Damit es die Presse nicht falsch versteht: "Hier demonstriert heute das Handwerk, nicht die Bauern", erklärt ein Ordner dem Reporter am Samstagmorgen auf dem Marktplatz in Haßfurt. Warum dieser Unterschied so wichtig ist, verrät ein Banner auf der Kühlerhaube eines zu Demonstrationszwecken abgestellten Firmenfahrzeugs: "Nicht nur der Bauer ist in der Not – Auch das Handwerk ist bald tot" steht hier, gefolgt von der Forderung: "Die Ampel muss weg."
Der Mittelstand hat "die Schnauze voll"
Beobachterinnen und Beobachter würden eher von einer gemeinsamen Aktion ausgehen: Rund um den Marktplatz stehen nicht nur Fahrzeuge insbesondere von auf dem Bau tätigen Unternehmen, sondern auch ein gutes Dutzend Traktoren. Auf dem Platz selbst haben sich vielleicht 300 Menschen versammelt, viele durch ihre Arbeitsjacken als Mitarbeitende von mittelständischen Betrieben der Region erkennbar, ob Dachdecker, Zimmerleute, Spengler oder im Rohbau, Holzbau oder bei Erdarbeiten Tätige. Aber es haben sich auch zahlreiche Landwirtinnen und Landwirte eingefunden.
Fakt ist: Angemeldet hat die Kundgebung eine Handwerkerin: Die Kälte- und Schallschutzisoliererin Theresa Schäfner, die im elterlichen Betrieb Schäfner Isolierbau (Heidenfeld) tätig ist. Jede Veranstaltung dieser Art bedarf eben einer verantwortlichen Person. Die Frage, ob es eine Bauern- oder Handwerkerdemo ist, ist ansonsten zweitrangig: Denn beide Seiten solidarisieren sich, sehen sich als Vertreter des Mittelstandes, der "die Schnauze voll hat", wie Fred Mahler (Volkach) verkündet, der die Moderation der Kundgebung auf der Bühne vor dem Alten Rathaus übernommen hat. "Die da oben" machten nur noch Politik für die großen Konzerne, begründet Mahler, der früher selbst als Lokalpolitiker in Volkach tätig war, den Frust insbesondere mit der Bundesregierung.
Dass die "Ampel" an vielem, wenn nicht allem schuld sei, das drückt an diesem Samstag gar manches Transparent in Haßfurt aus. Für den Biolandwirt Florian Schuler aus Gädheim, einen der Redner auf der Bühne, ist das zu kurz gegriffen: "Der Karren ist doch schon viel zu lange in den Dreck gezogen worden", blickt er aus der Sicht der Bauernschaft auf die letzten zwei Jahrzehnte zurück. Es sei doch letzten Endes egal, ob Schwarz, Grün, Rot oder Gelb regiere; was zähle, sei eine Politik ohne Ideologie, die nachhaltige Lösungen biete. Den Bauern-Soli, die Tierwohl-Cents auf Fleischprodukte, zählt er nicht dazu: "Das bringt doch nur Bauernschaft und Verbraucher gegeneinander auf."
Politikerinnen und Politiker lassen sich bei der Kundgebung nicht blicken, der Haßfurter Stadtrat Jürgen Kehrlein (CSU) ist da nicht nur eine Ausnahme: Er gehört auch zu denjenigen, die an das Mikrofon treten. Kehrlein ist Holz- und Bautenschutztechniker, sein Unternehmen bietet in Zusammenarbeit mit Fachfirmen Sanierungskonzepte vom Keller bis zum Dach an. Damit ist er in einer Sparte tätig, die sich neben der Bauernschaft als Hauptopfer der Regierungspolitik sieht: Ob Stopp von Förderprogrammen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für Neubaumaßnahmen, ob Erhöhung der CO₂-Abgabe oder das "ohne jede Not beschlossene Heizungsgesetz": Alle diese Entscheidungen bringen laut Kehrlein seine Branche und mit ihr viele Menschen in arge Bedrängnis, wenn nicht an der Rand des Ruins.
Und auch bei dieser Kundgebung kommt er wieder, der Vorwurf der Bürokratie, die dem Mittelstand die Luft abschnürt: Oder, wie sich Florian Schuler ausdrückt: "Die Bürokratie zwingt uns in die Knie." Ob sich trotz so vieler Versprechen der Politik daran etwas ändern wird, da scheinen viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kundgebung skeptisch zu sein: "Der Stoiber hat doch auch nichts erreicht", sagt ein Mann im Publikum in Erinnerung an die werbewirksame Aktion des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten, der 2007 nach Brüssel zog, um mit einer Expertengruppe über sieben Jahre hinweg die EU zu entfilzen.
Vertrauen in Politik und Medien hat gelitten
Nicht nur Skepsis, regelrechtes Misstrauen ist bei vielen, die sich am Marktplatz eingefunden haben, gegenüber der Politik allgemein und bereits gegenüber der Lokalpolitik zu spüren. Die Volksvertreterinnen und Volksvertreter hätten den Bezug zu den Menschen, zum Mittelstand, der das Rückgrat von Gesellschaft und Wirtschaft bilde, verloren, ist zu hören. Unübersehbar hat auch das Vertrauen in den unabhängigen Journalismus gelitten. Als Moderator Fred Mahler die Medienlandschaft als "Propagandamedien" von Politik und Regierung bezeichnet, erhält er kräftigen Applaus.
Zudem setzt manchem Redner oder mancher Rednerin auf der Bühne die Sorge zu, wegen irgendwelcher Äußerungen "gleich in die rechte Ecke" gestellt zu werden. Etwa wenn es um den Hinweis gehe, dass der Staat zuletzt Rekordeinnahmen bei den Steuern verbuchen konnte, also eigentlich genug Geld für die Förderung des Mittelstands da sei, stattdessen aber Milliardensummen in die Aufrüstung der Bundeswehr oder die Asylpolitik flössen.
Im Rahmen der Kundgebung werden Flyer unter dem Motto "Wer Steuern zahlt hat mehr verdient" verteilt, die zahlreiche Forderungen an die Politik formulieren. Darunter diejenigen, dass Minister für ihren Zuständigkeitsbereich Fachwissen brauchen, ebenso wie ein früheres Renteneintrittsalter oder das Ende des Heizungsgesetzes. Die Flyer nennen allerdings keine Verfasser, sondern verweisen lediglich auf den Instragram-Accout @mittelstandstehtauf.
Wie passt das denn zusammen?
Ein früheres Renteneintrittsalter würde den Fachkräftemangel nur verschärfen.
Das Heizungsgesetz bringt den Heizungsbauern für viele Jahre Arbeit und Gewinn.
Jeder Minister mit Fachwissen würde den Fachkräftemangel nur verschärfen.
Ach ja, ohne Bundeswehr wäre natürlich alles besser weil Putin ein Freund des Handwerks ist.
Also bitte, erst denken und dann demonstrieren.