Zu Beginn dieser Woche war es soweit: Matthias Jung erklärte die Saison für "abgeschlossen". Wie so oft in den Wochen davor war der 41-Jährige auch am Montag in aller Herrgottsfrühe mit seiner Spezialausrüstung unterwegs gewesen, um Rehkitze und anderes Getier aufzuspüren, bevor eine Wiese gemäht wird und die Tiere durch Traktor und Mähwerk zu Tode kommen könnten. Und auch da entdeckten die Wärmesensoren seiner Drohne, dieses Mal in Knetzgauer Gemarkung, junge Rehe. "Doch die sind mittlerweile so groß, dass sie von alleine davonlaufen", berichtete der ehrenamtliche Drohnenpilot und Tierschützer. Weil jetzt zudem die meisten Wiesen gemäht sind, heißt es bis zur nächsten Saison: "Mission erfüllt".
"Mission erstmals erfüllt" genaugenommen. Denn die Tierschutzinitiative Haßberge hat zwar schon lange mit dem Gedanken gespielt, ihren eigenen Beitrag zur Rettung von Kitzen oder Wiesenbrütern zu leisten. Doch erst einmal musste sie, teils über Spenden, die rund 10 000 Euro für die beiden Multikopter zusammenbringen. Und dann einige bürokratische Hürden nehmen. Drohnenflüge bedürfen generell der Genehmigung des Luftfahrtbundesamtes; wer in einer Naturschutzzone fliegt, braucht zudem die Freigabe der Naturschutzbehörden. So dauerte es bis weit in den Mai hinein, bis die Fluggeräte startklar waren.
14 Flugstunden und 120 Flugkilometer
"Eigentlich sind wir für dieses Jahr zu spät gekommen", blickte Thomas Jung deshalb mit nicht ganz ungetrübter Freude zurück. "Die erste Mahd Ende April/Anfang Mai haben wir komplett verpasst". Aber die Bilanz für die zweite Mahd, die sich je nach Witterung bis Ende Juni hineinzieht, die könne sich sehen lassen: Jung und seine Helfer sind zu 14 Einsätzen ausgerückt, die Drohnen haben in gut 50 Wiesen und Äckern nach Lebewesen gespäht. Die Flugbücher zählen knapp 14 Stunden Flugzeit, 120 Flugkilometer und 140 Hektar gescannte Fläche.
Und vor allem: Ob bei Limbach, Mechenried, Maroldsweisach oder an der ehemaligen Zeiler Zuckerfabrik. Der Drohneneinsatz hat 22 Kitzen das Leben gerettet - und darüber hinaus auch mehrere Ricken und einen Rehbock, gut 20 Hasen und einen Fuchs, einen Greifvogel und eine "Miezekatze" davor bewahrt, zumindest durch ein Mähwerk in Bedrängnis zu geraten. Das alles kostenlos für die Landwirte. Die meisten Kitze, die von ihren Müttern bewusst im hohen Gras abgelegt werden, wären sicher dem Tod geweiht gewesen: Sie haben anfangs keine Fluchtinstinkt, sondern drücken sie bei Gefahr auf den Boden.
Britta Merkel, die Vorsitzende der Tierschutzinitiative Haßberge, ist vom Verlauf der ersten Kontrollflugsaison sehr angetan. "Jedes gerettete Tier ist die Anschaffung wert. Aber dass es gleich so viele Tiere geworden sind, das freut mich schon sehr", sagte Merkel am Montag. Die Vorsitzende ist glücklich über die gute Resonanz bei den Bauern und Jägern. "Dass Tierschützer, Landwirte und Jagdverband Hand in Hand arbeiten, das ist wohl eher selten."
Landwirte begrüßen die Unterstützung
Es sind die Landwirte, die dafür Sorge tragen müssen, dass auf ihren Wiesen keine Wildtiere in das Mähwerk geraten. Das gelingt auch bei größter Sorgfalt nicht immer. Und dann sind da noch die Schlagzeilen von Landwirten, sie sich keine Mühe machen, die Tiere vorher zu verscheuchen. Und mit Traktor und Mähwerk einfach darauf losfahren. Und in der Folge wegen Tötung von Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund" verurteilt werden. So ein Verhalten zu verallgemeinern, sei absolut unfair und Teil des weit verbreiteten Bauern-Bashings, findet Klaus Merkel, Kreisobmann des Bauernverbandes. "Kein vernünftiger Landwirt hat ein Interesse daran, ein Tier zu verletzten oder zu töten", sagte Merkel kürzlich zur Redaktion. Er selber habe in jungen Jahren einmal einem Kitz zwei Beine weggfahren, "glauben Sie mir, das macht keinen Spaß".
Merkel sprach von einem seit Jahren eingespielten Verfahren, bei dem der Bauer spätestens am Vortag den Jagdpächter über die bevorstehende Mahd informiere. Woraufhin Jäger, Hund und Helfer die Wiesenfläche am Morgen vor dem Mähen durchkämmen. "Das hat in der Vergangenheit gut funktioniert." Er sei deshalb etwas überrascht gewesen von der Drohnen-Initiative der Tierschützer. Aber willkommen ist sie ihm auf jeden Fall. "Wenn das gut funktioniert und auch die Zusammenarbeit mit den Jägern klappt, ist das eine gute Sache."
Jäger: Spürnase der Hunde ist nicht ersetzbar
Egon Frank, seit Frühjahr Vorsitzender der Kreisgruppe Haßfurt des Bayerischen Jagdverbandes, nennt es eine Herzensangelegenheit der Jägerschaft, dass abgelegte Rehkitze "fach- und waidgerecht" aus dem gefährlichen Mähbereich entfernt werden, damit die Rehgeiß ihr Junges wohlbehalten wiederfinden kann. Auch er lobt die jahrzehntelange gute Zusammenarbeit von Jägern und Landwirten. Frank hat nichts dagegen, wenn sich die Tierschutzinitiative einklinkt. Dass Jäger und Hund bei der Rehkitzrettung überflüssig werden, glaubt er aber nicht. Der passionierte Waidmann setzt seit Jahren selber eine Drohne mit Wärmebildkamera ein und kennt deren Grenzen: Starker Wind und Hitze können das Ergebnis verfälschen, Rehe deshalb übersehen werden. Die Wärmebild-Technik ist für ihn "kein vollwertiger Ersatz für ausgebildete Jagdhunde, die mir ihren Spürnasen die Kitze aufspüren und die Jägerinnen und Jäger sicher zum Fundort führen."
Da könnte Matthias Jung erwidern, dass er Zeuge wurde, wie seine Drohne ein Rehkitz erfasste, an dem Hund und Jäger im Abstand von einer Armlänge blindlings vorbei liefen. Und auch er weiß allzu gut, dass es jetzt im Juli schon vormittags so heiß wird, dass das Wärmebild kaum mehr zu gebrauchen ist. Und keine Drohne kann die Läufer ersetzen, "das Bodenpersonal", also Jäger, Landwirte, Tierschützer, Freiwillige aus den Dörfern, die die Kitze dann behutsam aufnehmen.
Tierschutzinitiative: Drohnen auch für Landwirte und Jäger interessant
Schon gar nicht will die Tierschutzinitiative mit der "Luftüberwachung" alleine bleiben. Zwar bildet sie für die nächste Saison weitere Drohnen-Piloten aus. Doch die Belastung für das Team wird groß bleiben. Jung ist an vielen Tagen früh zwischen 3 und 4 Uhr aufgestanden. Die Anfahrten noch nicht einmal eingerechnet, braucht er eine Stunde, bis die Drohne abheben kann. Und nach dem Flug ist noch lange nicht Schluss. Mindestens eine weitere Stunde ist dann für die Einsatzdokumentation und die Führung des Flugbuches erforderlich. All das schlaucht gewaltig.
Und so wollen die Tierschützer Landwirte und Jagdpächter auch neugierig auf die Technik machen. Und sie dazu anregen, sich selbst Multikopter anzuschaffen. "Auch wenn wir mehrere Piloten sind, wir alleine schaffen in der Mahdzeit niemals den gesamten Landkreis", erklärt Jung aus Sicht der Tierschutzinitiative. Für die es nicht darum geht, wer Rehe, Kibitze oder Fasane rettet. Sondern dass sie überhaupt gerettet werden. Denn noch immer werden, auch wenn die Zahlen nicht genau erfasst werden können, in Deutschland Jahr für Jahr hunderttausende Wildtiere zu Ernteopfern.