Helga Hiller lebt nicht mehr, so viel vorweg. Sie starb im Alter von 84 Jahren, laut Ärzten an den Folgen eines Magen-Darm-Durchbruchs. Das war am 17. April 2023. Die Frau aus Gemeinfeld, Burgpreppach, durchlebte in ihren letzten Wochen eine "medizinische Achterbahnfahrt", so nennt es ihr Sohn Holger Hiller.
Schon vor dem Tod seiner Mutter wandte er sich an diese Redaktion und erhob schwere Vorwürfe, gegen das Gesundheitssystem im Allgemeinen, gegen die Haßberg-Kliniken im Speziellen. Nicht, das sei bereits an dieser Stelle betont, wegen Helga Hillers Ableben, sondern wegen des Umgangs des Krankenhauspersonals mit seiner Mutter in einer Nacht im März dieses Jahres.
Der Sohn pflegt die Mutter zuhause
"Das kann und will ich so nicht akzeptieren", sagt Holger Hiller und blättert in einem Ordner, der gefüllt ist mit medizinischen Formularen und Berichten. Es ist Anfang April. Der 48-Jährige sitzt an einem Tisch im Büro seines Sägewerks östlich von Gemeinfeld. Dort, wo er normalerweise mit Kundinnen und Kunden über Aufträge spricht, redet er jetzt über die Gesundheit seiner Mutter. Helga Hiller befindet sich zu diesem Zeitpunkt noch in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung. "Mein Vater ist seit 30 Jahren tot", erzählt Hiller. Die Mutter das einzige verbliebene Familienmitglied. Der Sohn kümmert sich um sie.
Und das ist nötig: Der 84-Jährigen, immerhin Pflegestufe drei, macht ihr hohes Alter zunehmend zu Schaffen. Vereinzelt zeigen sich erste Symptome einer Demenz, eine Diagnose aber gibt es nicht. Die Sehkraft leidet unter dem Grauen Star, sagt Hiller. "Ende Februar stürzte sie und brach sich den Oberarm." Doch dann sei es wieder bergauf gegangen.
Ein folgenreicher Sturz im Schlafzimmer
Bis zu jenem Abend am 11. März, dessen Ausgang er bis heute nicht akzeptieren möchte. "Ich saß im Büro und hörte plötzlich Rufe aus dem Schlafzimmer", erinnert er sich. Seine Mutter war wieder gestürzt. "Sie klagte über Schmerzen im Rücken." Hiller ruft den Rettungsdienst. Es ist etwa 21.30 Uhr. Ohne Blaulicht bringen die Sanitäter die Frau ins Haßfurter Krankenhaus. "Zum Röntgen, das wollte sie selber", sagt Hiller. "Sie war kein absoluter Notfall."
Die Zeit vergeht. Hillers Anrufversuche, so erinnert er sich, bleiben in den folgenden Stunden erfolglos. Um 0.30 Uhr herum habe schließlich das Telefon geklingelt, der behandelnde Arzt der Notfallambulanz war am anderen Ende der Leitung. Es sei nichts gefunden worden, lautet die eigentlich positive Nachricht spät in der Nacht. Die Mutter werde nun wieder nach Hause gebracht. Holger Hiller will nicht glauben, was er hört. Seine Bitte, die 84-jährige Frau zur Beobachtung bis zum nächsten Morgen im Klinikum zu behalten, sie zur Ruhe kommen zu lassen und noch einmal zu untersuchen, läuft ins Leere. "Eine Stunde später, kurz nach 1.30 Uhr, standen die Sanitäter mit meiner Mutter wieder vor der Tür."
In den darauffolgenden Stunden und Tagen verschlechtert sich Helga Hillers Zustand erheblich, sagt ihr Sohn. "Sie war plötzlich völlig verwirrt, hat halluziniert, etwa davon gesprochen, dass sie in einer Hähnchenschlachterei war." All das, betont Hiller, sei vorher noch nie der Fall gewesen. Genauso wie die starke Inkontinenz, die nun auf einen Schlag begann. Wenige Tage später muss Hiller seine Mutter in eine Psychiatrie einweisen lassen.
Holger Hiller wirft den Haßberg-Kliniken vor, dass die massive Verschlechterung des Zustands seiner Mutter auch die Folge falscher ärztlicher Entscheidungen gewesen sei. Belegen kann der 48-Jährige das nicht. Dennoch kritisiert er vor allem die Entlassung inmitten der Nacht, und die daraus resultierende, in seinen Augen unnötige Belastung für seine 84-jährige Mutter: "Ich habe natürlich nachgefragt. Mir wurde mitgeteilt, das sei die Standardvorgehensweise", sagt er. Um dann einmal mehr zu betonen: "Das bin ich nicht bereit zu akzeptieren!"
Krankenhaus ist "keine Betreuungseinrichtung"
Die Haßberg-Kliniken äußern sich zum konkreten Fall nicht, als Grund führt das Haus unter anderem die ärztliche Schweigepflicht an. Stattdessen nimmt die Geschäftsführung Stellung zur allgemeinen Entlasspraxis: "Ein Krankenhaus ist keine Betreuungseinrichtung", heißt es auf Nachfrage dieser Redaktion. "Gibt es nach einer ausführlichen Diagnostik keine Indikation für eine stationäre Aufnahme, kann der Patient das Krankenhaus wieder verlassen." Und: In den Haßberg-Kliniken würden grundsätzlich keine stationären Patientinnen und Patienten nachts entlassen.
Anders sei es bei ambulanten Patientinnen und Patienten, die tagsüber oder auch nachts eintreffen, bei denen aber kein Grund für eine Aufnahme ins Krankenhaus vorliege. Den sah der zuständige Arzt im Fall von Helga Hiller offenbar nicht. Das geht auch aus dem Behandlungsbericht aus besagter Nacht hervor, der dieser Redaktion vorliegt. Darin heißt es auch, dass die Patientin mit "bekannter Demenz" "sehr aggressiv" und "unruhig" aufgetreten sei. Dass die Untersuchung unauffällig gewesen, bei erneuten Beschwerden eine "Wiedervorstellung möglich sei".
Geröntgt wurde die 84-jährige nach ihrem Sturz nicht. "Sie habe sich gesträubt, wurde mir am Telefon gesagt", erklärt Hiller. Er kenne seine Mutter, die sei gelegentlich renitent aufgetreten, "aber nie aggressiv". Der 48-Jährige sagt: "Das Gesundheitssystem ist für die Menschen gemacht. Es wäre nicht zusammengebrochen, wenn sie meine Mutter noch bis zum nächsten Morgen behalten hätten. Damit sie zur Ruhe kommen kann und man sie noch einmal hätte untersuchen können."
Sozialverband sieht tiefgreifende Probleme
Auch der Sozialverband VdK Bayern sieht eine gefährliche Entwicklung bei der Entlasspraxis von älteren Menschen in den Kliniken. "Wir haben zuletzt immer mehr Anrufe bekommen, die sich auch mit diesem Thema befassen", sagt Yvonne Knobloch, Leiterin des Ressorts "Leben im Alter". Die Erfahrungen, die Betroffene am Beratungstelefon schildern, decken sich dabei offenbar in Teilen mit jenem Fall aus Haßfurt.
"Der Entlassdruck in den Kliniken ist sehr hoch", fährt Knobloch fort. Und er sei in den vergangenen Monaten noch gestiegen. Das liege einerseits am fehlenden Personal, erklärt die Expertin. Andererseits aber auch am finanziellen Druck, den die Krankenhäuser durch die Gewinnorientierung zunehmend verspürten. "Aus meiner Sicht ist es ein Systemproblem."
Knobloch warnt davor, dass sich das Problem mit der zu erwartenden demographischen Entwicklung noch verstärken könnte. Denn mit der Generation der Babyboomer käme nun ein besonders geburtenstarker Jahrgang in ein Alter, in dem Verletzungen durch Stürze eher zunehmen. Die Belastung des Gesundheitssystems dürfte angesichts der anhaltenden Personalproblematik also weiter steigen. Nicht aber die Zeit, die für die Behandlung der einzelnen Patientinnen und Patienten bleibt. Die Folge, die schon jetzt spürbar ist: "Die Leute werden mitunter alleine gelassen, sowohl die Pflegebedürftigen wie auch ihre Angehörigen", so Knobloch.
Sorgsamerer Umgang mit demenzkranken Menschen
Ob das im Fall von Haßfurt auch passiert sei, könne sie nicht beurteilen, sagt Yvonne Knobloch. Auch was Helga Hillers Gesundheitszustand angehe. Klar sei aber: "Eine Demenz kann sich mit einem Ortswechsel massiv verschlechtern." Auch eine Beginnende. Etwa wenn Betroffene starker Überforderung ausgesetzt seien. Knobloch fordert deshalb einen sorgsameren Umgang mit älteren Patientinnen und Patienten. "Wenn jemand eh schon eine entsprechende Diagnose hat, muss man sensibler mit dem Mensch umgehen."
Holger Hiller sieht das genauso. "Mir ist es wichtig, auf diesen Missstand aufmerksam zu machen", sagt er. "Dass es andere nicht trifft." Wie es in diesem Fall für ihn nun weitergeht, bleibt offen. Ein Mediationsversuch mit den Haßberg-Kliniken, so erklärt er Anfang Mai, sei inzwischen gescheitert.
Honi soi qui mal y pense!
Ich finde das alles nicht ok, warum hat man die Frau oder Sohn nicht gefragt?
Aber auch nicht, dass man privat abgezockt wird. Diese Versicherungen haben oft hohen Selbstbehalt, also mein Privatportemonnaie. Alle Macht den Controllern!
In meinem Fall also über 500 Euro für eine Schmerztablette und einen Eisbeutel zum kühlen plus Übernachtung/ Frühstück als Privatvergnügen! Schon das Röntgenbild war unnötig, ich konnte ja gut laufen, nix kaputt, nur dick geschwollenes Knie, das immer mehr wehtat. Da habe ich Angst gekriegt. Passiert mir nicht nochmal.
Alternativ exorbitante Prämien, was sich im Ruhestand rächt. Ist so!
Mir hatte das schon im Alter von 27 einer aufgeschwatzt, ich würde mich sicher nicht nochmal so versichern. Lieber ab und an was selbst zahlen. Nur mal so, weil es immer wieder Neider gibt.
Dieser Satz sagt mir doch, dass es im eigenen Umfeld besser ist für den Patienten. Wenn also keine Indikation für eine stationäre Aufnahme vorliegt, ist die Dame zuhause sicherlich besser aufgehoben. Daher war die Entscheidung nicht nur Standardvorgehen, sondern evtl. sogar der richtige Schritt um die Frau im fremden Umfeld nicht noch weiter zu belasten.
Einige haben den Schlag nicht gehört und sind sich nicht zu Schade unser über Jahrzehnte aufgebautes und nun bröckelndes Gesundheitssystem noch zu verteidigen!
Bei solchen Quertreibern braucht man sich dann nicht wundern wenn die Spirale abwärts zeigt!
Einfach mal ein wenig selbstbewusster sein! Als Einwohner des Landes mit der zweithöchsten Steuerbelastung aller Länder, als jemand der über 50% seines Einkommes direkt oder indirekt an Bund, Länder und Gemeinden abführt darf man auch Ansprüche haben!
Dennoch kann auch jeder Einzelne etwas dafür tun, dass sie glimpflich(er) ausgehen.
Sturzprophylaxe in Form von Sturztraining, Änderung/ Anpassung des Wohnumfeldes (Teppiche sind oft Verursacher von Stürzen; bessere Beleuchtung bzw. überhaupt Nutzen des Lichts, Toilettenstuhl ans Bett, Antirutschmatten in Dusche/ Badewanne etc.), festes Schuhwerk, gute Selbsteinschätzung, Möglichkeit sich bemerkbar zu machen, um ein Liegetrauma zu verhindern etc.
Da gibt es noch unzählige weitere Möglichkeiten, abhängig vom Wohnumfeld, der Kognition und des sozialen Rückhalts des Betroffenen.
Heute, wo unseres überlastet, ineffizient, beinahe unbezahlbar und von vielen weiteren Problemen geplagt ist, wären wir froh, wenn wenigstens den britischen Standard der Versorgung hätten.
"Mein Lohn ist in den vergangenen Jahren, wenn man die Kaufkraft sieht, die Inflation und alles rausrechnet, um rund 15 Prozent gesunken."
"Mehr als sieben Millionen Menschen warten auf nicht dringende Operationen. Menschen, die Schmerzen haben."
"... der Brexit. Allein 47.000 Krankenschwestern und -pfleger fehlen in England..."
"Bei einem von vier Notrufen kann kein Krankenwagen geschickt werden, da die im Stau stehen, vor den Ambulanzen"
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/grossbritannien-gesundheitssystem-nhs-100.html
Lieber frühzeitig und bei guter Gesundheit in den vorgezogenen Ruhestand gehen und die letzten fitten Lebensjahre fidel genießen. Man ist dann zwar auch Kostenfaktor, aber immerhin noch selbständig genug seine Rechte einzufordern und zu vertreten. Auch die Gefahr, dass man wegen allgemeiner Überlastung und zunehmendem Gesundheitsverschleiß in die Demenz abgleitet ist geringer.