Insgesamt 71 Organisationen haben ihn unterschrieben: Einen Appell an deutsche Stadtwerke, aus dem Verband "Zukunft Gas" auszutreten. Darunter finden sich große Namen: Greenpeace, LobbyControl, Campact und viele andere. Der Haßfurter Stadtwerksleiter Norbert Zösch erklärte Anfang August im Gespräch mit dieser Redaktion, warum er trotz dieses Aufrufs weiterhin Mitglied der Organisation bleiben will. Nun äußert sich auch Zukunft Gas selbst zu den Austrittsforderungen.
"Wir können die Vehemenz der Angriffe nicht nachvollziehen", sagt Pressesprecher Charlie Grüneberg. "Die Zukunft sehen wir ganz klar in neuen Gasen." Ein Wort benutzt er im Gespräch häufiger: "Transformation." Denn auch dem Verband sei klar, dass es dauerhaft einen Weg weg vom Erdgas brauche. "Wir unterstützen die bundesdeutschen Klimaziele bedingungslos und sagen deutlich: Die Nutzung von fossilem, nicht dekarbonisiertem Erdgas wird bis 2045 bedeutungslos." Es gehe also nicht darum, ewig am Erdgas festzuhalten, sondern den Übergang zu organisieren. Das sei auch der Grund, warum sich der Verband 2021 von "Zukunft Erdgas" in "Zukunft Gas" umbenannte.
Klares Bekenntnis zum Klimaschutz
Eben diese Namensänderung machen Kritikerinnen und Kritiker dem Verband jedoch zum Vorwurf. So spricht LobbyControl von "Greenwashing", also dem Versuch, sich in Sachen Klimaschutz ein grünes und damit positives Image zu geben, ohne tatsächlich etwas Gutes für die Umwelt zu tun. Der Vorwurf lautet: Es handle sich bei Zukunft Gas in erster Linie um eine Lobby-Organisation der großen Gasunternehmen, von Shell bis Uniper. Diesen gehe es darum, die fossile Energiegewinnung so lange wie möglich am Laufen zu halten und auszuschlachten.
Dem widerspricht Grüneberg: "Es gibt ein klares Bekenntnis zu Klimaschutz und Transformation, hinter dem jedes unserer Mitglieder steht." Natürlich gebe es darunter auch "solche und solche", so dass einige von sich aus sehr aktiv für die Energiewende kämpfen, "wie etwas das Stadtwerk Haßfurt", während andere eher träge agieren. "Der Verband hat die Aufgabe, auch die, die noch nicht so stark wollen, anzuschieben." Einig seien sie sich aber in den Zielen: "Den Klimawandel wollen wir alle aufhalten."
Charlie Grüneberg wehrt sich auch gegen den Vorwurf, der Verband sei nur ein Vertreter der Großindustrie und würde die kleineren Mitglieder als "grünes Feigenblatt" missbrauchen. "Wir decken die ganze Wertschöpfungskette ab und bringen alle an einen Tisch", beschreibt er die Zusammensetzung der Mitgliedsunternehmen – von den Gaserzeugern bis hin zu den Verbrauchern wie beispielsweise den kleinen Stadtwerken. "Die 'Kleinen' sind für uns nicht die 'Kleinen', sondern die, die in der Region sind", betont er und widerspricht damit dem Vorwurf, dass es dem Verband vor allem um die Interessen seiner größeren Mitglieder gehe.
Diese "Kleinen" seien auch gut als Reallabor geeignet, in dem man beobachten könne, wo Wasserstoff in der Praxis funktioniert und wo nicht.
Niedrige Mitgliedsbeiträge sind für kleine Stadtwerke attraktiv
Und gerade im Zusammenhang mit den kleinen Mitgliedern und ihrer Rolle im Verband wirft er den Kritikern eine "krude Argumentation" vor. So passe es nicht zusammen, dass sie Zukunft Gas vorwerfen, die Stadtwerke mit geringen Mitgliedsbeiträgen anzulocken, gleichzeitig aber den Stadtwerken vorwerfen, mit eben diesen Mitgliedsbeiträgen die fossile Lobby mitzufinanzieren.
Klar ist: Die Mitgliedsbeiträge bei Zukunft Gas richten sich nach der Größe der Unternehmen. "Für kleinere Stadtwerke liegt der Beitrag unter 200 Euro pro Monat", hatte der Haßfurter Stadtwerksleiter Norbert Zösch im Frühjahr auf Anfrage dieser Redaktion erklärt. "Dieses Preis-Leistungsverhältnis ist für uns sehr attraktiv."
Zösch hatte dieser Redaktion gegenüber schon mehrfach erklärt, für ihn sei der Verband in erster Linie eine gute Quelle für Informationen. Die hätten dem Stadtwerk auch deutlich weitergeholfen, unter anderem als es darum ging, in Haßfurt eine Power-to-Gas-Anlage aufzubauen und im Realbetrieb zu testen.
Power to Gas: Ist Wasserstoff der Energiespeicher der Zukunft?
Diese innovative Technik gilt, zusammen mit anderen, als eine der Möglichkeiten, Energie aus erneuerbaren Energiequellen zu speichern. Dabei wird die elektrische Energie genutzt, um per Elektrolyse Wasserstoff zu gewinnen. Dieser kann dann entweder ins Erdgasnetz eingespeist und somit zum Heizen verwendet werden, oder er kann in Zeiten, in denen sich wenig Strom aus regenerativen Quellen erzeugen lässt, wieder zur Stromerzeugung genutzt werden. Charlie Grüneberg fasst zusammen: "Mit Gas schaffen wir es, erneuerbare Energie vom Sommer in den Winter zu bringen."
Ein häufig kritisierter Nachteil dieser Technik ist der relativ geringe Wirkungsgrad: Bei jeder Umwandlung von einer Energieform in eine andere geht ein Teil der Energie verloren. Immerhin: Die bei der Rückverstromung entstehende Wärme könne im Winter noch für Nahwärme genutzt werden. Die Haßfurter Waldorfschule bezieht diese bereits, künftig könnte es die Möglichkeit auch in der Altstadt geben.
Wirkungsgrad: Besser als ein konventionelles Kraftwerk, schlechter als ein Pumpspeicher
Norbert Zösch spricht von einem Wirkungsgrad von 70 Prozent bei der Wasserstoffgewinnung, bei der Rückverstromung seien es 45 Prozent ohne Wärmenutzung, 55 Prozent mit Wärmenutzung. Insgesamt bedeutet das: Von der erzeugten elektrischen Energie bleiben am Ende 31,5 oder 38,5 Prozent übrig, je nachdem, ob auch die Nahwärme genutzt wird. "Damit ist der Gesamtwirkungsgrad immer noch deutlich höher als bei dem konventionellen Betrieb von Großkraftwerken", so Zösch.
Andere Speichermöglichkeiten haben dagegen einen deutlich höheren Wirkungsgrad, dafür jedoch andere Nachteile. Ein Beispiel dafür sind die klassischen Pumpspeicherkraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 75 bis 80 Prozent, die jedoch viel Platz benötigen und nicht überall gebaut werden können.
Abhängigkeit von Russland: Muss sich Zukunft Gas Vorwürfe machen?
Charlie Grüneberg sieht die Zukunft der Energiespeicherung in einer Mischung aus verschiedenen Methoden, vom Gas über Batteriespeicher bis hin zum Pumpspeicherkraftwerk. "Das eine wird nicht ohne das andere gehen."
Und was sagt der Pressesprecher von Zukunft Gas zu der Kritik, dass sich Deutschland in Sachen Erdgas in der Vergangenheit zu sehr von Russland abhängig gemacht habe? "Der Vorwurf ist berechtigt, er trifft aber nicht uns als Verband alleine." Den gleichen Fehler hätten auch die Bundesregierungen unter Gerhard Schröder und Angela Merkel gemacht, die Russland immer für einen stabilen Partner hielten. "Da können Sie uns in eine Reihe stellen mit vielen prominenten Stimmen."