
Beim Gedanken an Arbeitsplätze, die die Lebenshilfe für Menschen mit einer Behinderung zur Verfügung stellt, denken die meisten zunächst an Werkstätten wie beispielsweise in Augsfeld. Allerdings gibt es auch Behinderte, die arbeiten wollen, jedoch mit der Tätigkeit in einer Werkstatt nicht zurechtkommen. Um solche Fälle kümmert sich seit 2014 das Projekt „Mensch Inklusive - Arbeiten miteinander“ der Lebenshilfe.
Julia wohnt in Zeil und arbeitet dort seit etwa einem Jahr im AWO-Altenpflegeheim. „Sie ist ein sehr einfühlsamer Mensch“, beschreibt Pflegedienstleiterin Hilde Hückmann die Kollegin, die ihr von der Lebenshilfe vermittelt wurde. Julias Aufgaben liegen vor allem im hauswirtschaftlichen Bereich auf der Stationsküche. Wenn sie früh kommt, richtet sie zunächst die Tabletts für das Frühstück der Altenheimbewohner, schenkt ihnen den Kaffee ein und bringt ihnen das Essen.
Anschließend muss sie abräumen und die Tische abwischen. Auch für das Mittagessen und den Tee am Nachmittag deckt sie die Tische und macht hinterher sauber. „Wir haben 25 Bewohner auf der Station. Sie kennt sie alle und weiß von jedem, wie er seinen Kaffee mag“, sagt die Pflegedienstleiterin. Auch beim Wäschewechsel hilft Julia und räumt den Heimbewohnern unter anderem die Schränke ein.
Mit den Menschen kann sie gut umgehen. So berichten die anderen Mitarbeiter des Pflegeheims auch, dass manche der alten Menschen traurig sind, wenn die junge Frau mal eine Woche Urlaub hat. Ihre Fähigkeiten im Umgang mit hilfebedürftigen Menschen zeigen sich auch beim Besuch unseres Reporters. Als ein alter Mann nach Julias Hand greift, spricht sie sehr einfühlsam mit ihm, auch wenn andere Arbeiten dafür einen Moment warten müssen.
Dass das nicht ungewöhnlich ist, weiß Peter Pratsch von der Lebenshilfe zu berichten. „Menschen mit Behinderung haben oft eine hohe Hilfsbereitschaft und große Sozialkompetenz“, sagt der Projektleiter von „Mensch inklusive“. Julia ist nicht die einzige Mitarbeiterin, die das Zeiler Altenheim von der Lebenshilfe bekommen hat. Auch eine Praktikantin mit einer Behinderung ist derzeit in der AWO-Einrichtung beschäftigt.
Die Lebenshilfe Schweinfurt ist der größte Werkstattträger in Bayern. Für andere Bereiche ist die Lebenshilfe in den verschiedenen Landkreisen eigenständig, doch was die Werkstätten angeht, sind die Schweinfurter auch für die Landkreise Rhön-Grabfeld, Kissingen und Haßberge zuständig. In diesem Bereich gibt es sechs Werkstätten. Als „siebte Werkstatt“ bezeichnet Peter Pratsch das Projekt „Mensch inklusive“. Diese „Werkstatt ohne Dach“, wie Pratsch sie bezeichnet, vermittelt Mitarbeiter an Unternehmen, in denen sie arbeiten können.
Offiziell bleiben die behinderten Arbeitskräfte Mitarbeiter der Lebenshilfe, die Unternehmen, bei denen sie tätig sind, übernehmen eine Patenschaft. Das Projekt gibt es offiziell seit 2014, die Zeiler Brauerei Göller, die sich als erstes Unternehmen auf einen entsprechenden Versuch einließ, hat bereits seit 2012 einen behinderten Mitarbeiter über die Lebenshilfe beschäftigt.
Pratsch bezeichnet das, was so in den Betrieben passiert, als „gelebte Inklusion“ und berichtet: „Sie identifizieren sich total mit ihrem Betrieb.“ So würde ein Behinderter, der über die Lebenshilfe in ein Unternehmen gekommen ist, sich nicht als „ausgelagerter Mitarbeiter einer Lebenshilfe-Werkstatt“ sehen. „Sie sehen sich eher als Mitarbeiter der AWO oder von Göller.“
Um einen Arbeitsplatz über die Lebenshilfe zu bekommen, muss ein Mensch für den normalen Arbeitsmarkt unvermittelbar sein. Wer über „Mensch inklusive“ in ein Unternehmen gekommen ist, ist also zusätzlich zu den anderen Mitarbeitern dort. „Sie konkurrieren nicht mit anderen auf dem Arbeitsmarkt“, betont Pratsch. „Sie können die Betriebe gut mit Routinearbeiten entlasten“, berichtet er weiter.
Dabei müsse darauf geachtet werden, welche Stärken und Schwächen die Menschen haben. „Wir müssen schauen, was jemand machen kann, nicht, wo er seine Defizite hat“, meint Pratsch. Allerdings lasse sich nicht jeder Behinderte in eine Tätigkeit außerhalb einer der Lebenshilfe-Werkstätten vermitteln. „Es müssen schon Leute sein, die die allgemeinen Arbeitstugenden haben“, sagt Pratsch. Außerdem sei mehr Eigeninitiative nötig, denn während es einen Fahrdienst zu den Werkstätten der Lebenshilfe gibt, müssen die ausgelagerten Mitarbeiter selbst organisieren, wie sie zu ihrem Arbeitsplatz kommen.
„Wir schicken die Leute nicht allein dort hin“, berichtet Peter Pratsch. Von der Lebenshilfe bekommen sie einen Integrationsbegleiter zur Seite gestellt, der unter anderem den nicht behinderten Kollegen einige wichtige Dinge im Umgang mit ihrem neuen Mitarbeiter beibringt. Im Fall des Zeiler Altenheims sind das Diplompädagogin Daniela Mühleck, die für Julia zuständig ist, und Jürgen Götz, der sich um die neue Praktikantin kümmert. Wie oft diese Mitarbeiter in die Betriebe kommen, hängt vor allem davon ab, wie gut die Zusammenarbeit im Unternehmen funktioniert. „Wo es gut läuft, kommen wir einmal in der Woche“, berichtet Pratsch. Wenn dagegen nicht alles glatt läuft, sind mehr Besuche nötig.
Vor Ort gibt es außerdem einen Mitarbeiter, der für den behinderten Kollegen eine Patenschaft und damit eine gewisse Verantwortung übernimmt. Im Fall von Julia ist das Pflegedienstleiterin Hilde Hückmann. „Es muss aber nicht immer die Chefin sein, so wie hier“, betont Peter Pratsch.
30 Menschen sind derzeit im Zuständigkeitsbereich der Lebenshilfe Schweinfurt über das Projekt „Mensch inklusive“ in verschiedenen Unternehmen tätig – Tendenz steigend. Ab 1. Juni soll es außerdem in der Hofheimer Straße in Haßfurt ein Regionalbüro mit Verwaltungs- und Schulungsräumen geben.