Insgesamt 28 ukrainische Jugendliche werden derzeit am Schulzentrum in Haßfurt betreut. Während die Geflüchteten zunächst noch am ukrainischen Unterricht teilnahmen, sind sie mittlerweile sowohl in Willkommens- als auch in Regelklassen eingebunden. Für die Schulen ist dies ein Kraftakt, über den wir mit den Schulleitern am Schulzentrum Haßfurt Maria Eirich (Gymnasium), Matthias Weinberger (Mittelschule), Hartmut Hopperdietzel (Realschule) und der Betreuungslehrerin Martina Diefenbacher gesprochen haben.
Maria Eirich: Wir versuchen Lehrkräfte einzusetzen, die ukrainisch oder polnisch sprechen. Sie hören den Jugendlichen zu und begleiten sie. Die Geflüchteten brauchen Kontakt, Regelmäßigkeiten und Struktur, all das hilft ihnen. Das können wir ihnen als Schule geben. Dazu gehört auch Lehrpersonal, dem sie erzählen können, wie es ihnen geht. Wir haben früh die Fühler ausgestreckt und Studenten, Pädagogen oder pensionierte Kollegen an unsere Schule geholt. Dadurch haben wir einen Pool an Personen, auf die wir zurückgreifen können und die uns sicherlich auch nächstes Schuljahr unterstützen werden. Aktuell können wir das alles stemmen, wenn sich die Zahlen nicht verändern.
Matthias Weinberger: Es ist eine schwere Situation, die zum derzeitigen Lehrermangel dazukommt. Nach Corona kommt die nächste Krise, das darf nicht aus den Augen verloren werden. Unser System saugt das zwar auf, muss es auch in gewisser Weise aufsaugen. Das kostet die Kollegen sehr viel Kraft.
Eirich: Wir haben Paten in den Klassen gesucht, die sich am Anfang intensiv um die Schüler gekümmert haben. Sie haben ihnen die Schule gezeigt, aber auch wo es zu den Bussen geht, und sie sind Ansprechpartner bei Fragen. Wir verwenden im Unterricht zudem Sprach-Apps, sodass die Schüler sich gegenseitig verstehen können oder sie kommunizieren auf Englisch miteinander.
Eirich: Natürlich bekommen wir mit, dass es an anderen Schulen Probleme gibt. Die haben wir tatsächlich nicht. Wir haben darauf geachtet, in welche Klassen die Ukrainer kommen, und haben Schüler und Schülerinnen gesucht, die ihre Sprache sprechen, um einen Austausch untereinander zu ermöglichen. Die Schüler kümmern sich umeinander und akzeptieren sich gegenseitig. Das Helfer-System, das von uns etabliert wurde, funktioniert.
Eirich: Die größten Herausforderungen sind tatsächlich, dass sie Deutsch lernen und sich integrieren wollen. Die Bandbreite ist sehr groß. Es kommen Schüler an, die sofort in die Schule wollen, die auch gerne lernen und wissbegierig sind. Es gibt aber auch Schüler, die noch von ganzem Herzen in der Ukraine sind und sich gar nicht auf den Unterricht einlassen können. Es ist eine ganz heterogene Gruppe von Kindern und das ist eigentlich die Herausforderung mit Blick auf Sprache, Begabung und dem Wunsch hier zu sein. Das müssen wir bewältigen.
Hartmut Hopperdietzel: Eine weitere Herausforderung ist, wie wir mit den Schülern und Schülerinnen umgehen, die jetzt im System sind und bleiben. Wir stehen vor der Frage, was mit denen ist, die jetzt in der vierten Klasse sind. Auf welche Schule gehen sie nächstes Jahr? Und was ist mit denen, die eines Tages aus dem Schulwesen rauskommen und in den Berufsalltag einsteigen?
Eirich: Wir haben gemerkt, dass unsere Schüler und auch die Lehrer tolerieren müssen, dass die ukrainischen Jugendlichen die Handys im Unterricht benutzen dürfen. Sie brauchen den Kontakt in die Heimat. Andererseits bin ich als Schulleiterin auf die ukrainischen Schüler zugegangen und habe ihnen klar gesagt, dass sie, wenn sie bleiben wollen, auch zeigen müssen, dass sie sich einbringen. Sie müssen im Unterricht mitarbeiten und ihre Arbeiten erledigen. Ich habe ihnen verdeutlicht, was wir von ihnen erwarten und dass wir uns auf Lehrerseite Mühe geben. Wir haben einfach das Gespräch gesucht.
Eirich: Nein, ich glaube, wir haben es vermieden. Ich kann mich an ein Beispiel aus dem Geschichtsunterricht erinnern. Auf dem Lehrplan stand die Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges. Wir haben das so geregelt, dass die ukrainischen Schüler in diesem Moment nicht in der Klasse waren. Das muss nicht sein. Es geht hier aber rein um Lehrplanstoff, nicht um Fragen der Schüler.
Weinberger: Ich glaube, das ist heutzutage mit der digitalen Vernetzung gar nicht mehr die Frage. Die ukrainischen Schüler sind sehr gut informiert und digital vernetzt, die wissen ganz genau, wie der Stand in ihrer Heimat ist.
Eirich: Die ukrainischen Schüler konzentrieren sich auf das Deutsch lernen oder machen Sport zusammen. Die Lehrer wären zu uns gekommen, wenn Fragen über den Ukraine-Krieg im Unterricht aufgekommen wären. Die Schüler genießen die Ablenkung und das bietet ihnen die Schule.
Hopperdietzel: Die Fragen beziehen sich eher auf die Eingebundenheit Deutschlands oder der NATO in den Krieg. Für alle schwebt das große Wort Atomkrieg wie ein Damoklesschwert über dem Ganzen. Da ist es wichtig, auf Nachfragen der Schüler mit Fingerspitzengefühl zu reagieren. Generell ist der Ukraine-Krieg ein Thema, bei dem wir als Schulen vorsichtig sind, wie wir es thematisieren, weil es mit so vielen Stolperfallen versehen ist. Bei allen ukrainischen Schülern ist irgendein naher Verwandter Kriegsteilnehmer. Von einem wissen wir konkret, dass der Vater im Donbass kämpft und wir wissen von Nachbarschulen, dass Väter gefallen sind.
Weinberger: Ganz ehrlich, da sind die Schulen gut aufgestellt. Wir haben 2015 die große Flüchtlingskrise mit den syrischen Schülern gemeistert, deswegen sind da gewachsene Strukturen, die greifen, beispielsweise Schulpsychologen, ausgebildete Kriseninterventionsteams, Beratungslehrer. Als Schulen haben wir zum einen die Erfahrung, aber auch die Mittel, um damit umzugehen.
Martina Diefenbacher: Ich finde, man merkt schon auch eine große Unsicherheit. Es sind Kinder und Jugendliche, die sich in einer extremen Situation befinden. Was ich bewundernswert finde, ist, wie schnell sich die ukrainischen Schüler anpassen konnten und sie sich hier, vielleicht auch zwangsläufig, darauf eingelassen haben, dass Sachen in Deutschland ganz anders laufen. Auf der anderen Seite, ist es schön zu sehen, dass die Bereitschaft bei den deutschen Schülern, offen auf die Ukrainer zuzugehen und ihnen so Brücken zu bauen, sehr groß ist. Das ist eine Chance für uns als Schule und ganz viele Klassen und Schüler haben das verstanden.
Hopperdietzel: Alles was gesagt worden ist, kann ich nur unterstreichen. Es zeigt aber auf einer höheren Ebene noch was anderes. All dies gelingt nur, wenn eine gemeinsame Basis vorliegt. Kein Schüler kann in dieser Geschwindigkeit einen vollkommen kulturellen Switch vollziehen. Dass es trotzdem so schnell gelungen ist, zwischen den ukrainischen und deutschen Schülern eine gemeinsame Basis zu schaffen, zeigt, dass man dieselben Werte teilt. Dies liefert auch eine Erkenntnis zur Frage, ob die Ukraine Teil von Europa ist, genau an solchen Stellen kann dies gemessen werden.