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LOHR/LAUDENBACH
Lohrer Schneewittchen: Das Tauziehen ist vorbei
Die Stadträte sagten mit knapper Mehrheit Ja zur heftig umstrittenen Plastik, die den Lohrer Kunstpreis gewonnen hatte. Ein Besuch beim Künstler Peter Wittstadt und Schneewittchen in Laudenbach.
In Gips geformt: So soll das Schneewittchen werden – allerdings in Bronze. Hier arbeitet Peter Wittstadt im Hof seiner Werkstatt in Laudenbach an seiner Plastik.
Foto: Christine Jeske | In Gips geformt: So soll das Schneewittchen werden – allerdings in Bronze. Hier arbeitet Peter Wittstadt im Hof seiner Werkstatt in Laudenbach an seiner Plastik.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 26.04.2023 22:40 Uhr

Wie immer hat er die Neuigkeiten über „Schneewittchen“ aus der Zeitung erfahren, sagt Peter Wittstadt. So auch am Donnerstagmorgen. Und erstmals auch auf anderen Wegen. „In der Nacht habe ich geträumt, dass es gut ausgeht“, erzählt er lachend. Der Künstler ist erleichtert. Groß feiern will er aber nicht mit seiner Frau Johanna, dass das wochenlange Gerangel vorbei ist, dass seine Plastik nun nicht nur aus Gips geformt den Hof in Laudenbach (Lkr. Main-Spessart) schmücken, sondern in Bronze gegossen künftig vor der Lohrer Stadthalle stehen wird. Ein guter Ort, findet Peter Wittstadt. Die Schlichtheit der Halle würde einen guten Gegensatz bilden zur Lebendigkeit seines Schneewittchens.

Es war eine knappe Entscheidung des Lohrer Stadtrates, eine, die der Maler und Bildhauer eigentlich so nicht wollte. Denn längst habe ja eine Fachjury sich einstimmig für sein Werk entschieden: für seine künstlerische Umsetzung der Grimm'schen Märchenfigur.

Wer auf das Zuhause der Wittstadts in Laudenbach bei Karlstadt zugeht, der wird schon einige Meter vor dem Holztor von ihr begrüßt. Keck schaut sie aufgrund ihrer Größe über die Mauer hinweg. Ihre Frisur, abstehende Zöpfe so dick wie Äste, fällt auf. Aus der Nähe wird sie zum Baum. Sicher, jeder Besucher wird etwas anderes in der Plastik sehen. Und viele werden von Schneewittchen eine andere Vorstellung haben. Zu sehr ist die Figur von süßlichen Buchillustrationen oder der kitschigen Disney-Filmversion geprägt: schwarzes langes Haar, rosa Diadem, blau-gelbes Kleid mit Puffärmeln und hochstehendem Kragen. Doch genau davon wollte Peter Wittstadt weg. Geschmacksfragen oder ein „Schönmachen“ hätten mit Kunst nichts zu tun, sagt er. „Märchen sollten in ihrer Fantasie bleiben, das ist ihre Qualität. Ich versuche, eine gute Plastik zu machen, die in ihrer Qualität den Märchen gegenübersteht.“ Oder anders gesagt: „Märchen erzählen, bei ihnen ist der Text wichtig. Eine Plastik benötigt dagegen Raum und Volumen. Das sind meine Mittel.“

Peter Wittstadts wichtigstes Kriterium ist: „Die Plastik muss stimmig sein.“ Und für den gelernten Steinmetz, der an der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg studiert hat, ist sie stimmig. Nicht aufgrund ihres knorrigen baumähnlichen Äußeren. „Das sehe ich auch.“ Für ihn steckt in der Figur vielmehr „Vase und Blume“ – vor allem im kleinen Modell, mit dem er den Kunstpreis der Stadt Lohr gewonnen hat. Im langen intensiven Arbeitsprozess habe sich die Plastik dann verändert. „Die Aussage der kleinen Plastik konnte nicht in die Größe transportiert werden.“ Denn eine Figur sei nur formal zu lösen“, sagt er. Und: „Was ich suche, ist die sinnliche Thematik, es müssen Gefühle rein.“ Wer zu sehr mit dem Kopf rangehe, „macht alles tot“. Um in ein Kunstwerk „innere Energie“ hineinzutragen, würde er viel Zeit benötigen. Ein gemütlicher Arbeiter sei er aber nicht.

Wittstadt ist sich durchaus bewusst, dass nicht jeder seine Plastik versteht, mit ihr etwas anfangen kann. Und wenn sein Schneewittchen nicht bundesweit für so viel Wirbel gesorgt hätte, dann müsste er auch nicht so viele Worte machen. Seit der Streit vor allem um die Kosten entstanden ist, standen zig Journalisten im heimischen Hof. Er wurde gefilmt, interviewt – und nicht nur per E-Mail beschimpft. „So heftige Reaktionen habe ich noch nie erlebt.“ Dennoch haben ihn die verbalen Angriffe weniger belastet als seine Frau Johanna. Der 54-Jährige ist aufgrund seiner langen Erfahrung als Künstler selbstbewusst. „Ich weiß, was ich mache, kenne meinen erarbeiteten Weg.“ Provozieren wollte er jedenfalls niemanden, auch nicht arrogant wirken, sagt er, aber sich auch nicht verbiegen. Als er in der Ausschreibung von einem abstrahierenden Kunstwerk las, war er sich sicher: „Da mache ich mit, da passe ich gut hin.“

Dass Kunst provozieren kann, das hat zum Beispiel auch „Malerfürst“ Markus Lüpertz mit seiner Plastik „Aphrodite“ vor 14 Jahren in Augsburg erlebt. Sie sollte auf dem Ulrichsplatz stehen. Doch dazu kam es nicht, denn für viele Augsburger hatte seine „Aphrodite“ nichts gemein mit der Göttin der Liebe. Womöglich wollte Lüpertz mit seiner knubbeligen Figur nur zeigen, dass jede Frau schön ist. So wie für Peter Wittstadt „jede weibliche Figur“ Schneewittchen sein kann. Jedenfalls haben Augsburg und Lohr jetzt eines gemeinsam: einen Kunstskandal.

Positiver Effekt des Ganzen ist, dass der Laudenbacher Künstler nun bekannt ist wie der viel zitierte bunte Hund. Wie die Stadt Lohr, die durch Peter Wittstadts Plastik plötzlich im Rampenlicht steht.

Wie Schneewittchen Lohrerin wurde
1985: Karlheinz Bartels, Werner Loibl und Helmuth Walch – ein Apotheker, ein Museumsleiter und ein Schuhmacher – kommen auf die Idee, ein Märchen nach Lohr zu verorten – und finden im Spessart jede Menge historischer Anhaltspunkte, die sie zu dem Schluss kommen lassen: Wenn es Schneewittchen je gegeben hat, muss sie eine Lohrerin gewesen sein. 1986: Der promovierte Pharmaziehistoriker Bartels veröffentlicht den Beitrag „War Schneewittchen eine Lohrerin? Zur Fabulologie des Spessarts“ in „Schönere Heimat“ des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege. Die Reaktion: Es rauscht im Blätterwald. Lohr wird Schneewittchenstadt, die Figur fürs Marketing ist entdeckt. Den Titel „Fabulologe“ lässt sich Bartels gar schützen. 2013: Peter Wittstadts Entwurf wird von einer sechsköpfigen Jury einstimmig zum Sieger des Schneewittchen-Kunstwettbewerbs gekürt. rp

Lohr wirbt auch an der Autobahn als Schneewittchenstadt.
Foto: Genheimer | Lohr wirbt auch an der Autobahn als Schneewittchenstadt.
 
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    Dieser Künstler wird seine Inspirationsquelle auch im Wein haben, den er genüßlich neben der Statue trinkt. Kunst vergisst nämlich eines: Sie hat Betrachter. Und ich als Betrachter fühle mich so einfach nicht ernst genommen. Kunst will provozieren, wachrütteln, Missstände zeigen: Aber geht das wirklich mit so einer kindlichen Darstellung einer in der Erinnerung wunderschönen Märchenfigur? Man muss hier kritisieren, dass in der Kunst sehr viel zu Geld gemacht wird, aber diese Figur wurde als Sieger ausgezeichnet. Nicht dem Künstler gehört der Hohn sondern er sollte die treffen, die dieses Kunstwerk auswählten. Und die Namen derer sollte man in der Sockel gießen……
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  • H. K.
    Und Talentfreiheit ist Künstlererfolg.

    Selten etwas widerlicheres gesehen als diesen Ausbund von einer Geschwulst. Dieser Bollen aus frei erstarrtem Schleim passt allerdings sehr gut zu dem Gefasel des Künstlers, "auf der Suche nach der sinnlichen Thematik" zu sein, "es müssten Gefühle in die Plastik hinein", und er "versuche" [sic] eine "gute Plastik zu machen".

    Genau so sieht diese Mutter aller Missgeburten auch aus, also ob da jemand noch jahrhundertelange "Versuche" auf dem Weg der Suche nach Sinn und Gefühl vor sich hätte.

    Pfui Teufel, was für eine unterirdische Schande für Lohr, sich so einen Schleimhaufen aus verwesendem Müll andrehen zu lassen.
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  • A. K.
    liegt ja immer im Auge des Betrachters. Manche finden das Schneewittchen toll, andere eben nicht. Die Katze mag Mäuse - ich nicht. So ist das eben. Einen Hype darum zu machen ist nach der Entscheidung der Räte absolut deplatziert.
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  • S. H.
    In Pisa waren sie zu blöd, um einen geraden Turm zu bauen - und sind dadurch berühmt geworden.
    Und in Lohr waren wir zu blöd....... zwinkern
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  • E. R.
    Kunst muss provozieren! Tut sie es nicht, ist sie nur langweilig.
    Eine niedliches, süßes kleines Mädchen würde niemandem auffallen. Es gibt genug lebende dieser Art.
    Aber ein Schneewittchen, das einem Ungeheuer gleicht, ist in aller Munde.
    Und genau dies hat der Künstler gewollt und auch erreicht.
    Viele Touristen werden kommen, um sich dieses Schneewittchen anzusehen.
    Sie werden kommen, schauen, den Kopf schütteln, fotografieren, um das Schneewittchen aus Lohr zu Hause zu zeigen.
    Da möchte ich fast eine Wette eingehen!
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  • M. T.
    Man weiß wirklich nicht was man dazu sagen soll…Wie kann man sich als Märchen-Stadt denn so was hin stellen???? Haben manche keine Augen im Kopf???
    Mal ganz ehrlich…..da hätte man auch die Kindergartenkinder kneten lassen können. Die hätten das sogar noch besser hin bekommen. Und das Geld wäre in diesen Einrichtungen besser angelegt.
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  • B. H.
    Lieber User, auf Ihren Wunsch hin werden alle Kommentare unter Ihrem Konto "yourburyman" entfernt.
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  • M. Z.
    Man muss den Herrn Prüße nicht wählen oder mögen, aber ihn jetzt als alleinigen Sündenbock in die Wüste schicken ist sehr kurz gegriffen und auch unfair. Die hektischen Entscheidungen vor der Wahl in Sachen Stadthalle und Schneewittchen wurden von fast allen Stadträten mit durchgepeitscht, keiner wollte als Fortschrittsverhinderer oder Neinsager dastehen und vielleicht die Wahl verlieren.Bei der Besetzung der Fach-Jury hätte man halt dann schon aufpassen müssen, dass bestimmte Vorstellungen (Schneewittchen als Disneyfigur o.ä) realisiert werden sollen. Oder man hätte sich vom Herrn Stadtjuristen eine Exit-Strategie ausarbeiten lassen sollen, falls man doch wieder einen Rückzieher machen will. Aber das Ganze ist halt ziemlich hektisch abgelaufen im Wahlkampfgetöne. Wenn man jetzt jemand zur Rechenschaft ziehen will, dann bitte auch die mitrannehmen, die noch vor der Wahl mit Herrn P. "nach rechts und links nickend durch die füßgängerzone gelaufen " sind bzw. sonstige Abnicker.
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    Hahahihi,
    dies wird doch kein schönes Schneewittchen
    sondern die Hexe aus Lohr!
    Dies wird der große Lacher in den angrenzenden Drofer und Städte,
    im ganzen Landkreis, Regierungsbezirk und Bayern.

    Nur gut, dass Lohr doch nicht die MSP-Kreisstadt wurde.
    Man müsste sich schämen.
    Viel Spass und Kraft an die Lohrer Bevölkerung wenn der Rest der Welt über dieses häßliche Ding lacht und den Kopf schüttelt.
    grinsen grinsen grinsen
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