die Landschaft navigieren. Daher haben wir die Routen entsprechend digital aufgearbeitet. Nichtsdestotrotz ist man niemals vor den Tücken der Technik gefeit. Sei es, dass der Handyempfang weg ist, oder der Akku zu schnell schlapp macht. Da ist es gut, wenn die Route beschildert ist. Dies sind nicht Relikte vergangener Zeiten und dies zeigen auch heute noch alle Studien und Befragungen, dass eine physische Beschilderung gewünscht wird.
Bergmann: Mit dem Mountainbike kann man alle Strecken fahren, man ist halt auf der Straße oder den befestigten Radwegen behäbiger unterwegs als mit dem Gravelbike. Ich rate aber dringend ab, mit dem Rennrad die asphaltierte Straße zu verlassen. Die harten Slickreifen dämpfen nicht, sind zu schmal und versinken im Schotter, haben keinen Grip im Gelände und sind beim Überfahren des kleinsten Steinchens platt. Es wäre also sogar gefährlich, das mit dem Rennrad zu versuchen.
Bergmann: Ein Gravelbike kann gut auf Asphalt und im Gelände fahren, es vereint die Gene von Rennrad und Mountainbike. Die Sitzgeometrie ist aber deutlich anders als bei einem Rennrad, sonst würde man beim kleinsten Wurzelpfad Probleme bekommen.
Bergmann: Ein Mountainbike ist schwerer und träger als ein Gravelbike und hat durch Federung, breite Reifen, breiten Lenker und die Untersetzung Vorteile im Gelände oder beim Trail-Abfahren. Trekkingräder oder Crossräder sind ebenfalls schwerer, haben aber schmale Reifen, oft keine oder nur geringe Federung und sind deshalb eher auf befestigten Wegen zuhause.
Das Gravelbike hat breite Reifen mit mittelgrobem Profil und einem Laufring zum schnellen Fahren auf Asphalt. Die Federung erhält man durch breite Reifen, idealerweise tubeless (Anm. d. Redaktion: ohne Schlauch), so dass bei niedrigem Luftdruck gefahren werden kann, was Unebenheiten dämpft. Generell kann man sagen, dass man mit einem Gravelbike durch den geringeren Kraftaufwand schneller und wendiger unterwegs ist als mit Mountainbike oder Crossrad.
Bergmann: Uneingeschränkt ja. Die Frage muss eher andersrum lauten: Wenn ich ein Gravelbike habe, brauche ich dann noch ein Rennrad oder Mountainbike. Mit einem zweiten Laufradsatz lässt sich ein Gravelbike in ein reinrassiges Rennrad oder ein Hardtail-Mountainbike (Anm. d. Redaktion: ein nur am Vorderrad gefedertes MTB) verwandeln.
Bergmann: Man sollte sich die Frage stellen, was möchte ich damit machen: Soll es ein Alltagsrad sein, das ich überall einsetzen kann. Oder ein Reiserad, mit dem ich eher sportlich unterwegs bin. Grundsätzlich sind die wichtigsten Kriterien: leichter Rahmen, spartanische Schaltung, zum Beispiel ein Kettenblatt vorne, zwölf Ritzel hinten, gute Sitzposition und möglichst viel Reifenfreiheit im Rahmen, um breite Reifen montieren zu können.
Bergmann: Es geht ab 1200 Euro mit Aluminiumrahmen und ordentlicher Ausstattung los. 2500 Euro für ein Mittelklasserad mit Carbonrahmen und 5000 Euro aufwärts für ein Premiumbike mit Titan- oder Carbonrahmen und elektronischen Schaltungen.