Es ist Dienstag, 9 Uhr. Ein Bus des Bayerischen Roten Kreuzes fährt die Hauptstraße in Untersteinbach entlang, biegt dann links ab. "Tagespflege" steht auf dem Schild am Ziel. Acht vergnügte Damen und Herren steigen aus, hängen ihre Jacken an die Garderobe und machen es sich rund um einen gedeckten Tisch gemütlich. In freudiger Erwartung harren sie dem, was da kommen mag.
Kaffee, Tee, Brötchen, Hörnchen. Julia Bulheller war soeben noch Busfahrerin, nun schmiert sie Brötchen, schenkt Getränke ein. Später am Vormittag wird die 43-jährige noch Chorleiterin sein, Geschichten vorlesen, aufräumen. Stets mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht.
Am Ziel angekommen: "Die Einrichtung ist unser Baby"
Die gelernte Altenpflegerin scheint an ihrem persönlichen Ziel angekommen. Gemeinsam mit Carina Küfner (34) hat sie sich vor zwei Jahren auf den Weg gemacht, die Tagespflege ins Leben zu rufen. "Die Einrichtung ist unser Baby", sagen sie. Küfner leitet den Pflegedienst, Bulheller ist ihre Stellvertreterin. Sie haben die Gebäudeplanung begleitet, die Einrichtung ausgewählt. Lichtdurchflutet sollte das Haus werden, mit mehreren Räumen zum Kommunizieren, Verweilen und Entspannen.
Am 15. November wurde die Einrichtung nun offiziell eröffnet. Ihre Tagespflegegäste, erklärt Küfner, kommen aus einem Umkreis von circa 20 Kilometern, werden ab 7 Uhr abgeholt und treten um 16 Uhr den Heimweg an. Es sind Menschen, die einer Pflege bedürfen, aber noch mobil genug sind, um einen ganzen Tag außerhalb ihrer eigenen vier Wände verbringen zu können. Sei es, damit ihre Angehörigen einige Stunden lang eigene Wege gehen können, oder auch, damit sie ihrer Einsamkeit entkommen.
Für Josef Wawroschek geht in der Tagespflege "die Sonne auf"
Hierzu zählt Josef Wawroschek. Der 91-Jährige stammt ursprünglich aus Schlesien, die Liebe führte ihn nach Knetzgau, vor sechs Jahren musste er seine Frau zu Grabe tragen, nach 63 Jahren Ehe. Der ehemalige Angestellte der Landesversicherungsanstalt hätte stets zurückgezogen gelebt, war seinen Worten zufolge "nie ein Vereinsmeier"; auch die Kirche habe ihn nicht angezogen. Die Tochter wohne in Fulda, käme gelegentlich zu Besuch.
Nun fühle er sich in Knetzgau relativ einsam. Die "sehr liebe Frau Just", seine Tagespflegerin, habe ihn ermutigt, doch einmal die Einrichtung aufzusuchen. Zweimal in der Woche käme er seitdem nach Untersteinbach, "da geht die Sonne auf". Hier empfinde er Wärme, Geborgenheit, fühle sich richtig wohl. "Frau Bulheller hat so etwas Verbindendes", sagt er. Auch wenn er bisher niemanden aus der Gruppe näher kenne, sei ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu spüren.
Welche Gäste passen zusammen – und welche nicht?
Julia Bulheller sieht hierin einen wesentlichen Aspekt ihrer Arbeit. Sie überlässt nichts dem Zufall. "Gäste, die zueinander passen, werden zusammengeführt." Wo Gefahr besteht, dass Spannungen auftreten, teilt sie die Gruppe. "Man muss spontan agieren", ist ihre Devise. Sie habe mittlerweile eine begnadete Schachspielerin unter ihren Gästen, und so sehe sie ihre Aufgabe darin, ihr nach Möglichkeit ein geeignetes Pendant zur Seite zu stellen.
Montag und Mittwoch, berichtet sie, seien die begehrtesten Tage. Für 15 Tagesgäste sei die Einrichtung ausgelegt, mittwochs kämen aktuell zwölf Personen. Manche ihrer Schützlinge hätten beachtliche Anlaufschwierigkeiten. Sie seien so in Einsamkeit verharrt, dass ihnen eine Umstellung schwerfiele.
"Mensch ärgere Dich nicht" ist und bleibt der Renner
Die Balance zwischen Geselligkeit und Zurückgezogenheit zu finden, sei ein langandauernder Prozess, doch sie sehe Menschen aufblühen, beobachte, wie sie sich öffnen und die Gesellschaft genießen. Professionelle Unterstützung diene beispielsweise dazu, Demenzerscheinungen entgegenzutreten, und Spiele förderten das Gedächtnis. "Sprichwörter erkennen" sei ein solches Spiel. Doch der Renner ist und bleibt "Mensch ärgere Dich nicht".
Der Vormittag ist mittlerweile fortgeschritten, nun ist Kochen angesagt. Zwei Männer und eine Frau helfen. Schälen Kartoffeln, schlagen Eier auf. Mittagessen vorbereiten und Kuchen backen geht Hand in Hand. Nach dem Essen folgt ein Ruhepäuschen, Zeitung lesen, spätestens am Kaffeetisch trifft man sich wieder.
Küfner und Bulheller haben noch viele Pläne, sprühen vor Elan: "Die Männer haben es nicht so mit dem Basteln, für sie besorgen wir eine Werkbank." Diese Vorliebe für handwerkliche Tätigkeiten kann einer der Gäste gleich am nächsten Tag ausleben: Das Vogelhäuschen, das Küfner und Bulheller vor dem Fenster der Einrichtung aufgestellt haben, ist nicht stabil genug, und so kommt ein Akkuschrauber zum Einsatz. Sobald das Wetter es zulässt, werden die Türen geöffnet, Terrasse und Ruhebänke warten auf ihren Einsatz. Ausflüge werden geplant.
Pro Gast bleibt eine tägliche Eigenbeteiligung von gut 30 Euro. Geöffnet ist von Montag bis Freitag, einzelne Tage sind buchbar. Die Gäste werden abgeholt, bekommen Frühstück, Mittagessen und Kuchen. Überwiegend sind es Männer, die das Angebot in Anspruch nehmen. Ab 16 Uhr geht es langsam wieder Richtung Garderobe. Ein erfüllter Tag neigt sich dem Ende zu, doch zehren können die meisten noch lange von dem Erlebten.