zurück
Haßfurt
Die gute alte saure Gurkenzeit: Als Wonfurt Hochburg des Gurkenanbaus in der Region war
Vor 100 Jahren setzte der Siegeszug des Gemüses im Maintal ein. In der Hochphase wurden Zehntausende Zentner pro Jahr produziert.
Einst war dies auch ein vertrautes Bild im heutigen Landkreis Haßberge: Die Ernte von Einlegegurken, hier ein Archivbild aus dem Spreewald. 
Foto: Patrick Pleul, dpa | Einst war dies auch ein vertrautes Bild im heutigen Landkreis Haßberge: Die Ernte von Einlegegurken, hier ein Archivbild aus dem Spreewald. 
Ludwig Leisentritt
 |  aktualisiert: 20.10.2024 02:29 Uhr

Die Urlaubsmonate waren früher die Zeit der Gurkenernte. Für die Zeitungsredaktionen war es in der Regel eine ereignisarme Zeit, die man deshalb allgemein als "saure Gurkenzeit" bezeichnete. Während Dankenfeld und Eschenbach einst wichtige Anbaugebiete für Kirschen waren, Steinsfeld für Zwetschgen, Rügheim für Kraut und Ottendorf für Braugerste bekannt war, war der Umkreis von Wonfurt einmal eine Hochburg des Gurkenanbaues.

In Deutschland wurde das Sauergewächs noch im Mittelalter wenig angebaut. Der Grund war wohl, dass die Gurke zwar Vitamine und Mineralien, aber kaum Kalorien hat. Erst ab dem 16. Jahrhundert begann man mit dem Anbau und der Veredelung. 1861 meldet der Eltmanner Bezirksarzt, dass die Gurke in unserer Heimat zu den Nahrungsmitteln zählt.

Es begann in Gochsheim und Sennfeld

In den frühen 1920-er Jahren kannte man in Mainfranken den Gurkenanbau nur in Gochsheim oder auch in Sennfeld. Lange glaubte man, die Gurken würden nur in deren Fluren gedeihen. Erst als man den richtigen Samen wählte, zeigten sich auch die leichten und sandigen Böden in anderen Gemeinden als ertragsreich. So begannen nach dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Bauern im Maintal mit dem Anbau von Gurken. Sie hofften, dass es ein lohnendes Geschäft sein wird. So hielt die Freilandgurke auch im Bereich der damaligen Bezirksämter Haßfurt ihren Einzug.

In einer Gurkeneinlegerei waren vor allem Frauen beschäftigt. Trotz sorgfältiger Recherche konnte der Rechteinhaber nicht ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.
Foto: Gemeindearchiv Wonfurt | In einer Gurkeneinlegerei waren vor allem Frauen beschäftigt. Trotz sorgfältiger Recherche konnte der Rechteinhaber nicht ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.

Den Anfang sollen Landwirte in Wonfurt und Untertheres gemacht haben. Ihnen folgten die Gemeinden Augsfeld, Dampfach, Hainert, Haßfurt, Mariaburghausen, Steinsfeld sowie Ober- und Unterschwappach. Als eine Art Börsenplatz galt jedoch Gochsheim. Hier gestalteten sich die Nachfrage und der Preis. Manche Anbauer nahmen die Notierung des freien Handels für sich in Anspruch.

Viele Menschen haben zunächst Angst vor Magenbeschwerden

Sehr bald wurden auch im Bezirksamt Gerolzhofen größere Mengen angebaut. So in Donnersdorf, Falkenstein und Alitzheim. Im Schweinfurter Amtsbezirk waren es – neben Gochsheim - Grettstadt, Weyer sowie Ober- und Untereuerheim. 1929 gab die Heimatzeitung Ratschläge, wie die Gurke zubereiten und gegessen werden soll. Damals wagten sich viele Menschen nur ungern an den Gurkensalat. Sie fürchteten, davon Magenbeschwerden zu bekommen.

Gurken in Dosen für Skandinavien

Wer in den 30er Jahren durch die Fluren der Anbaugemeinden ging, bemerkte, dass eine neue Fruchtart an Bedeutung gewinnt. Erstmals wurden Gurken auf freiem Feld angebaut. Bislang kannte man das saure Gewächs nur als ein Gemüse im Hausgarten. Großeinlegereien aus Gera, Nürnberg, Esslingen und aus Gochsheim begannen Gurken aus dem Maintal anzukaufen. Abnehmer waren später auch Einlegereien in Thüringen und in Württemberg. Gurken in Dosen fanden in skandinavischen Ländern ihre Liebhaber. Gefragt waren sie auch bei den Konservenfabriken in Norddeutschland. Dort, wo im großen Stil der Fischfang betrieben wird, waren die Gurken für die Heringsmarinaden als Beigabe oder Gewürz gefragt.

Heute kommen Einlegegurken sehr oft aus dem Spreewald (Archivfoto), doch einst war auch das Maintal ein wichtiges Anbaugebiet.
Foto: Patrick Pleul, dpa | Heute kommen Einlegegurken sehr oft aus dem Spreewald (Archivfoto), doch einst war auch das Maintal ein wichtiges Anbaugebiet.

Von Jahr zu Jahr weitete sich der Gurkenanbau aus. Wer ein geeignetes Stück Feld zur Verfügung hatte, baute darauf Gurken an. 1935 betrug die Anbaufläche im Bezirksamt Schweingurt 430 Hektar in 16 Gemeinden. Im Amtsbezirk Gerolzhofen waren es in 26 Gemeinden 120 Hektar und in den Bezirken Haßfurt und Hofheim 110. Insgesamt sollen nach einem Zeitungsbericht im "Kreisbauernschaftsgebiet Schweinfurt" auf den insgesamt 660 Hektar über 13 Millionen Gurkenpflanzen gestanden haben.

In Volkach war ein Großmarkt für Gurken

Die meisten Anbauer standen mit einer größeren Firma, welche die Gurken weiterverwertete, in einem Vertragsverhältnis. Menge, Güte und Preis handelten die Partner bereits vor der Ernte aus. Die meisten Verträge zwischen den Erzeugern und den Abnehmern hatte im Amtsbezirk Haßfurt mit 29 Sammelstellen der Großmarkt in Volkach zu verzeichnen. Der holte die Ware in den Dörfern mit Lastautos ab, um sie an die großen Einlegereien weiter zu befördern. Es gab allerdings Gemeinden, die ihre Gurken frei anbauten und frei verkauften.

Vor allem Landwirte des entfernten Gurkenanbaugebietes im Maintal neigten dazu. Die Gemeinde Happertshausen fand in den 1930er Jahren vor allem im Ort und in den benachbarten Dörfern ihre Abnehmer. Das dürfte exemplarisch für viele Orte in den Bezirksämtern Hofheim und Ebern gewesen sein, wenn die Böden tiefgründig, sandig und leicht waren.

Das Sortieren der Einlegegurken war oft Männersache. Trotz sorgfältiger Recherche konnte der Rechteinhaber nicht ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.
Foto: Rosa Voit | Das Sortieren der Einlegegurken war oft Männersache. Trotz sorgfältiger Recherche konnte der Rechteinhaber nicht ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.

Die in Fässern eingelegten Salzgurken, wurden während der Wintermonate je nach Bedarf wieder in kleinere Fässer oder Büchsen gelegt. Gochsheim besaß eine moderne Einlegerei und war ein zentraler Punkt für das damals als edel geltende Gewächs.

Händler sind mit Fuhrwerken und Lastwagen weit unterwegs

Wenn Saison war, machten sich täglich Fuhrwerke und Lastwagen mit Frischgurken auf den Weg ins fränkische Land. Ziel war auch Thüringen, wo die Ware im Hausierhandel Abnehmer fand. In der Gegend von Rodach und Kronach, Eisfeld, Meiningen und Hildburghausen konnte man täglich diesen Gurkenfahrzeugen begegnen. Sogar bis hinauf nach Suhl und Zella-Mehlis fuhren die Händler mit ihrer begehrten Ware. In Thüringen soll damals fast jedes Kind den Ort Gochsheim gekannt haben, während man von den Städten wie Würzburg und Schweinfurt kaum etwas wusste. Das kam allein nur von den Gurken.

1939 berichtete die Heimatzeitung, dass im Kreis Haßfurt 40.000 Zentner Gurken angebaut wurden. Für den Transport waren 400 Eisenbahnwaggons nötig. Eine Heimatzeitung errechnete damals, dass bei einer durchschnittlichen Größe von 10 Zentimeter die vielen Millionen Gurken hintereinander gereiht von Haßfurt bis nach Italien reichen würden.  Im zweiten Kriegsjahr 1940 ging das Seckendorffsche Gut in Wonfurt an die bayerische Bauernsiedlung. Die Ländereien wurden zum größten Teil von den heimischen Bauern für den Anbau von Gurken erworben, die tonnenweise an die Großstädte geliefert worden sind.

Boomjahre führen schließlich zur Überproduktion

Die boomenden Jahre führten dazu, dass zu viele Gurken geerntet wurden. Die Abnahmepreise halbierten sich wegen der Überproduktion. Gurkenanbauern, die bei der Ernte auf fremde Arbeitskräfte angewiesen waren, ging oft der gesamte Verkaufserlös für die Löhne drauf. Es gab Bemühungen, den Gurkenbauern auch künftig eine sichere Existenz zu sichern. Ein genossenschaftlicher Zusammenschluss von Erzeugern, Handel und Industrie sollte den Absatz und die Preise stabil halten. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte dann, dass die Ausbreitung des Gurkenanbaues eingeschränkt oder kontingentiert werden musste.

Ende der 50er Jahre ging der Anbau allmählich auf die Hälfte zurück, obwohl man einige Missernten weggesteckt hatte. Der Rückgang hing vor allem mit den klimatischen Verhältnissen zusammen. Die Gurke benötigt für das Wachstum vor allem Sonne, sowie warme und milde Nächte und regelmäßigen Regen. Der römische Kaiser Tiberius soll die Gurke in hohen Beeten auf Rädern angebaut haben, damit man sie in die Sonne schieben konnte.

Plötzlich werden Gurken aus Italien gebraucht

Hochbetrieb gab es noch einmal Mitte der 60er Jahre, wo man sogar Gurken aus Holland importierte, weil die eigenen Freilandgurken die Nachfrage nicht deckten. 1962 verarbeitete eine Haßfurter Firma 30 Waggons italienischer Gurken. Die waren nach einem achttägigen Bahntransport jedoch mit dem einheimischen Gewächs nicht vergleichbar.

So gingen die Gurken aus Wonfurt zu den Großabnehmern. Trotz sorgfältiger Recherche konnte der Rechteinhaber nicht ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.
Foto: Gemeindearchiv Wonfurt | So gingen die Gurken aus Wonfurt zu den Großabnehmern. Trotz sorgfältiger Recherche konnte der Rechteinhaber nicht ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.

Um 1960 gab es in Haßfurt die Gurkeneinlegerei Justin Englert. Sie war in der Lage, an einem Tag 300 Zentner Gurken zu verarbeiten. Reichte die Ware nicht aus, erhielt sie Frischgurken aus Holland, Ungarn und Österreich. Einlegereien waren noch in Knetzgau und Wonfurt ansässig. Immer deutlicher zeichneten sich erste Marktveränderungen ab. Die Verbraucher wünschten, mit ihren Augen zu kaufen und die "Kümmerli" zu sehen.

Das war jedoch in den Blechdosen nicht möglich. Also brachte man das Produkt in Gläsern auf den Markt. 1969 waren in Wonfurt 50 Frauen beschäftigt, um täglich 30.000 Gläser zu befüllen. Ältere Leute können sich noch erinnern, dass sie früher in den Tante-Emma-Läden Gewürzgurken und Sauerkraut direkt aus Fässern oder Steingutbehältern in die mitgebrachte Schüssel heimgetragen haben.

Letzte Wonfurter Einlegerei schließt 1989

Die 1956, 1958 und 1962 eröffnenden Wonfurter Einlegereien Braunreuther, Firsching und Schuck, stellten ihren Betrieb 1980, 1973 und 1989 ein. Die klimatischen Verhältnisse und die billige Konkurrenz aus Holland zwangen dazu. In Gochsheim exportiert noch heute der Gemüsegrossist Deppert jährlich über 2000 Tonnen Gurken in rund ein Dutzend Länder in Europa. 80 Prozent der Gurken bezieht der "letzte Gochsheimer Gurken-Mohikaner" aus den Gemüseanbaugebieten Bergtheim und Unterpleichfeld.

Der Gurkenanbau in der Region: Kurioses rund um das Gemüse

Der bekannte VolksschauspielerWeiß Ferdl (1883-1949) erzählt in seinen Momoiren, wie es ihm und seiner Spieltruppe bei den Gastspielen in Zeil erging. In dem damals gutbürgerlichen Lokal "Zum Deutschen Kaiser" erhielt er zum Abendbrot nur saure Gurken vorgesetzt. Das ist dem auf seiner ersten Tournee befindlichen Künstler nach eigenem Bekunden, "sauer aufgestoßen". Rückblickend fragte er sich: "Traute uns der Wirt nicht oder hatte er wirklich nichts als nur Essiggurken?"
Der TSV Pfarrweisach musste 1947 zum ersten Punktspiel nach Ebing reisen. Die Fußballer versammelten sich morgens schon um 4 Uhr am Bahnhof. Mit dem "Maro-Express" fuhren sie bis Zapfendorf. Hier bereiteten Bekannte für sie einen Pichelsteiner Eintopf. Als Beilagen brachten die Pfarrweisacher Kraut und Gurken mit. Da die Kicker zu Fuß unterwegs waren, kamen sie am Abend erst nach 17 Stunden wieder zu Hause an.
Bauern warfen 1950 im Kreis Haßfurt zentnerweise Salatgurken einfach auf die Straße, weil sie diese bei den Abnahmestellen nicht loswurden. Die Bevölkerung machte von diesem Angebot reichlich Gebrauch, so dass die Gurken nicht allzu lange auf der Straße liegen blieben.
Anders 60 Jahre später: Als subventionierte Überproduktion mussten 2010  zahlreiche Lkw-Ladungen mit Gurken zwischen Kleinrinderfeld und Bergtheim zur Vernichtung auf einen Stoppelacker gekippt werden.
Quelle: Ludwig Leisentritt
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Haßfurt
Ludwig Leisentritt
Dampfach
Großstädte
Gurkensalat
Salatgurken
TSV Schonungen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top