Dienstagmorgen, 5. März, kurz nach Sonnenaufgang: Björn Viohl hat einen langen Arbeitstag vor sich. Am Haßfurter Flugplatz wartet er mit seinem Auto und einem Anhänger auf die Ankunft eines Flugzeugs mit besonderer Fracht. Seine Aufgabe: Diese Fracht entgegennehmen und zu den Endkunden bringen. Dafür wird er an diesem Tag kreuz und quer durch Bayern fahren und an insgesamt 40 Orten die Styroporboxen abliefern, die er von der Flugzeugbesatzung bekommt. In diesen Boxen befinden sich lebende Fische.
Genauer gesagt: Glasaale. So werden junge Aale genannt, die schon über das Larvenstadium hinaus, aber noch nicht ausgewachsen sind. Der Name kommt daher, dass die Fische in dieser Lebensphase noch einen durchsichtigen Körper haben. Der Zweck des ungewöhnlichen Tiertransportes: Die Fische sollen ausgewildert werden. "Ohne den Besatz würde der Aal aussterben", erklärt Björn Viohl – zumindest in den Teilen Europas, die weit von der Atlantikküste entfernt sind.
Große Wanderbewegungen: Die weite Reise der Aale
Denn die Fische legen im Lauf ihres Lebens große Wanderungen zurück. Die ausgewachsenen Tiere leben im Süßwasser, ziehen aber zum Laichen ins Meer. Vor der Eiablage durchqueren sie den Atlantik bis in die Sargassosee vor der Küste Floridas. Dort kommt der Nachwuchs zur Welt, der das dreijährige Larvenstadium im salzigen Ozeanwasser verbringt und in dieser Zeit viele tausend Kilometer weit von der amerikanischen zur europäischen Küste getrieben wird. Danach ziehen die Jungfische ins Süßwasser und wandern die Flüsse entlang in alle möglichen Teile Europas.
Zumindest wäre das der natürliche Lauf ihrer Wanderbewegungen. Doch mittlerweile funktioniert das nicht mehr, wie Björn Viohl erklärt: "Es ist alles verbaut und begradigt", sagt er. "Und die Fischtreppen funktionieren nicht." Bei Fischtreppen handelt es sich um künstlich angelegte Wasserläufe, die den Tieren ihre Wanderungen ermöglichen sollen, wo das beispielsweise durch Schleusen, Wehre und andere menschengemachte Hindernisse sonst nicht möglich wäre. Fischexpertinnen und -experten kritisieren allerdings, die Treppen seien oft unzulänglich angelegt und die Tiere würden den Eingang nicht finden.
Transport mit dem Flugzeug: Schonender für die Fische
Hier kommen Unternehmen wie "UK Glass Eels" aus dem englischen Gloucester ins Spiel. Sie fangen die kleinen Glasaale an Flüssen in der Nähe der Atlantikküste und transportieren sie dann nach Deutschland oder noch weiter Richtung Osten. Die Kunden dieser Firmen sind vor allem Angelvereine, die ein Interesse daran haben, in den heimischen Gewässern auch weiterhin Aale zu haben. Deshalb lassen sie sich die Babyfische liefern, um sie bei sich auszuwildern.
Eine Besonderheit bei UK Glass Eels: Während andere Anbieter die Fische vor allem mit Straßenfahrzeugen transportieren, haben die Briten ein eigenes Flugzeug, mit dem sie die Tiere von einem Land zum anderen bringen. Denn damit geht der Transport deutlich schneller, was vor allem auch für die Fische mit weniger Stress verbunden ist.
Es ist diese UK-Glass-Eels-Maschine, auf die Björn Viohl am Flugplatz Haßfurt wartet. Um 7 Uhr morgens landet der Flieger. Und nach einer kurzen Begrüßung beginnt das Team, die Boxen mit den Aalen vom Frachtraum des Fliegers in Viohls Autoanhänger umzuladen. Am Tag davor ist David Blennerhassett von UK Glass Eels zusammen mit seinem Piloten von Gloucester aus aufgebrochen – erst einmal nach Westfrankreich, um dort die Glasaale ins Flugzeug zu laden, die dort schon einige Tage zuvor gefangen worden waren.
Warum der Brexit das Geschäft von UK Glass Eels verändert hat
Am Dienstag ging es dann frühmorgens weiter nach Haßfurt. Im Frachtraum: 255 Boxen voller lebender Glasaale, die Björn Viohl an etwa 40 Kunden in ganz Bayern verteilen soll. Rund 600 Kilometer wird er dafür unterwegs sein. Sein Plan ist, die letzten gegen 18 Uhr abzuliefern.
Bis vor einigen Jahren, so berichtet Blennerhassett, hat die britische Firma die Fische noch in England gefangen, um sie von dort aus in ganz Europa zu verteilen. Doch seit dem Brexit ist das nicht mehr erlaubt. Die Briten können die Tiere zwar mit ihrem Flugzeug transportieren, fangen müssen sie sie aber in der Europäischen Union. Da ist es ein Glücksfall für UK Glass Eels, dass die Firma schon lange mit dem Französischen Partner "Civelle Durable France" zusammenarbeitet.
"Das ist die einzige Möglichkeit, die Firma am Laufen zu halten", sagt Blennerhassett im Gespräch mit dieser Redaktion, das auf Englisch stattfindet. Dennoch verursache der Austritt Großbritanniens aus der EU für das Unternehmen einige Probleme; es seien Märkte weggebrochen – unter anderem auch, was die Lieferung von Fischen nach Irland angeht.
Ende der Saison: Noch ein Flug nach Polen, dann ist Pause bis zum nächsten Winter
Ein Blick in eine der Transportboxen zeigt, wie die winzigen Fische dort herumwuseln. Ein Kilogramm Glasaale befinden sich in einer der Styroporboxen – Das entspreche einer Zahl von rund 3300 Tieren, meint Björn Viohl. David Blennerhassett korrigiert das allerdings ein bisschen nach unten: Diesmal seien die Fische schon relativ groß, sodass ein Kilo eher einer Zahl von 2500 entspreche. Auf seinem Handy zeigt er ein Video, auf dem zu sehen ist, wie die Glasaale in Frankreich mit Fangnetzen aus den Flüssen gefischt werden.
Die Saison ist bald zu Ende. Von November bis Februar werden die Glasaale in Frankreich gefangen, Anfang März liefern David Blennerhassett und seine Kollegen die letzten mit Fischen gefüllten Boxen aus. Dieser Besuch in Deutschland ist somit seine vorletzte Reise auf den europäischen Kontinent für diese Saison. Nach dem Ausladen und Auftanken in Haßfurt geht es mit dem Flieger direkt zurück nach Gloucester. In der darauffolgenden Woche steht noch eine Aal-Lieferung nach Polen an, danach ist Pause bis zum nächsten Winter.
Gewisse Sorgen macht er sich mit Blick auf die nächste Saison: "Behörden wollen den Fischfang begrenzen", sagt er. Im Gespräch sei daher eine Verkürzung der Saison: Möglicherweise dürfen Glasaale in Frankreich künftig nur noch bis Ende Januar gefangen werden - wenig Zeit für UK Glass Eels, um alle Kunden zu bedienen. "Für Deutschland und Polen könnte es dann schwierig werden, Aale zu bekommen", mein Blennerhassett.