"Federweißer haben wir voraussichtlich ab 13. September". Was das Weinhaus Nüsslein aus Zeil am Main auf seiner Webseite ankündigt, hätte die Vorgängergeneration des Betriebsinhabers Roger Nüsslein (53) bestenfalls als verspäteten Aprilscherz abgetan. Für sie begann die Ernte einen Monat später, nicht umsonst gibt es den Begriff "goldener Oktober". Auch Martin Barthel, der gemeinsam mit seiner Frau Anita einen Bioweingut in Wohnau betreibt, wird kommende Woche mit der Weinlese beginnen. In Oberschwappach ist Federweißer bereits erhältlich.
Den Winzern ist nicht zu lachen: Der Klimawandel, erklärt Barthel, zeige sich schon im zeitigen Frühjahr, weil die Pflanzen viel früher austrieben als vor Jahren und der Frühjahrsfrost sie daher erheblich mehr gefährde. Und was die Ernte betrifft, den Silvaner hatte sein Vater Ende Oktober bis Anfang November gelesen, er beginne damit im September. Der goldene Oktober, bestätigt ihm Nüsslein, spiele keine Rolle mehr.
Horrorvorstellung: Dass sich die Erten in den August vorschiebt
Er hofft, dass sich der Erntezeitpunkt nicht noch in den August vorschiebt, Ernten bei 35 Grad Celsius im Schatten sei eine "Horrorvorstellung". Der Winzer verfolgt unbeirrt das klassische fränkische Produktionsziel, trockene Weine mit hoher Mineralität, Fruchtigkeit und Leichtigkeit herzustellen und möchte möglichst erst Ende September mit der Weinernte starten. Doch dem Klimawandel müsste er ins Auge sehen.
Mehr Wärmetage und Hitzewellen seien verantwortlich dafür, dass sich in den Trauben überdurchschnittlich viel Zucker anreichert, was bekanntlich verantwortlich sei für einen hohen Alkoholgehalt. Dies sei nicht erwünscht, "wir wollen keine Alkoholbomben", erklärt Nüsslein. Daher sei an einem früheren Erntezeitpunkt nicht zu rütteln. Doch Zuckerreife und Aromareife gingen nicht parallel einher, und "die Aromen sind flüchtig".
Kühle Nächte, wie sie der Herbst üblicherweise bietet, seien daher mitverantwortlich für den Aromagehalt der Weine. Die Produktionsbetriebe stünden daher vor der Herausforderung, den geeigneten Erntezeitpunkt zu finden. Barthel reduziert seiner Angabe zufolge die Traubenmenge, damit sich das Aromapotential der Rebstöcke auf weniger Früchte verteilt.
Sind spätreifende oder neue Sorten eine Alternative?
Barthel und Nüsslein meinen beide, dass über die Sortenauswahl nachgedacht werden muss: "Müller Thurgau und Baccus stehen auf der Verliererstraße". Seine Alternative, erklärt Nüsslein, sei die Umstellung auf sogenannte spätreifende Sorten. Diese kämen aus Südfrankreich und Italien, er habe erst kürzlich Chardonnay gepflanzt. Barthel ist noch keine Rebsorte bekannt, die er als geeignet ansieht, eine späte Reife zu generieren, er setzt auf die Entwicklung neuer Rebsorten. Bei Silvaner beklagt er "Stockausfälle ohne Ende". Gute Erfahrung hätte er mit dem Sauvignon Blanc gemacht, der bei der Neubepflanzung lediglich rund ein Prozent Verlust gehabt und das Klima "bisher relativ gut vertragen" habe.
Die Kirschessigfliege: Eine neue Bedrohung aus Japan
Vor einigen Jahren seien die Fachleute aus Veitshöchheim bei ihm gewesen, berichtet Nüsslein, um ein neuartiges Erscheinungsbild an Trauben zu studieren. Der Verdacht lag nahe, dass sich eine unbekannte Pflanzenkrankheit eingenistet habe. Es war Sonnenbrand, der den Früchten zugesetzt hatte, Folge der Belastungen durch Hitze, Trockenheit und UV-Strahlung. Und nun komme das nächste Unheil daher, mutmaßlich begünstigt durch den Klimawandel: die Kirschessigfliege.
Essigfliegen seien schon seit jeher Begleiter der Winzer gewesen, jedoch hätten sie sich nur auf faulen Früchten angesiedelt. Dank ihrer Schneidwerkzeuge könnte das neu hinzugekomme Insekt auch gesunde Trauben angreifen. Aus Japan stammend, sei die Kirschessigfliege nach Südtirol verschleppt worden, "was wiederum Sprungbrett nach Nordeuropa war".
Unkräuter helfen gegen den Wassermangel
Ohne Wasser kein Wein. Diese Binsenweisheit stellt einen jeden Winzerbetrieb vor die Frage, wie er es mit der Bewässerung hält. Barthel freut sich über seine Böden, die Wasser recht gut speichern können und daher auch in Trockenperioden erheblich besser dastünden "als beispielsweise die Sandböden in Sommerach". Er hat sich 2019 von der Tröpfchenbewässerung verabschiedet, "die Landwirtschaft muss auch ohne Bewässerung auskommen". Er ließe auch Beikraut, im Volksmund Unkraut genannt, stehen, zugunsten der Wasseraufnahme des Bodens, seiner Speicherfähigkeit und des Humusaufbaus.
Nüsslein möchte seine Rebstöcke ebenfalls nicht verwöhnen, doch der Klimawandel mit seinen Hitzeperioden und Trockenphasen, sagt er, "zwinge zum Handeln", Neuanpflanzungen seien ohne Tröpfchenbewässerung nicht mehr überlebensfähig. Ältere Pflanzen würden tief genug wurzeln, um auch bei anhaltendem Niederschlagsmangel an Wasservorkommen zu gelangen. Doch wichtig sei es, dass der Niederschlag nicht so einfach abfließt, sondern möglichst umfangreich in den Boden eindringt. Er habe daher begonnen, seine Weinberge terrassenförmig zu gestalten.
Vom Silvaner felsenfest überzeugt
Udo Vogt führt gemeinsam mit seiner Frau Bettina einen Winzerhof in Oberschwappach. "Trockener vom Steigerwald" ist ihr Motto. Das Ehepaar ist nach wie vor überzeugt davon, dass Frankenwein der klassische trockene Wein in Deutschland sei. Für sie ist Silvaner der Favorit: seit 300 Jahren komme er gut in Franken zurecht, habe auch schon so manche Temperaturveränderung gemeistert. Seine dicke Haut trotze dem Sonnenbrand, auch die Kirschessigfliege könne ihm nichts anhaben.
Früher wurde er an Allerheiligen gelesen, "weil er sonst nicht trinkbar war", doch den Ruf, ein "saurer Bursch" zu sein, habe er abgelegt. Nun kann er in Unterfranken sein Aroma wunderbar zur Geltung bringen. Vogt ist früh dran: Bei ihm hat die Weinlese schon begonnen, den ersten Federweißen 2023 bietet er am 9. September an, wenn in Oberschwappach die Kirchweih beginnt. 29 Grad Celsius sind vorhergesagt. Herbststimmung im Hochsommer.
Sorgenvoller Blick nach vorne
Roger Nüsslein, Erster Vorstand vom Weinbauverein Haßberge, fasst zusammen: "Die Herausforderung, gesunde Trauben zu erzeugen, wird immer schwerer. Der Klimawandel schlägt zu, und ein Königsweg ist nicht in Sicht". Nüsslein hofft, dass seine Kinder nicht schon im August ernten müssen, dass Franken Weinland bleibt, und dass es hier nicht so kommt wie in Südfrankreich, wo aufgrund von Hitze und Wassermangel "ganze Flächen kollabieren". "Das ist leider nicht mehr undenkbar", bestätigt Barthel.