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Ein Leben als Hund: Christian Christ aus Theres liebt es, in die Rolle der Dogge Scooby zu schlüpfen
Der 42-Jährige gehört der Pup-Play-Szene nicht nur an, er ist derzeit ihr deutsches Aushängeschild. Und will das Rollenspiel auf dem Lande bekannter machen.
Sie lieben das Rollenspiel als Hunde: 'Puppy Germany 2024' Christian Christ (rechts) mit seinem Partner Kevin in der freien Natur.
Foto: René Ruprecht | Sie lieben das Rollenspiel als Hunde: "Puppy Germany 2024" Christian Christ (rechts) mit seinem Partner Kevin in der freien Natur.
Martin Sage
 |  aktualisiert: 03.12.2024 09:47 Uhr

Er sei schon als Kind ein Hundefan gewesen, sagt Christian Christ. Heute lebt der 42-jährige Systembetreuer aus Theres selbst als Hund. Nicht rund um die Uhr, aber mehrmals die Woche für ein paar Stunden. Dann ist er die Dogge Scooby. In diese Rolle schlüpft Christ so überzeugend, dass er im August in Hamburg zum "Puppy Germany 2024" gekürt wurde, zum deutschen Welpen des Jahres gewissermaßen. Christian Christ liebt also das Pup Play oder Puppy Play. Die Redaktion hat mit ihm über sein "Hundeleben" gesprochen und zudem einen Experten zum Thema befragt. 

Weder als Mensch noch als Hund ist Christian Christ Single. Er lebt in einer festen Partnerschaft mit Kevin (29), der sich ebenfalls gerne in eine Dogge verwandelt und dann Milou heißt. Sind die beiden gerade Vierbeiner, dann tragen sie als auffälligstes Merkmal aller Pup-Play-Fans Neoprenmasken mit Schnauzen und langen Ohren, die einem Hundegesicht ähneln. Hinzukommen können Halsband und Leine und alle Arten von Hundespielzeug und -accessoires. "Dann spielen wir miteinander, wie Hunde eben spielen, manchmal über Stunden hinweg", sagt Christian Christ.

Und ja, das Hundespielen habe für sie auch eine erotische Komponente, erklärt Christ, der mit seiner Homosexualität offen umgeht. Aus eben diesem Umfeld kommt das Pup Play auch. Es ist in den 1940-er und 50-er Jahren in den USA entstanden, hat sich in der queeren Community aus der BDSM-Szene entwickelt, war ursprünglich also gekennzeichnet durch die Trennung zwischen unterwürfigem Hund ("puppy") und dominantem Herrchen ("handler") und oft sadomasochistischen Praktiken.

Jeder kann das Pup Play so ausleben, wie er will, findet Christian Christ (rechts). Manchmal besteht es für ihn und seinen Partner einfach nur aus einem Spaziergang im Wald.
Foto: René Ruprecht | Jeder kann das Pup Play so ausleben, wie er will, findet Christian Christ (rechts). Manchmal besteht es für ihn und seinen Partner einfach nur aus einem Spaziergang im Wald.

Noch spiele sich Pup Play vor allem im Schwulen-Milieu ab, berichtet Christian Christ. Aber das ändere sich allmählich, wie überhaupt die Betonung des sexuellen Kontextes nachlasse. Vielen Gleichgesinnten gehe es einfach um den Spaß am Rollenspiel oder darum, in einer scheinbar unbeschwerten Hundewelt abzuschalten vom menschlichen, oft als stressig empfundenen Alltag.

Als "Headspace" bezeichnet der 42-Jährige den mentalen Idealzustand, den er als Scooby erreichen kann: Ganz in der Gedankenwelt eines Hundes versunken, ausschließlich im Hier und Jetzt, ohne Gestern, Morgen und Sorgen. "Pup Play kann auch eine Art Therapie sein", stellt er fest. Sein Vorbild ist übrigens die Deutsche Dogge Scooby-Doo aus der gleichnamigen US-Zeichentrickserie. 

"Die Szene wünscht sich mehr Frauen und Heteros"

Dass das Pup Play in einem Wandel begriffen ist, bestätigt der Ethnologe Konstantin Mack (28). Er hat 2022 an der Universität Würzburg seine Masterarbeit mit dem Titel "Hund müsste man sein – Kulturanthropologische Perspektiven auf Pup Play" vorgelegt. Daraus geht hervor: Das menschliche Hundedasein ist heutzutage an kein Geschlecht und keine sexuelle Orientierung mehr gebunden. Im Gegenteil: "Die Szene wünscht sich mehr Frauen und Heteros, also das Aufbrechen alter Muster", beschreibt Mack im Gespräch mit der Redaktion die aktuelle Entwicklung. 

Insgesamt beobachtet der Wissenschaftler, der mittlerweile an der Universität Wien promoviert, jene  "Entsexualisierung" des Pup Plays, von der auch Christian Christ spricht. Viele Puppys hätten einfach Freude an der Selbstdarstellung in der analogen Welt oder im digitalen Raum, und Freude an der Erstellung eigener, oft ausgefeilter Hundecharaktere. Und: "Die sozialen Aspekte rücken stärker in den Vordergrund", sagt Ethnologe Mack: Es geht um gemeinsame Aktionen, um Treffen, Stammtische, Ausflüge, all das, was auch die Menschen gerne in Gemeinschaft tun, die sich keine Hundemaske überziehen. In jedem Falle also ist das Pup Play vielseitiger geworden, "ein jeder kann das so ausleben, wie er mag", findet Christian Christ.

Großes Treffen der Franken Puppys in Eltmann. Christian Christ organisiert Stammtische und zahlreiche Events für die Gemeinschaft.
Foto: Sascha Rauhut | Großes Treffen der Franken Puppys in Eltmann. Christian Christ organisiert Stammtische und zahlreiche Events für die Gemeinschaft.

Wie viele Menschen sich für das Pup Play begeistern, sei schwer zu sagen, meint Konstantin Mack. "Die meisten sind unsichtbar und wollen das auch bleiben." Er selbst geht im deutschsprachigen Raum von 8000 bis 12.000 Anhängern aus. Sie haben mittlerweile eine gemeinsame Plattform und Interessensvertretung: den 2020 in Hannover gegründeten Pup Play Germany e.V. Der gemeinnützige Verein will unter anderem erreichen, dass Pup Play "als eine erweiterte Realitätsform des friedlichen Zusammenlebens von Menschen" anerkannt und verstanden werde – und das nicht nur innerhalb der LGBTIQ*-Gesellschaft, wie es auf der Homepage heißt.

Mehr Sichtbarkeit der Puppys im ländlichen Raum

Als "Puppy Germany 2024" ist Christian Christ ein Jahr lang das Aushängeschild von Pup Play Germany. Für seine einjährige Amtszeit nennt er zwei Hauptprojekte: Einmal den Kampf gegen das Bodyshaming (abwertende Äußerungen über das Aussehen anderer vor allem in sozialen Netzwerken), das es leider auch innerhalb der Szene gebe, wie er bedauert. Sein oberstes Ziel aber sei es, Puppies aus dem ländlichen Raum mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Zum Beispiel durch die Teilnahme an Christopher Street Days in kleineren Städten wie Haßfurt.

Halsband und Leine: Das Pup Play übernimmt viel aus der Hundwelt. 'Manche haben sogar einen Zwinger zuhause', sagt Christian Christ, der hier die Leine hält.
Foto: René Ruprecht | Halsband und Leine: Das Pup Play übernimmt viel aus der Hundwelt. "Manche haben sogar einen Zwinger zuhause", sagt Christian Christ, der hier die Leine hält.

In Eltmann hat Christian Christ einen regelmäßigen Stammtisch für die "Franken Puppys" als regionalem Kooperationspartner von Pup Play Germany eingerichtet. Auf sich aufmerksam gemacht haben die Franken Puppys aber vor allem durch Ausflüge zum Zeiler Käppele "auf Hundepfoten" oder im Sommer zum Stettfelder Baggersee: "Da waren wir dann sogar mit den Masken im Wasser", erzählt "Scooby". Kürzlich sorgten die zweibeinigen Vierbeiner am Rande eines Fußballspiels für verdutzte Gesichter. Und im Januar will Christ mit seinen Puppys in der Haßfurter Eishalle Schlittschuhlaufen gehen. An manchen dieser Treffen kommen über 100 Herrchen, Frauchen und Hunde zusammen.

"Jeder soll leben dürfen, wie er es für richtig hält"

Die meisten Menschen begegneten ihnen "durchaus aufgeschlossen, mit Neugierde und Interesse", hat Christian Christ erfahren. Aber es gebe auch die andere Seite, den zunehmenden Rassismus in der Gesellschaft allgemein und den Hass auf die queere Community im Speziellen, das mache ihm schon Sorgen. Und was sagt Christian Christ jenen, die seine zweite Existenz als pervers, als unmoralisch empfinden? "Jeder soll so leben dürfen, wie er es für richtig hält, solange er anderen damit keinen Schaden zufügt", lautet seine Antwort.

 
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Kommentare
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  • Christian Christ
    Ich möchte mich nochmals ganz herzlich bei der gesamten Redaktion und vor allem bei Herrn Sage bedanken, dafür das er sich die Zeit genommen hat, und es mir ermöglicht hat, das Thema Puppy bzw. Pupplay den Menschen im Landkreis näher zu bringen.
    Wer sich persönlich dafür interessiert findet direkten Kontakt in Instagram scoobydoo_82_official und kann gerne mit mir in Kontakt treten.

    Nochmal ein ganz großes WOOF WOOF an alle Leser und Leserinnen.
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  • Michael Appel
    OK , ich habe auch Shirts von Fox die ziehte ich zum Mountainbiken an aber jetzt nicht mehr nach diesen Artikel.
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  • Peter Koch
    Ich freue mich schon auf folgende Schlagzeile.
    "Moutainbiker fährt nur noch nackt! Will nicht für Pup-Player gehalten werden."
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  • Harry Amend
    Die Szene gibt es schon sehr lange, dürfte aur der Furry Szene entstanden sein, die es seit Mitte der 90er Jahre ihren Ursprung in den USA hatte.
    In Deutschland scheinen die eigenen Ideen auszugehen, wenn man sich mal überlegt was wir alles von den Amis übernehmen bzw. übernommen haben. Traurig aber wahr.
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  • Dietmar Eberth
    Nichts für mich. Und es gibt viele weitere Phantasien die nichts für mich sind.
    Aber solange niemand geschädigt wird und alles freiwillig ist, dann lasst den Menschen ihren Spass. Jeder darf nach seiner Fasson glücklich sein.
    Schön das wir in einem freien Land wie Deutschland leben wo der Staat (oder einige andere) dem Einzelnen nicht vorschreiben kann wie er/sie zu leben hat.
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  • Martin Hofgesang
    Leben und Leben lassen sage ich da.

    Was für den einen die Meditation ist für den anderen das Pup-Play. Warum nicht? In Zeiten psychischer Alltagsherausforderungen ist jedes Mittel recht um wieder runter zu kommen.
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  • Peter Koch
    Eine Form des Infantilismus. In Wikipedia kann man dazu lesen „Mitteilungsdrang gegenüber Fremden, Indiskretion; ein gewisser Zeigestolz; der Hang, seinen Spiel- und Zerstreuungsbedürfnissen zu fast jeder Zeit und ohne Rücksicht auf die Umgebung nachzugehen“ sowie die „fortlaufende Preisgabe des Privaten, Persönlichen“
    Solche Leute nehme ich einfach nicht für voll.
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  • Irmgard Engert
    Gehen der Mainpost die Themen aus?
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  • Martin Sage
    Liebe Frau Engert,
    die Antwort auf Ihre Frage finden Sie, so hoffe ich, auf der Main-Post-Homepage: Hier sehen Sie, dass uns die Themen nicht ausgehen. Und: Wir wollen die verschiedensten Aspekte des Lebens beleuchten und unseren Leserinnen und Lesern auch von Dingen berichten, die über die vertraute Welt hinausgehen. Wir hoffen, Sie in dieser Hinsicht noch oft überraschen zu können.
    Mit freundlichen Grüßen aus der Redaktion Haßberge, Martin Sage
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  • Irmgard Engert
    Na da bin ich gespannt!
    Ich habe auch absolut nichts gegen diese Spielereien - ich find es sehr belustigend.
    Was ich mich nur frage, ob diese gesellschaftliche Randerscheinung so eine große Bedeutung hat, dass man so einen ausführlichen Bericht dazu zu lesen bekommt?!
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  • Christian Christ
    Sehr geehrte Frau Engert,

    an diesem Artikel so nichts belustigendes dargestellt werden, es geht darum den Leser und Leserinnen das Thema Puppy bzw. Pupplay besser zu verläutern.
    Als amtierender Puppy Germany 2024 habe ich mir zum Ziel gesetzt das ganze im ländlichen Raum publik zu machen, und interessierten Menschen bzw. Puppies die noch nicht in der Öffentlichkeit sind den Mut zu geben sich zu zeigen.
    Ich hoffe deshalb das Sie und andere nun verstehen weshalb das ganze wichtig für mich ist.

    Mit freundlichen Grüßen

    Scooby
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  • Dominik Temming
    Okay, wir halten fest: Wenn in der Würzburger Nikolausbahn ein paar Leute feiern und sich nackt ausziehen, könnte das strafrelevant sein und ist nicht akzeptabel. Aber wenn sich erwachsene Männer als Hunde verkleiden und im erotischen Kontext miteinander spielen, geht das klar. Okay, verstanden....
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