"Das Leid ist unermesslich", sagt Jäger Markus Sell zu dem Schicksal mancher Rehkitze. Die im hohen Gras abgelegten Neugeborenen laufen Gefahr, von Landwirten nicht gesehen und von den Messern ihrer Mähwerke verstümmelt zu werden. Immer wieder passiert dies. Aber die Sensibilität gegenüber diesem Thema wächst bei allen Beteiligten, ist Sell überzeugt.
Überzeugungsarbeit brauche es dennoch: Nicht immer würden die erforderlichen Schutzmaßnahmen eingehalten. Gut ist es, wenn sich Landwirte und Jäger dabei ergänzen. Welche Mühen zu Vermeidung des Leids erforderlich ist, berichtet Sell anschaulich. In seinem Revier bei Völkersleier durchstreifte er vor einem landwirtschaftlichen Mäheinsatz, gemeinsam mit zehn Helfern, gut zehn Hektar Wiese. Gut vier Stunden war das Team unterwegs. Die gute Nachricht dabei: "Sieben Kitze konnten wir auf diese Weise retten", freut er sich.
Drohnen gewinnen an Verbreitung
Trotzdem werden bei der konventionellen Suche immer noch Jungtiere übersehen. Zwei weitere Kitze konnten durch den Einsatz der Rehkitzrettung Unterfranken gerettet werden. Sie überfliegt die Wiesen bei geeignetem Wetter mit einer Drohne, um Jungtiere zu orten. Diese Technik ist nicht ganz neu. Sie findet inzwischen zunehmend Verbreitung. Gute Erfahrungen hat damit auch der Jägerverein Bad Kissingen gemacht, der auch aktuell immer wieder Kitze rettet, berichtet Martina Greubel von dort.
Das Problem dabei: Rehe verstecken ihren Nachwuchs nicht im Wald, sondern legen diesen nur mehrere hundert Meter davon entfernt im Grünland ab. Die Geiß kommt einige Male am Tag vorbei, um das Kitz zu säugen, damit natürliche Fressfeinde, wie der Fuchs, es nicht finden. Darum besitzt das Kitz in den ersten Lebenswochen auch noch keinen Eigengeruch. Die Natur hat es so eingerichtet, dass es bei drohender Gefahr nicht flüchtet, sondern sich noch intensiver auf den Boden drückt, um sich dadurch zu schützen.
Wärmebildkamera besonders effektiv
Um sie aufzuspüren, ist der Blick aus der Luft mit Wärmbildkameras besonders effektiv. Die Rehkitzrettung Unterfranken, mit Sitz in Wülfershausen, hat damit schon Erfahrung. Mit den Fluggeräten werden die Flächen abgeflogen. Die Rehgeiß beobachtet den Vorgang aus der Distanz.
Die georteten Tiere lassen sich behutsam aus den Wiesen tragen. Einweghandschuhe muss man aber dabei anziehen, denn der Reh-Nachwuchs darf keinesfalls menschlichen Geruch annehmen. Über einen Lockruf finden Jungtier und Mutter dann wieder zusammen.
Doch der Einsatz technischer Hilfsmittel reicht bisweilen weiter. Damit Mutter und Kitz nicht wieder in die Fläche zurückkehren, werden bis zur zeitnahen Mahd noch Wildscheuchen – zum Teil auch mit Tönen – aufgestellt. Die Rehkitzrettung Unterfranken hat auf diese Weise 2020 rund 30 Kitze gerettet.
Landwirte profitieren auch
Ein Erfolg für alle Beteiligten, denn auch die Landwirte profitieren davon, wenn sich in ihrem Futter keine Kadaver-Reste befinden. Die Gruppe hat deshalb einen ehrenamtlichen Verein gegründet. Mittlerweile sind aus der Umgebung Interessierte auf das Projekt aufmerksam geworden. Einige haben ihre Drohnen aus eigener Tasche gekauft. Ebenso stellt der Bund auch Fördermittel für die Drohnen bereit. Das Wichtigste für die erfolgreiche Tierrettung ist allerdings die Kommunikation zwischen Landwirten, Jägern und Kitzrettern.
Die Helfer sind sich einig: Das frühe Aufstehen – meist um 4.30 Uhr – lohnt sich. "Denn wenn man einmal ein Kitz in Sicherheit gebracht hat, welches in wenigen Stunden den sicheren Tod erfahren hätte, macht es glücklich und beschert einen schönen Start in den (Arbeits-)Tag. In der kühlen Morgenluft sind die Kitze gut zu erkennen, da der Temperaturunterschied zu dieser Tageszeit am größten ist. Auf dem Bild erscheint das warme Kitz dann sehr hell, während es mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen wäre. Für die Helfer gibt es dazu noch atemberaubende Sonnenaufgänge bei Vogelgezwitscher in herrlicher Natur", so Mitinitiatorin Claudia Fella.
Wegen der bisherige Erfolge möchte Markus Sell die Kreisgruppe Hammelburg des Bayerischen Jagschutzverbands dafür begeistern, nun auch eine Drohne anzuschaffen. Dass auch in der Bevölkerung die Sensibilität für Wildtiere wächst, zeigt ein Zwischenfall, der sich in Bad Kissingen ereignete: Eine Anwohnerin entdeckte ein Kitz, dessen Muttertier am Nordring von einem Fahrzeug erfasst und getötet wurde. Jagdpächter Dr. Helmut Fischer übergab schließlich das verwaiste Kitz an eine Person mit Aufzuchterfahrung von Wildtieren, damit die Auswilderung sichergestellt ist.