Eine abgelegene Unterführung in der Nähe eines Bahnhofs im Landkreis Haßberge. Hier unter der Autobahnbrücke soll sich vor eineinhalb Jahren ein filmreifes Geschehen abgespielt haben. Der Angeklagte und ein unbekannter Begleiter sollen zwei damals 16-jährige Schüler bedroht haben.
Einem der beiden sollen sie unmissverständlich klargemacht haben, er solle sofort loslaufen und eine größere Menge "Gras" besorgen. Sonst bekämen beide einiges "auf die Fresse". Es sollen sogar ein Messer und eine Schusswaffe im Spiel gewesen sein. Der andere Teenager bleibe als Faustpfand da. Den könne er später wieder "mitnehmen". Dann soll sich der "Läufer" auf den Weg gemacht haben, um eine Packung Marihuana zu holen. Staatsanwalt Michael Demling geht davon aus, dass die Drogen von einem Großdealer aus den Haßbergen stammen. Nach einer dreiviertel Stunde soll der "Läufer" zurück gewesen sein – mit der gewünschten Ware.
Racheakt aus Drogenmilieu vermutet
Zum Auftakt des Verfahrens vermutet der Beschuldigte hinter allem einen Racheakt im Drogenmilieu. Wenige Monate vor dem angeblichen Vorfall habe er begonnen, für die Kriminalpolizei Schweinfurt zu arbeiten. Als "Vertrauensperson", umgangssprachlich auch "Polizeispitzel" genannt, habe er sich in der Szene umgehört und Kontakte geknüpft, um an den oben erwähnten Großdealer heranzukommen. "Ich wollte meinen Job gut machen", so der Angeklagte.
Doch schon bald, als er dafür sorgt, dass ein anderer "großer Fisch" ins polizeiliche Netz geht, werden die noch frei herumlaufenden Kriminellen misstrauisch. "Es kam schnell auf, dass ich für die Polizei arbeite". Er wird ein Opfer seines Erfolges, als auch der Großdealer hinter Gitter wandert. Vollends zur Gewissheit wird es, dass Beschuldigte aufgeflogen ist, als er im Dezember 2022 als Belastungszeuge am Landgericht Bamberg aussagt. Danach häufen sich die Drohungen, Anfeindungen und körperlichen Übergriffe. "Es wurde am Ende immer schlimmer und schlimmer".
Großes Schweigen im Zeugenstand
Im Prozess scheint sich diese Geschichte zu bewahrheiten. Keiner der Zeugen belastet ihn wegen der Geiselnahme, der räuberischen Erpressung oder des Drogenhandels mit nicht geringen Mengen, obwohl sie alle bei der polizeilichen Vernehmung noch ganz anders ausgesagt hatten. Der Großdealer weiß im Zeugenstand gar nichts mehr. "Ich war auf Drogen, auch in der Haft, und habe keine Erinnerungen daran".
Einer der Teenager verweigert wegen eines eigenen Gerichtsverfahrens die Aussage komplett. Das darf er, um sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen. Und der andere Jugendliche formuliert so vorsichtig, dass sich die Drohung mit Schlägen, einem Messer und einer Schusswaffe ebenso in Luft auflösen wie die Geiselnahme. Und dann stellt sich heraus, dass der "Läufer" das Marihuana offenbar gar nicht aus der Wohnung des Großdealers geholt hat, sondern aus einem Versteck in einer Tiefgarage in Eltmann.
Seit vier Monaten in Untersuchungshaft
Am Ende muss Richter Markus Reznik in der Strafprozessordnung nachsehen. Denn eine Einstellung des Verfahrens gibt es in seiner Dritten Strafkammer nur alle zehn Jahre. Für eine Geiselnahme, eine räuberische Erpressung, den Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen und das Bestimmen, Drogen an zwei Minderjährige abzugeben, fehlen die notwendigen Beweise. Was bleibt ist allenfalls, dass der Angeklagte sich Rauschgift verschafft hat. Eine Bagatelle, die dadurch aufgewogen wird, dass er bereits seit vier Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Am Ende verlässt der Beschuldigte das Landgericht als freier Mann.