Jubelschreie aus den Kehlen Hunderter Ermershäuserinnen und Ermershäuser tönten über den Rathausplatz, als die Kirchenglocken 1994 das Neue Jahr einläuteten. Der Grund für die große Freude: Die Gemeinde Ermershausen hatte nach 15 Jahren ihre Selbstständigkeit wiedererlangt, nachdem sie zuvor am 1. Mai 1978 in den Markt Maroldsweisach eingemeindet worden war.
Brigitte Lüdecke, Verwaltungsangestellte, erlebte das Geschehen von der ersten Stunde an mit. Sie erinnert sich: "Seit Generationen ist es Tradition, dass sich die Bevölkerung in der Silvesternacht am Rathaus trifft. Doch dies war eine besondere Nacht. Unbeschreiblich, Gänsehaut pur. Das war emotional das Höchste, da gab es keine Steigerung mehr, als der Posaunenchor den Choral 'Nun danket alle Gott' anstimmte, sich Hunderte Menschen auf dem Platz umarmten und sich keiner seiner Tränen schämte."
Auch der Vorkämpfer in Sachen Selbstständigkeit, Adolf Höhn, konnte wie viele andere in dieser besonderen Silvesternacht seine Tränen nicht zurückhalten. "Auf diesen Tag haben wir 15 Jahre gewartet, gehofft und gekämpft, um unser Recht und unsere Freiheit wiederzuerhalten", erklärte Höhn damals.
Anlässlich des 30. Jahrestags der wiedergewonnenen Ermershäuser Unabhängigkeit hat die Redaktion einen stichpunktartigen Blick auf die Ereignisse von damals, aber auch auf die Gegenwart geworfen:
1. Kampf für die Unabhängigkeit: Die Ermershäuser zeigten sich beharrlich
Ab dem 1. Mai 1978 bestand die bis dahin selbstständige politische Gemeinde Ermershausen als solche nicht mehr: Ermershausen sowie auch Birkenfeld und Dippach wurden Ortsteile Maroldsweisachs. Womit jedoch niemand in der Bayerischen Staatsverwaltung gerechnet hatte: Die Ermershäuser Bürgerinnen und Bürger gaben nicht klein bei, sondern wehrten sich, indem sie den Zugang zum Rathaus besetzten, um das Abholen von Akten aus diesem zu verhindern. In der Nacht auf den 19. Mai 1978 stürmten schließlich rund 200 Polizeibeamte das Rathaus, um sich Zugang zu den Akten zu verschaffen. Die Einwohnerinnen und Einwohner hielten diesen Einsatz für unangemessen, er brachte das Fass zum Überlaufen und bestärkte sie darin, ihren Protest fortzusetzen. In ganz Ermershausen machte die Bevölkerung ihrem Unmut Luft, indem sie jahrelang protestierte, Wahlen boykottierte und Plakate sowie Transparente aushing.
2. Metzgermeister Adolf Höhn: Die zentrale Figur des Ermershäuser Freiheitskampfs
Er wurde schon zu Lebzeiten zur Legende: Adolf Höhn, Leitfigur und leuchtendes Vorbild, der die Auflösung der Gemeinde Ermershausen nicht hinnahm. Von Beginn an wehrte er sich gegen die Eingemeindung in die Gemeinde Maroldsweisach und nahm dafür alle Rechtsmittel in Anspruch. Während des massiven Polizeieinsatzes in der Nacht auf den 19. Mai 1978, wo er immer wieder zum Frieden mahnte, wurde Adolf Höhn zur Leitfigur und zum unermüdlichen Streiter in dem beginnenden Freiheitskampf. Er übernahm die Führung der Bürgergemeinschaft, die fortan das inoffizielle Verwaltungsorgan für die Einwohnerinnen und Einwohner bildete, die sich den neuen Gegebenheiten nicht ohne Weiteres fügen wollten. Adolf Höhn blieb über die gesamten 15 Jahre der Motor und der Hoffnungsträger des Ermershäuser Freiheitskampfs.
3. Cleverer Schachzug: Sebastian Freiherr von Rotenhan als Unterstützer
Nachdem 1989 der Bayerische Landtag einen Antrag auf Ausgliederung abgelehnt hatte, wählte Ermershausen einen anderen Weg: Unterstützt von CSU-Kreisrat Sebastian Freiherr von Rotenhan trat die Mehrheit der Ermershäuserinnen und Ermershäuser in die CSU ein. Als nun größter Ortsverband der Partei im Landkreis Haßberge konnte Ermershausen sich so gewichtiges, neues Gehör verschaffen.
4. Ort der Demokratie: Die Lehren aus der Ermershäuser Geschichte
Am 1. Januar 1994 wurde Ermershausen wieder selbständig – und zum Beispiel für zivilgesellschaftlichen Protest und politisches Engagement. Der damalige Landrat Rudolf Handwerker schrieb einst anlässlich der 950-Jahr-Feier: "Was lehrt uns die Geschichte? Das geduldige und hartnäckige 'Bohren von dicken Brettern' bringt letztendlich den Erfolg, nicht der aufbrausende Einsatz von Knüppel und Faust." Heute gehört die Gemeinde Ermershausen zu den 13 ausgewählten "Orten der Demokratie" in Bayern, an denen Demokratiegeschichte geschrieben wurde. Das Präsidium des Bayerischen Landtags hat diese als solche benannt. Damit soll sichtbar und erlebbar gemacht werden, wie an diesen Orten die Demokratie in Bayern geprägt wurde.
5. Bürgermeister Günter Pfeiffer: Die heutige Zusammenarbeit ist ein Glücksfall
"Mit unserer Eigenständigkeit haben wir bewiesen, dass wir es können, dass die selbstständige Gemeinde Ermershausen in Zusammenarbeit mit der Verwaltungsgemeinschaft Hofheim gut funktioniert", sagt Ermershausens Bürgermeister Günter Pfeiffer (FW). Heute bestehe zwischen Ermershausen und Maroldsweisach ein partnerschaftliches Miteinander. Dieses sei vorwiegend durch seinen Vorgänger Werner Döhler und den damaligen Bürgermeister von Maroldsweisach, den heutigen Landrat, Wilhelm Schneider (CSU) aufgebaut worden und bestehe mit dem jetzigen Maroldsweisacher Bürgermeister Wolfram Thein (SPD) fort. "Zwang, Gewalt und Bestimmung von oben sind nicht gut", resümiert Pfeiffer. "Heute besteht eine freiwillige, freundschaftliche, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Ermershausen und dem Markt Maroldsweisach und dies nicht nur auf Gemeindeebene, sondern auch in den Vereinen und der Bevölkerung. Und ich finde, dass dies ein Glücksfall ist."