Ihn hat es bereits getroffen. Andreas Bauer ging im Frühjahr 2021. Genau wie 66 weitere Kolleginnen und Kollegen des Mannes, der über viele Jahre hinweg am Standort in Ebern beschäftigt war. "Wenn man Valeo besser kennenlernt, merkt man, dass der einzelne Mensch diesen Konzern nicht interessiert", sagt er. Bauer heißt eigentlich anders. Sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt, um ihn zu schützen wurde er geändert. Damals, erzählt Bauer, sei im Betrieb eine Liste herumgegangen. Darauf Tätigkeiten, die laut Automobilzulieferer Valeo künftig nicht mehr gebraucht würden. Die Beschreibungen trafen auch auf ihn zu. Andreas Bauer wählte den Absprung: "Unfreiwillig freiwillig, auf dem Papier am Ende einvernehmlich", sagt er heute. "Ich wäre damals gerne geblieben - bis zur Rente."
Andreas Bauer arbeitete in der Entwicklung, in der Vergangenheit gestaltete seine Abteilung die Zukunft des Standorts in Ebern maßgeblich mit. Doch diese Zukunft könnte nun auf dem Spiel stehen. Denn auch jetzt, im Frühjahr 2022, droht ein Abbau: 80 weitere Stellen möchte Valeo streichen, wie der Betriebsrat bereits im Oktober 2021 bekannt gab. Und wieder könnte es mit der Entwicklung das Herzstück treffen. Blutet das Werk in Ebern langsam aus? Und was würde das für die Menschen und die Region als Wirtschaftsstandort bedeuten?
Anzahl der Beschäftigten in Ebern seit Jahren rückläufig
Im Jahr 2016 hatte der französische Großkonzern mit Sitz in Paris den unterfränkischen Automobilzulieferer FTE übernommen. Seither sind am Standort in Ebern rund 400 Stellen verloren gegangen, wie es von Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern immer wieder hieß. Das Unternehmen spricht auf seiner konzerneigenen Homepage von derzeit 1340 Beschäftigten, Tendenz aber offenbar sinkend. Weiter heißt es dort über das Werk in Ebern: "Hier werden richtungsweisende Lösungen für die mobile Welt von morgen entwickelt und produziert."
Doch genau diese Stärke, nämlich eigenständig neue Produkte für den Markt zu konzipieren, könnte mit der erneuten Entlassungswelle verloren gehen - und mit ihr die Wettbewerbsfähigkeit, so die Befürchtung von Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern. Der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze in der Entwicklung, er ist auch ein Ringen um die künftige Ausrichtung des Werks. Während der Mutterkonzern in seiner Strategie bereits auf die Entwicklung und Fertigung von Technologie für autonomes Fahren und Elektromobilität setzt, stellt der Standort in Ebern weiter vorwiegend Bauteile her, die stark am Verbrenner hängen, wie etwa Getriebe- und Kupplungsapplikationen. Ein Auslaufmodell?
Schon im Herbst 2021 hatten Vertreterinnen und Vertreter des Betriebsrates und der Gewerkschaft IG Metall unter dem Motto "Zukunftsmusik statt Streichkonzert" ihre Bestürzung über den erneuten geplanten Stellenabbau zum Ausdruck gebracht. Sie forderten die Geschäftsführung zu Gesprächen über die künftige Ausrichtung auf, offenbar mit Erfolg. Doch zu den Inhalten der derzeitigen Verhandlungen wollen sich die beteiligten Vertreterinnen und Vertreter nicht äußern. "Natürlich setzen wir uns weiter dafür ein, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben und der Standort gestärkt wird", erklärt Betriebsratsvorsitzende Sonja Meister. Die Anfrage an Valeo, wie es um die Zukunft des Werkes in Ebern stehe, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Gesunder Industriestandort wichtig für den Landkreis
Immerhin: Ende Januar 2022 hatte die Valeo-Belegschaft bei ihrem Kampf gegen den Stellenabbau Unterstützung aus der Politik erhalten. So sicherten die Genossinnen und Genossen der Kreis-SPD den Beschäftigten ihre Solidarität zu. Darunter die parlamentarische Staatssekretärin Sabine Dittmar sowie Bernd Rützel, der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Auch Eberns Bürgermeister Jürgen Hennemann war vertreten, selber langjähriger Betriebsratsvorsitzender des Automobilzulieferers FTE. Er, so Hennemann, habe erwartet, dass der Verkauf an Valeo dem Standort eine langfristige Perspektive geben würde, eine Zukunft. "Das konnte ich bisher noch nicht feststellen."
Dabei weiß Hennemann, wie wichtig ein gesunder Industriestandort für Ebern und die gesamte Region ist. Das unterstreicht auch eine Untersuchung der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) zum anstehenden Wandel im Automobilbereich aus dem vergangenen Jahr. Sie zeigt, dass der Landkreis Haßberge von den grundlegenden Veränderungen in dieser Branche immens betroffen sein wird. Demnach arbeiten hier mehr als 30 Prozent der Gesamtbeschäftigten in Betrieben mit sogenannter Produktion zur klassischen Antriebstechnik. "Umso wichtiger ist es, dass innovative Unternehmen erhalten bleiben, auch Valeo sollte dazugehören", sagt Hennemann. Er und Landrat Wilhelm Schneider (CSU) sichern deshalb auch dem Konzern ihre Hilfe zu. Sie wollen den Transformationsprozess von Verbrennungsmotoren auf Elektromotoren unterstützen und gemeinsam mit dem Wirtschaftsförderer des Landkreises Förderprogramme ausloten, so das Angebot.
Hennemann: "Es ist nie gut, unter Druck zu arbeiten."
Dieses Angebot an den Konzern zielt vor allem auf den Erhalt der gut bezahlter Industriearbeitsplätze ab, die derzeit bedroht sind. "Die Familien machen sich Sorgen um ihre Einkommensquellen und fragen sich, wie es weitergehen wird", so Schneider. Und mit Blick auf die Belegschaft sagt Ex-Betriebsratsvorsitzender Hennemann: "Es ist nie gut, unter Druck zu arbeiten und keine Perspektive zu haben."
Das bestätigt auch Andreas Bauer. "Das Familiäre von früher ist in den vergangenen Jahren verloren gegangen", sagt er. Nicht aber erst seit Valeo das Werk in Ebern übernommen habe. Sondern schon vorher, als Großinvestoren über die Geschicke von FTE bestimmten. "Als dann 2020 die erste Entlassungswelle bekannt gegeben wurde, wurde die Stimmung noch schlechter", erinnert sich Bauer. Auch das Gemeinschaftsgefühl bröckelte seither zunehmend. Er vermutet, dass noch mehr seiner Kolleginnen und Kollegen ihm werden nachfolgen müssen. "Ich hoffe natürlich, dass ich damit falsch liege."