Früh um 4.30 Uhr, der Tag bricht gerade an. In der Flur bei Bundorf summt und brummt es in der Luft. Eine Drohne fliegt über eine Wiese, die bald gemäht werden soll. Sinn und Zweck des Ganzen ist es, Tierleben zu retten. Rehe legen ihre Kitze gerne im hohen Gras ab. Wenn dann der Traktor mit seinem Mähwerk kommt, haben die Jungtiere keine Chancen zu entkommen, weil sie zumeist noch nicht richtig laufen können.
Im Landkreis Haßberge gibt es viele Ehrenamtliche, die ihre Freizeit opfern um zu helfen. Einer von ihnen ist zum Beispiel Jens Höhn aus Ermershausen. Dem 36-Jährigen liegt die Hilfsbereitschaft im Blut. Hauptberuflich als Schutz- und Sicherheitskraft in einem Bamberger Industriebetrieb tätig, engagiert sich der junge Mann auch seit seinem zwölften Lebensjahr bei der Freiwilligen Feuerwehr Ermershausen. Dort ist er Gruppenführer und Leiter des Atemschutzes.
Für eine Drohne braucht der Pilot einen Führerschein
Technisch begeistert war Jens Höhn schon immer und so schaffte er sich eine Drohne an und sammelte in der Vergangenheit schon viel Flugerfahrung. Natürlich ist der leidenschaftliche Helfer auch im Besitz eines Kenntnisnachweises beziehungsweise eines EU-Drohnenführerscheins, den man braucht, um die Geräte steuern zu dürfen. Auch eine Genehmigung der Unteren und Oberen Naturschutzbehörde für Naturschutzgebiete im Landkreis und die FFH-Gebiete liegt ihm vor.
Erst war die Rehkitzrettung eine private Initiative von ihm, befreundete Landwirte forderten ihn regelmäßig an. In letzter Zeit hat Jens Höhn zusammen mit seinem Co-Piloten Johannes Schobig und einem Helfer-Team seinen Wirkungskreis ausgebreitet und fliegt nun auch in einer Kooperation mit der Tierschutzinitiative Haßberge. Von dem Verein hat der Ermershäuser eine moderne Drohne mit viel Ausstattung im Wert von über 10 000 Euro zur Verfügung gestellt bekommen.
Zurück in Bundorf. Die Fernsteuerung in der Hand, verbunden mit einem Bildschirm für die Wärmebildkamera und einem Tablet, dirigiert Jens Höhn die Drohne in rund 50 bis 60 Metern Höhe. Vereinfacht wird das Ganze durch die Technik. Bereits zu Hause gibt der Pilot die Koordinaten ein, die Flugroute sucht sich die Drohne dann selbst und landet anschließend automatisch wieder an ihrem Startplatz.
Eine Breite von 50 Metern kann die Wärmebildkamera jeweils abdecken, so dass oft mehrere Überflüge notwendig sind. Um auf dem Display der Wärmebildkamera etwas zu erkennen, braucht man gute Augen und viel Übung. "Geht mal fünf Meter nach links", dirigiert Jens Höhn sein Helfer-Team, das zu Fuß in der hohen Wiese unterwegs ist. An dieser Stelle zeigt die Wärmebildkamera einen weißen Fleck.
Kein System ist frei von Fehlern
Freilich gibt es Fehlermeldungen, etwa große Steine, die im Acker liegen, oder Legespuren, die darauf hindeuten, dass sich vorher ein Rehkitz hier aufgehalten hat. Dieses Mal tönt es aber am Funkgerät: "Wir haben ein Kitz gefunden". Ausgerüstet mit Handschuhen und einem großen Korb nehmen die Helfer jeweils einen Büschel Gras in beide Hände und packen so das Rehkitz. Mit bloßen Händen darf man es nämlich nicht anfassen, da es sonst menschlichen Geruch übernimmt und die Mutter ihr Junges verstößt.
Vorsichtig wird das junge Tier in den Korb gesetzt und an den Feldrand getragen. Dort wird über das Rehkitz das Behältnis mit vielen Luftlöchern gestülpt, so dass es nicht flüchten kann. Wenn die Wiese gemäht ist und keine Lebensgefahr für das Jungtier mehr besteht, wird es wieder in die Freiheit entlassen.
Spaziergänger sollten Abstand halten
In der Regel kommt das Muttertier schnell herbei und kümmert sich um das Kitz, wenn es wieder ruhiger geworden ist. "Wenn Spaziergänger einen umgedrehten Korb oder einen Karton am Rande einer Wiese entdecken, sollen sie am besten einen großen Bogen darum machen", rät Jens Höhn. In der Vergangenheit gab es nämlich leider schon Fälle, bei denen neugierige Menschen aus falsch verstandener Tierliebe das kleine Reh befreit haben. Der Rehkitzretter warnt: "Hier ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das junge Reh wieder in die Wiese geht und dann erneut die Gefahr des grausamen Mäh-Todes gegeben ist".
Je kleiner, desto regungsloser sind Rehkitze. In der Regel können sie erst nach etwa drei bis vier Tagen die ersten Schritte selbstständig laufen. Das weiß auch Ricco Hein aus Rügheim. Der 26-Jährige ist in eigener Regie unterwegs, den kleinen Wesen das Leben zu retten. Seit zehn Jahren besitzt der Bundespolizist den Jagdschein. Sein Opa war schon Jäger, Vater und Bruder gehen ebenfalls diesem Hobby nach. Seit 30 Jahren hat die Familie Jagdreviere bei Rügheim und Lendershausen gepachtet.
140 Hektar Wiesen überflogen
"Jäger töten nicht wahllos Tiere, wie manche Leute uns vorverurteilen", sagt Ricco Hein und erklärt, dass die Jagd hilft, Wildschäden zu vermeiden und vor Krankheit und Seuchen zu schützen. So sollen zum Beispiel die Schweinepest oder der Fuchsbandwurm besser kontrollierbar sein.
Aber zurück zur Rehkitzrettung: 140 Hektar ist der Rügheimer in dieser Saison schon abgeflogen. Die Mahd findet jährlich von etwa Mitte April bis Juni statt. Vor kurzem standen Wiesen im Gebiet um Prappach und Sylbach auf dem Programm, deren Jagdpächter seit über 100 Jahren die Familie Arnold aus Haßfurt ist. Sägewerkbesitzer Walter Arnold ist zusammen mit seinem Sohn Dominik Arnold mit in der Flur unterwegs. Beide helfen tatkräftig bei der Rehkitzrettung. Die beiden haben einen sehr guten Draht zu den Landwirten und werden verständigt, wenn das Mähen der Wiesen bevorsteht.
Eine leistungsstarke Drohne hat Ricco Hein von dem Unternehmer Rainer Hochrhein zur Verfügung gestellt bekommen. Im Prinzip läuft es hier genauso wie bei seinem Ermershäuser Kollegen, der übrigens auch der Jagd nachgeht. Zwei Rehkitze rettete die Mannschaft ehrenamtlicher Helfer an diesem Tag auf den Wiesen nördlich der Kreisstadt.
"Jedes einzelne gerettete Leben zählt"
Insgesamt sind es schon 25 gerettete Kitze und damit zwar "nur" weniger als die Hälfte, die das Team der Ermershäuser Rehkitzrettung vor dem Tod bewahrt hat. Aber "jedes einzelne gerettete Tierleben zählt", freut sich Ricco Hein über den Erfolg der stundenlangen Arbeit in den sehr frühen Morgenstunden.
Es gibt zwar auch die Möglichkeit. die Geiß mit Feldscheuchen daran zu hindern, ihr Junges in den Wiesen abzulegen, aber dabei gibt es auch keine hundertprozentige Garantie. Auch der Aufwand ist hier groß, denn die Scheuchen müssen in genügender Anzahl und mit System aufgestellt werden. Die Variante mit Drohne und Wärmebildkamera ist wesentlich effektiver, erklärt Ricco Hein, zu dessen Auftraggeber zum Beispiel auch die Landwirtsfamilie Nusser aus Hainert zählt und damit nur gute Erfahrungen gemacht haben.
"Wenn da nicht das Herz aufgeht", sagt Ute Krämer aus Gädheim angesichts der Fotos in ihrem Album von kleinen Rehkitzen, die sie zusammen mit ihrem Mann Willi das Leben gerettet hat. Das Ehepaar im Ruhestand hat viel Zeit und ist äußerst tierlieb. "Die letzten Tage waren wir permanent in den frühen Morgenstunden so ab 4.30 Uhr draußen und haben etliche Wiesen im Maintal abgeflogen", erklärt Willy Krämer, der als Drohnenpilot auch einen sehr guten Kontakt zu den Bauern und Jägern in der Umgebung hat.
Alleine in einer einzigen Wiese bei Ottendorf hat das Paar zusammen mit weiteren ehrenamtlichen Helfern vier Kitze entdeckt und in Sicherheit gebracht. Freilich ist es auch manchmal kalt und feucht, wenn eine Rettungsaktion angesagt ist. Aber ein herrlicher Sonnenaufgang entschädigt dafür: "Das ist für uns eine Art Belohnung für das frühe Aufstehen", sagt Ute Krämer, die sich über 30 gerettete Kitze in vier Wochen freut.