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Landkreis Haßberge
Leben mit Demenz-Erkrankten: Pflegende Angehörige aus dem Landkreis Haßberge erzählen ihre Geschichte
Die Geschichten sind vielfältig, von der Pflege im eigenen Haus bis zur Sorge um Menschen im Altenheim. Drei Frauen erzählen, wie sie mit der Situation umgehen.
Wenn die Erinnerung nachlässt: Demenz ist nicht nur für die Betroffenen ein Problem. Auch für Angehörige ist es oft hart, die Veränderung der Persönlichkeit mitzuerleben.
Foto: Sven Hoppe, dpa (Symbolfoto) | Wenn die Erinnerung nachlässt: Demenz ist nicht nur für die Betroffenen ein Problem. Auch für Angehörige ist es oft hart, die Veränderung der Persönlichkeit mitzuerleben.
Peter Schmieder
 |  aktualisiert: 26.09.2024 02:34 Uhr

Mit dem Welt-Alzheimertag am 21. September will die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Situation von Demenzerkrankten und von deren Angehörigen aufmerksam machen. Drei Angehörige aus dem Landkreis Haßberge geben Einblick in ihre Situation. Die Namen hat die Redaktion aus Rücksicht auf die Demenz-Betroffenen geändert.

Eine von ihnen ist Petra Müller. Die 55-Jährige hat zwei pflegebedürftige Elternteile: ihre 86-jährige Mutter, bei der die Demenz so weit fortgeschritten ist, dass sie nicht mehr alleine zurechtkommt, und ihren 89-jährigen Vater, der am Anfang des Krankheitsverlaufs steht. Bei ihm komme die Alterssturheit dazu und die Weigerung, Hilfe anzunehmen.

Mit 86 Jahren auf dem geistigen Stand eines Kindergartenkindes

Die ersten Anzeichen habe Müller bei ihrer Mutter vor etwa fünf Jahren bemerkt. Ende 2023 musste Petra Müllers Vater dann ins Krankenhaus und die Familie wunderte sich, warum die Mutter in dieser Zeit immer mehr abnahm. "Dann habe ich festgestellt: Sie isst nicht mehr", berichtet Petra Müller. "Da ging es mit der Pflege richtig los." Damals habe ihre Mutter nur noch 32 Kilogramm gewogen, mittlerweile sei sie dank Betreuung wieder bei 40.

Geistig habe die 86-Jährige gerade über den Sommer stark abgebaut. "Im Prinzip ist sie auf dem Stand eines Vier- oder Fünfjährigen." Sehr typisch für Demenz: Ihre Mutter erinnere sich noch an Dinge aus ihrer Kindheit, vergesse aber Ereignisse aus späteren Lebensphasen; beispielsweise einen Umzug, sodass die Seniorin oft behaupte, immer noch in ihrem früheren Wohnort zu leben.

"Ich bin an einem Punkt, an dem ich sage: Ich brauche eine Pause."
Petra Müller (Name geändert), Angehörige

Normale Unterhaltungen seien nicht mehr möglich, "nur kurze Sätze und Ja-Nein-Antworten". Ob die Seniorin ihre Angehörigen noch erkennt? Als ihr bekannte Person, ja. "Aber ich glaube, die Zuordnung ist weg, dass ich ihre Tochter bin", sagt Müller.

Von Politik und Krankenkassen im Stich gelassen

Enttäuscht zeigt sie sich von Politik und Krankenkassen, von denen sie sich mehr Beratung und finanzielle Unterstützung wünschen würde. "Man wird als pflegende Angehörige im Stich gelassen", sagt sie. Auf die Frage, wer sich denn um ihre Mutter kümmern könne, wenn sie selbst mal aus gesundheitlichen Gründen ausfällt, habe sie von der Krankenkasse die Antwort erhalten: "Da muss man sich einen privaten Helferkreis aufbauen."

Notwendige Hilfsmittel seien von der Krankenkasse nicht übernommen worden – oder erst nach einem langen Papierkrieg. "Ich bin an einem Punkt, an dem ich sage: Ich brauche eine Pause."

Petra Müller kümmert sich um ihre Eltern, ohne aber selbst mit ihnen in einem Haus zu wohnen – anders als Andrea Schneider. Die 58-Jährige hatte Anfang 2021 ihre Eltern zu sich geholt, als diese aufgrund der fortschreitenden Demenz der Mutter nicht mehr alleine zurechtkamen.

Dinge gesehen, die gar nicht da sind: Wenn im Garten plötzlich ein Pinguin steht

Allerding nur für ein knappes halbes Jahr, denn die körperliche Gesundheit der Seniorin machte immer mehr Probleme. Mehrere längere Krankenhausaufenthalte wurden nötig. Mitte 2021 kam die Erkenntnis, dass Andrea Schneiders Mutter mittlerweile ein Vollpflegefall war. Die berufstätige Tochter konnte sie daher nicht weiter zu Hause pflegen und musste doch einen Platz in einer Pflegeeinrichtung suchen. Ab Juni 2021 lebte die Seniorin im AWO-Heim in Zeil, im März 2024 starb sie im Alter von 87 Jahren.

Etwa ab dem Jahr 2017 habe die Familie gemerkt, "dass Demenz-mäßig was kommen wird", beispielsweise, wenn ihre Mutter Sachen nicht mehr gefunden habe oder geglaubt habe, merkwürdige Dinge zu sehen. Einmal habe die Seniorin gesagt: "Im Garten steht ein Pinguin."

Der Ehepartner im Krankenhaus: Das Alleinsein war nicht gut für die Seniorin

Einen ersten größeren Schub habe es im Mai 2019 gegeben. Da musste Andrea Schneiders Vater für zwei Wochen ins Krankenhaus, die Mutter blieb in der Zeit zu Hause. "Die Angst um ihn, das Alleinsein, das war gar nicht gut für sie." Im Lauf des Jahres 2019 ging es dann gesundheitlich weiter bergab.

Oft ist es für Angehörige eine Belastung, wenn sie mitbekommen, wie sich ein Mensch aufgrund der Demenz verändert.
Foto: Christophe Gateau, dpa (Symbolfoto) | Oft ist es für Angehörige eine Belastung, wenn sie mitbekommen, wie sich ein Mensch aufgrund der Demenz verändert.

Andrea Schneider und ihr Mann versuchten, die Eltern möglichst oft zu besuchen und in ihrem Alltag zu unterstützen. Beispielsweise, indem sie Essen mitbrachten, das der Vater nur noch aufwärmen musste. Die Familie stammt aus einem anderen Bundesland, in dem die Eltern damals noch lebten – rund 200 Kilometer entfernt von Andrea Schneiders Wohnort im Steigerwald.

"Es befällt einen die Angst, wenn sie mal nicht ans Telefon geht."
Andrea Schneider (Name geändert), Angehörige

Weiter erschwert wurden die Besuche ab 2020 durch Corona und die Reise- und Kontaktbeschränkungen. Dennoch fuhren sie und ihr Mann alle zwei Wochen zu den Eltern. Die Zeit zwischen den Besuchen wurde immer mehr zur Belastung: "Es befällt einen die Angst, wenn sie mal nicht ans Telefon geht."

Veränderung der Persönlichkeit macht Angehörigen zu schaffen

Über den Jahreswechsel 2020/2021 und die ersten Januarwochen holte sie ihre Eltern zu sich: Sie wollte testen, wie das Zusammenleben unter einem Dach funktionieren würde. Zu ihrem geistig noch fitten Vater habe sie gesagt: "Wir müssen eine Lösung finden." Im Januar habe er dann festgelegt: "Wir bleiben."

So zogen die Eltern in die Einliegerwohnung im Haus ihrer Tochter. Andrea Schneider ist im Gespräch deutlich anzumerken, wie sehr es sie mitgenommen hat, die Veränderung der Persönlichkeit ihrer Mutter in dieser Zeit zu erleben. "Sie konnte sehr aggressiv werden, auch mit Beleidigungen." Außerdem sei ihre Mutter immer ein penibler und sauberer Mensch gewesen. Da sei der Anblick schwer zu ertragen gewesen, wie sie "mit Butterfingern überall hingefasst" habe.

Oft sei sie desorientiert gewesen. Dennoch habe sie die Familie noch bis zum Schluss erkannt und alle mit Namen angesprochen.

Die Entscheidung fürs Pflegeheim: schlechtes Gewissen, auch wenn es nicht mehr anders ging

Zum Thema Pflegeheim hatte Andrea Schneider ihren Eltern versprochen: "So lange es geht, machen wir das nicht." Als es dann wirklich nicht mehr anders ging, habe Schneider trotz häufiger Besuche im Heim ein schlechtes Gewissen gehabt. "Es macht ja was mit dir."

Eben dieses schlechte Gewissen vieler Angehöriger sieht Henriette Büchner als Problem, denn die Pflege zu Hause sei oft "eine Nummer zu groß". Die 58-Jährige ist daher eine Befürworterin der stationären Pflege. Auch ihre eigene Mutter lebt seit Oktober 2023 in einem Pflegeheim.

"Sie verlieren Gedanken und Erinnerungen, aber was nicht stirbt, sind die Gefühle."
Henriette Büchner (Name geändert), Angehörige

"Sie verlieren Gedanken und Erinnerungen, aber was nicht stirbt, sind die Gefühle", sagt Büchner. "Deswegen spürt ein Dementer, ob ihn ein Angehöriger aus Liebe pflegt oder aus Zwang." So könne es einem älteren Menschen in einer Einrichtung deutlich besser gehen als in einem Zuhause, in dem er als Belastung wahrgenommen wird.

Unterbringung im Heim bedeutet nicht, dass jemand aus der Welt ist

Ihrer Meinung nach müsste sich die Art ändern, wie über stationäre Pflege gesprochen wird. "'Wenn es nicht mehr funktioniert, dann kommst du ins Heim' – das klingt wie eine Bestrafung." Dabei bedeute eine Unterbringung im Heim ja nicht, dass die Familie eine pflegebedürftige Person abschiebt. "Es ist besser, wenn man weiß: Jemand ist gut untergebracht und ich kann ihn jeden Tag besuchen." 

Henriette Büchner ist eine Befürworterin der stationären Pflege. Sie glaubt, dass es Demenz-Betroffenen dort oft besser geht, als in einem Zuhause, in dem sie als Belastung wahrgenommen werden.
Foto: René Ruprecht (Symbolfoto) | Henriette Büchner ist eine Befürworterin der stationären Pflege. Sie glaubt, dass es Demenz-Betroffenen dort oft besser geht, als in einem Zuhause, in dem sie als Belastung wahrgenommen werden.

Bei Büchners Mutter wurde die Demenz im Alter von 80 Jahren auffällig, das war vor vier Jahren. "Sie hat ihre Ohrringe und Schlüssel gesucht. Sie hat Weihnachtsgeschenke, die sie schon im Schrank hatte, nicht mehr gefunden. Sie hatte ein totales Problem, Termine einzuhalten. Und sie hat im Gespräch Dinge vergessen, die schon besprochen waren."

Glück im Unglück: Ein Verlauf ohne Aggressivität und Verdrängung

Auch ihre Familie kommt aus einem anderen Bundesland, die Mutter lebt noch dort – rund 250 Kilometer entfernt von Henriette Büchners heutigem Zuhause im Maintal. Außerdem hat Büchner eine Schwester, die etwa 80 Kilometer von der Mutter entfernt wohnt. Diese war es, die die Mutter überredete, sich testen zu lassen.

Das Ergebnis: Vaskuläre Demenz. "Das war natürlich ein Schock für meine Mutter", sagt Büchner. Glück im Unglück hatte die Familie beim Krankheitsverlauf. "Es gibt Leute, da wird Alzheimer diagnostiziert und nach einem halben Jahr sind sie völlig umnachtet." Bei ihrer Mutter schreite die Erkrankung dagegen langsam voran. "Wir können uns als Angehörige anpassen und gut mitgehen."

Auch zwei andere häufige Probleme seien bei ihr nicht aufgetreten: die häufig beschriebene Aggressivität der Betroffenen und die Verdrängung. "Sie hat es akzeptiert, aber leidet trotzdem darunter."

Von der Kurzzeitpflege zum festen Platz im Heim

Schon vor dem Umzug ins Pflegeheim hatte die Seniorin zweimal täglich eine Tagespflege besucht und den Pflegedienst in Anspruch genommen, auch die beiden Töchter kümmerten sich. Als Henriette Büchners Schwester aus gesundheitlichen Gründen einige Zeit ausfiel, kam die Idee, es mit Kurzzeitpflege zu versuchen.

"Meiner Mutter hat es gefallen", sagt Büchner. "Wir sind dann mit der Leitung so verblieben, dass sie sich bei uns melden, wenn was frei wird."

Viel Kontakt dank Telefon und gegenseitigen Besuchen

Den Platz bekam sie dann auch, und das schneller als gedacht. Für Henriette Büchner ist ihre Mutter damit aber keineswegs aus der Welt. Häufig telefonieren sie, alle zwei Monate fährt Büchner in ihre alte Heimat, um die Mutter zu besuchen, und kann dort auch in deren Zimmer mit übernachten. Und etwa dreimal im Jahr holt sie ihre Mutter für eine Woche zu sich ins Maintal.

"Ich will ihr bewusst Highlights verschaffen", sagt Büchner. Noch könne sie mit ihr normale Gespräche führen. "Mich erkennt sie immer." Und Büchner habe festgestellt, dass ihre Mutter ausgeglichener sei, seit sie im Heim lebt. "Weil sie sich sicher und geborgen fühlt."

Die Gründung einer Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige von Demenz-Erkrankten im Landkreis Haßberge ist in Planung. Ein Treffen findet am 24. September um 14 Uhr im Landratsamt statt. Interessierte können sich anmelden unter Tel.: (09521) 27-378.

 
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