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Lohr
Aus dem Westatlantik in den Main
Ein Helfer der Fischerzunft Lohr entlässt einen Teil der jungen Aale am Lohrer Mainufer in den Fluss.
Foto: Johannes Ungemach | Ein Helfer der Fischerzunft Lohr entlässt einen Teil der jungen Aale am Lohrer Mainufer in den Fluss.
Johannes Ungemach
 |  aktualisiert: 05.04.2020 02:10 Uhr

Die Zahl der Aale im Main zwischen Erlach und Neuendorf ist in der vergangenen Woche sprunghaft angestiegen. Innerhalb von nur einer halben Stunde kamen rund 15 000 Exemplare des schlangenartigen Fisches hinzu. Allerdings wird sie vorerst niemand zu Gesicht bekommen, auch kein Angler. Denn die jungen Aale sind nur wenig mehr als fünf Zentimeter lang, kaum mehr als zwei Millimeter dick und teils durchsichtig.

Diese sogenannten Glasaale in den Main eingesetzt hat die Fischerzunft Lohr. Bei der jahrhundertealten Vereinigung liegen die Fischereirechte für den Mainabschnitt zwischen den Flusskilometern 191,6 und 206, also von kurz oberhalb von Erlach flussaufwärts bis hinter Neuendorf. Alljährlich beschickt die Fischerzunft in diesem Bereich den Main mit tausenden Fischen, Hechten, Zandern, Flusskarpfen und eben auch Aalen. Im Jahr 2019 gab sie dafür rund 20 000 Euro aus.

Vorgaben zur Besatzmenge

Auch um den von Anglern verursachten Schwund am Fischbestand auszugleichen, ist die Zunft gesetzlich zum Besatz verpflichtet. Mindestens die Hälfte des Erlöses aus dem Verkauf von Angelkarten muss sie dafür investieren. Die Lohrer Fischerzunft gebe jedoch Jahr für Jahr gar fast zwei Drittel der Einnahmen für Fische aus, so ihr Vorsitzender Alfred Höfling.

Geliefert hat die in Kartons und Beutel verpackten Glasaale der Fischzuchtbetrieb Groß aus Gersfeld in der Rhön. Anders, als es der Name vermuten lässt, wurden die Fische jedoch nicht dort gezüchtet. Denn beim Aal ist dem Menschen die Nachzucht bislang noch nicht gelungen. Das dürfte an der ungewöhnlichen Lebensweise der Tiere liegen.

Die nun im Main ausgesetzten Aale haben das Licht der Welt beziehungsweise die Finsternis der Tiefsee viele tausend Kilometer entfernt erblickt. Die Laichgewässer liegen in der Sargassosee vor der Ostküste der USA. Von dort treiben die Aallarven mit dem Golfstrom über den Atlantik. Nach etwa drei Jahren kommen sie als Glasaale an den Küsten von Europa und Nordafrika an.

Normalerweise würden die Aale von dort die Flüsse hinauf wandern, auch in den Main. Flusskraftwerke erschweren diese Wanderung stark. Deswegen werden die Glasaale im Unterlauf der Flüsse gefangen, um sie wie nun im Main wieder freizulassen.

Laut Höfling wachsen die winzigen Aale in den nächsten sechs bis zehn Jahren im Main zur Geschlechtsreife heran. Die Weibchen können über einen Meter lang und sechs Kilo schwer werden. Die Männchen messen nur selten mehr als 50 Zentimeter.

Geschlechtsreife Aale machen sich im Herbst aus dem Main auf zur großen Wanderung. Ihr Ziel sind die Laichgewässer im Atlantik, die freilich nur die wenigsten erreichen. Erneut sind es die Turbinen der Flusskraftwerke, die dem stets der stärksten Strömung folgenden Aal zum Verhängnis werden. Höfling verweist auf Untersuchungen, wonach pro Kraftwerk rund ein Drittel der Aale verletzt oder getötet werden.

Die Aale, die es bis ins Meer schaffen, wandern in bis zu 1000 Metern Tiefe im Atlantik gen Westen. Nach rund einem Jahr erreichen sie ihre Geburtsregion, die Sargassosee. Dort laichen sie ab. Nachdem die Aale die ganze Wanderung ohne Nahrungsaufnahme bewältigt und nur von ihren Fettreserven gezehrt haben, sterben sie nach dem Ablaichen. Der Nachwuchs indes tritt die weite Reise nach Osten an – um irgendwann womöglich wieder als junger Glasaal im Main zu landen.

Die schlangenartigen Glasaale sind nur wenige Zentimeter lang. Jeder von ihnen kostet rund 20 Cent.
Foto: Johannes Ungemach | Die schlangenartigen Glasaale sind nur wenige Zentimeter lang. Jeder von ihnen kostet rund 20 Cent.
Glasaale als Schmuggelware
Der Preis der nun von der Fischerzunft Lohr im Main ausgesetzten jungen Glasaale unterlag in den vergangenen Jahren großen Schwankungen. Laut Alfred Höfling, dem Vorsitzenden der Fischerzunft, erreichte er zwischendurch "astronomische Höhen". Grund war und ist, dass die Glasaale in Teilen Südeuropas und in China als Delikatesse gelten, weswegen sich ein lukrativer illegaler Fang und Handel entwickelte. Laut Medienberichten lagen die Gewinnspannen dabei zeitweise über denen des Drogenhandels. Mehrere hundert Millionen Euro soll die "Aal-Mafia" so pro Jahr umsetzen.
Laut Höfling haben sich die Preise mittlerweile jedoch stabilisiert. Die Fischerzunft zahle für rund 12 000 Aale nun gut 3200 Euro. Das Angeln ist übrigens auch in Corona-Zeiten trotz Ausgangsbeschränkung erlaubt. Das stellt das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten inzwischen auf seinem Internetauftritt klar. Das Verlassen der Wohnung sei für Sport und Bewegung an der frischen Luft gestattet. Das gelte neben der Jagd auch für das Angeln, allerdings nur allein oder zusammen mit Menschen, mit denen man in einem Haushalt lebt, so das Ministerium.
 
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