zurück
Haßfurt
Impfpflicht im Gesundheitswesen: Wie groß die Unsicherheit im Haßbergkreis ist
Der von der Staatsregierung angekündigte Sonderweg sorgt für Verwirrung. Das sagen die Haßberg-Kliniken sowie Arbeiterwohlfahrt und Caritas zur aktuellen Entwicklung.
Betroffene Träger aus dem Haßbergkreis sprechen sich für eine allgemeine Impfpflicht aus.
Foto: Sven Hoppe, dpa | Betroffene Träger aus dem Haßbergkreis sprechen sich für eine allgemeine Impfpflicht aus.
Lukas Reinhardt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:02 Uhr

Die Ratlosigkeit im Gesundheitswesen nimmt zu, der Ärger auch. Grund ist der Schlingerkurs der bayerischen Landespolitik bei der sogenannten einrichtungsbezogenen Corona-Impfpflicht. Im Dezember vom Bundestag beschlossen, sollte sie am 16. März 2022 in Kraft treten und bis Ende des Jahres gelten. Dann kündigte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an, das Gesetz vorerst nicht umzusetzen zu wollen. Er sprach aufgrund der ohnehin angespannten Personallage in der Pflege von "großzügigsten Übergangsregelungen". Das war am Montag. Am Donnerstag dann die kleine Rolle rückwärts von Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, ebenfalls CSU: Die Pflege-Impfpflicht komme, wenn die Umsetzung klar sei. Nun war nur noch von ein "paar Wochen" Verzögerung die Rede.

Seither ist die Verwirrung noch größer, als sie es ohnehin schon war.  Auch unter den betroffenen Trägern von Pflege- und Gesundheitseinrichtungen im Haßbergkreis. "Dieses Hin und Her kratzt inzwischen auch an unserer Glaubwürdigkeit. Viele Mitarbeiter unterscheiden nicht mehr zwischen dem Arbeitgeber und der Politik", ärgert sich etwa Ulrike Hahn vom AWO-Bezirksverband Unterfranken, der Seniorenheime in Zeil und Knetzgau betreibt. Sandra Partosch, Leiterin der Knetzgauer Einrichtung, bestätigt: "Mittlerweile ist die Frustration und die Ungewissheit der sich ständig ändernden Regeln und Vorgaben für viele Mitarbeiter kaum noch zu ertragen."

Landratsamt Haßberge tappt weiterhin im Dunkeln

Aber nicht nur die Einrichtungen hängen derzeit in der Luft, sondern auch das Gesundheitsamt im Landratsamt Haßberge. Die Behörde wird die Corona-Impfpflicht am Ende durchsetzen müssen. Doch seit Wochen wartet man dort auf konkrete Anweisungen und Vorgaben aus dem Gesundheitsministerium in München. Nun, nach den Äußerungen Söders, stellte man sich im Landratsamt zudem die Frage, "in welcher Form von der bundesweiten einrichtungsbezogenen Impfpflicht abgewichen werden soll". Eine Antwort gibt es bislang offenbar nicht. Für Klarheit sorgen die Aussagen der vergangenen Tage nicht.

Bislang besagt der Beschluss des Bundestags nur, dass ab dem Stichtag 16. März Beschäftigte "in Gesundheitsberufen und Berufen, die Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen betreuen" eine vollständige Impfung gegen das Coronavirus nachweisen müssen. In der Kreisbehörde geht man davon aus, dass in den Haßbergen die Impfquote in den betroffenen Einrichtungen zwischen 85 und 90 Prozent liegt, so eine Schätzung. Zu den Beschäftigten gehöre jedoch das gesamte Personal, nicht nur Pflege- und Betreuungskräfte. Genauere Zahlen gebe es weiterhin nicht.

Einrichtungen tendieren zu einer allgemeinen Impfpflicht

Eine Nachfrage bei den großen Trägern aus dem Gesundheits- und Pflegewesen im Landkreis zeichnet zumindest ein grobes Bild, wie viele Menschen von der Impfpflicht betroffen sind. So sprechen die Haßberg-Kliniken von insgesamt 950 Beschäftigten, darunter auch jene in den Tochterunternehmen. Der Caritasverband zählt - je nach Auslegung - 302 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die AWO 205. Die tatsächliche Zahl der Betroffenen dürfte am Ende aber noch deutlich höher liegen. Insgesamt fallen laut Landratsamt 40 Pflegeeinrichtungen und - dienste unter die Impfpflicht - stationär, teilstationär und ambulant. Hinzu kommen Arzt- und Zahnarztpraxen.

Laut Landratsamt Haßberge fallen 40 Pflegeeinrichtungen und - dienste unter die Impfpflicht - stationär, teilstationär und ambulant.
Foto: Sina Schuldt, dpa | Laut Landratsamt Haßberge fallen 40 Pflegeeinrichtungen und - dienste unter die Impfpflicht - stationär, teilstationär und ambulant.

Wilfried Neubauer, Vorstand der Haßberg-Kliniken, hält die Impfpflicht in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen für grundsätzlich vernünftig. Sie trage dazu bei, "vulnerable Gruppen zu schützen", erklärt Neubauer. Doch sie könne nur "ein erster Schritt hin zu einer allgemeinen Impfpflicht sein". Und die wiederum müsse durch die Omikron-Variante neu bewertet werden.

"Es wird mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht suggeriert, Pflegekräfte wären für die Ausbrüche in den Einrichtungen verantwortlich."
Ulrike Hahn, AWO-Bereichsleiterin Senioren und Reha

Deutlich weniger diplomatische Töne sind vonseiten der Arbeiterwohlfahrt zu hören: "Es wird mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht suggeriert, Pflegekräfte wären für die Ausbrüche in den Einrichtungen verantwortlich", sagt Ulrike Hahn, Bereichsleiterin Senioren und Reha. "Dabei haben sie in den ersten Wellen ihre eigene Gesundheit gefährdet, ohne Schutzausrüstung gearbeitet, um die vulnerablen Bewohner zu versorgen." Die Kolleginnen und Kollegen fühlten sich nun als Sündenböcke der Gesellschaft, egal ob geimpft oder nicht, das sagt auch Sandra Partosch. "Wenn es eine Impfpflicht geben soll, dann für alle", findet sie.

Vom Caritasverband im Landkreis Haßberge kommt vor allem Kritik an der Umsetzung des Gesetzes. "Auch heute sind einfach viel zu viele Fragen ungeklärt", sagt Geschäftsführerin Anke Schäflein. Dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht kam, wertet sie als in Teilen nachvollziehbare Notlösung. "Als damals im Herbst diskutiert wurde, befanden wir uns noch unter dem Einfluss der hochgefährlichen Delta-Variante", sagt Schäflein. "Der Staat musste seine Fürsorgepflicht wahrnehmen und die vulnerablen Gruppen schützen." Nun aber, das sagt auch Schäflein, sei eine Neubewertung nötig.

Novavax soll Abgang von Fachkräften verhindern

Derweil sieht Klinik-Vorstand Wilfried Neubauer in einer möglichen Aussetzung auch Vorteile. So hätten zu einem "späteren Zeitpunkt auch Beschäftigte, die sich für Novavax entschieden haben, einen vollständigen Impfschutz". Tatsächlich nährt das neue Vakzin des US-Herstellers Novavax die Hoffnung, die akuten Folgen einer Impfpflicht für die Personaldecke in den Einrichtungen zumindest abzumildern. Beschäftigte, so der Plan der Politik, sollen bei der Immunisierung mit Nuvaxovid priorisiert werden. Damit soll eine eventuelle Abwanderung von Fachkräften verhindert werden.

"Drei Mitarbeiter haben uns bereits wegen der angekündigten Impfpflicht verlassen", sagt Ulrike Hahn über die Lage ihrer AWO-Einrichtungen im Haßbergkreis. Sie spricht von derzeit 16 ungeimpften Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. "Davon werden sich voraussichtlich sechs mit dem Totimpfstoff impfen lassen", so Hahn. Das Landratsamt Haßberge setzt offenbar keine allzu große Hoffnung mehr in das neue Vakzin: "Nach jetzigem Kenntnisstand ist ein Bedarf an dem Proteinimpfstoff Novavax im Gesundheitswesen vorhanden, wird aber vermutlich keine grundlegende bzw. flächendeckende Steigerung der Impfquote bewirken."

Einrichtungen werden mit Ungewissheit planen müssen

Angesichts der fortbestehenden Ungewissheit bleibt den Einrichtungen nichts anderes übrig, als sich an den bisherigen Vorgaben festzuhalten. So plane man weiterhin mit dem Stichtag Mitte März, heißt es vonseiten der Haßberg-Kliniken. "Maßgeblich sind für uns die gesetzlichen Vorgaben bzw. der Verwaltungsvollzug", sagt Vorstand Winfried Neubauer. "Pressemeldungen nehmen wir lediglich zur Kenntnis." Andrea Hahn von der Arbeiterwohlfahrt findet: "Es wäre wichtig, dass die Politik nicht nur Entscheidungen und Aussagen trifft, sondern auch die Folgen berücksichtigt." Mit Blick auf den derzeitigen Schlingerkurs der bayerischen Landespolitik sagt Anke Schäflein von der Caritas. "Mich überrascht und erschreckt dieser Tage nichts mehr."

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Haßfurt
Ebern
Eltmann
Zeil
Knetzgau
Hofheim
Maroldsweisach
Wonfurt
Theres
Königsberg
Sand am Main
Lukas Reinhardt
Arbeiterwohlfahrt
CSU
Caritas
Coronavirus
Deutscher Bundestag
Gesundheitsminister
Impfpflicht
Impfstoffe
Klaus Holetschek
Markus Söder
Seniorenheime
Zahnarztpraxen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top