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GEMÜNDEN
Andreas Kümmert: Der Star, der keiner sein möchte
Das Verhalten des Musikers aus Gemünden zu verstehen, ist nicht immer leicht. Der 28-Jährige gilt selbst bei Freunden und Kollegen als unberechenbar. Eine Wesensart, die einige an ihm auch schätzen.
Der entscheidende Moment: Fassungslos nimmt Moderatorin Barbara Schöneberger zur Kenntnis, dass Andreas Kümmert trotz seines Sieges nicht beim Eurovision Song Contest antreten will.
Foto: Peter Steffen, dpa | Der entscheidende Moment: Fassungslos nimmt Moderatorin Barbara Schöneberger zur Kenntnis, dass Andreas Kümmert trotz seines Sieges nicht beim Eurovision Song Contest antreten will.
Anita Schöppner
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:52 Uhr

Andreas Kümmert ist immer für eine Überraschung gut. Selbst Menschen, die ihn gut kennen, können das Verhalten des 28-jährigen Musikers aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) oft nicht vorhersagen. Dass Andreas Kümmert beim Vorentscheid des Eurovision Song Contest (ESC) in Hannover angetreten ist, hat alle überrascht; dass er den Wettbewerb gewonnen hat, nicht. Womit aber wohl niemand gerechnet hat, ist, dass er nur wenige Sekunden nach Bekanntgabe seinen Siegs verkündet hat, er fühle sich nicht dazu in der Lage, die Wahl anzunehmen.

„Ich hatte die ganze Zeit schon ein flaues Gefühl im Bauch“, sagt sein ehemaliger Manager Joe Ehrhardt. „Dass er gewinnt, war mir klar. Er ist ein toller Interpret mit einer geilen Stimme“, so Ehrhardt. „Als Andreas zum Mikrofon gegriffen hat, habe ich geahnt, was da kommen muss. Ich habe Andreas nie beim Eurovision Song Contest in Wien gesehen – dem Medienrummel dort hätte er sich nie ausgesetzt.“

Andreas Kümmert steht nicht gerne im Mittelpunkt. Der kleine Mann mit dem Zottelbart und dem schütteren Haar versteckt sich am liebsten unter einer großen Kapuze. „Die Kapuze gibt mir Sicherheit“, hat er vor einem Jahr mal in einem Interview erzählt. Wenn er eine Bühne betritt, hat er die Kapuze oft tief ins Gesicht gezogen. Erst wenn er mit seinem Publikum warm geworden ist, legt er sie ab. In den Kneipen und Pubs, in denen er sieben Jahre lang vor kleinem Publikum gespielt hat, bevor er 2013 durch die Castingshow „The Voice of Germany“ deutschlandweit bekannt wurde, fühlt er sich immer noch am wohlsten – auch wenn er mittlerweile größere Hallen füllen könnte.

Doch Andreas Kümmert ist da eigen. Bodenständig und bescheiden, sagen die einen. Kompromisslos und beratungsresistent, sagen die anderen. Einer, der ganz gut weiß, wie Andreas Kümmert tickt, ist Joe Ehrhardt. Er war bis Sommer 2014 sein Manager und hat ihn vor, während und nach seiner Teilnahme bei „The Voice of Germany“ begleitet. Damals hat Andreas Kümmert Joe Ehrhardt nicht nur als seinen Manager, sondern auch als „guten Freund“ bezeichnet. Mittlerweile ist sowohl die geschäftliche, als auch die freundschaftliche Beziehung beendet. Doch Ehrhardt fühlt sich Kümmert immer noch verbunden.

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„Andreas Kümmert hat so viel Kraft und Energie, wie sonst kein anderer mir bekannter Künstler“, schwärmt Ehrhardt. Er sei allerdings kein einfacher Mensch. „Ich habe lange gebraucht, um seine Wesensart zu verstehen“, sagt er. „Für Andreas ist Musik ein Ausdrucksmittel von Emotion. Mit seinen Texten und seiner Musik will er seine Seele offenbaren.“ Und das sei das Einzige, was Andreas Kümmert am Musikmachen interessiert. Der Ruhm, der Medienrummel, der Hype um seine Person sind ihm egal.

Das hat sich schon bei „The Voice of Germany“ gezeigt. Auf der Bühne hat Kümmert alle Emotionen rausgelassen und sich die Seele aus dem Leib gesungen, abseits davon war er still, einsilbig, schüchtern. Als der Rummel um seine Person zu groß wurde, wurde er krank. Er hat keine Interviews mehr gegeben, nur die allernötigsten Proben besucht und sich nach seinem Sieg gleich zurückgezogen. Im Vorfeld des Vorentscheids des Eurovision Song Contests hat er gar nicht mit der Presse gesprochen. Nach der Sendung ist er abgetaucht, ohne sich weiter zu seiner Entscheidung zu äußern.

„Diese Dinge sind nichts für Andreas Kümmert. Die Belastung macht ihn krank“, sagt Joe Ehrhardt. Warum er dennoch wieder bei einer so großen Show mitgemacht hat, kann sich auch sein ehemaliger Manager nicht erklären. „Andreas und seine Plattenfirma sagen, dass er freiwillig mitgemacht hat – und das glaube ich auch. Man kann ihn zu nichts zwingen. Aber ich vermute auch, dass Andreas die Entscheidung getragen hat, weil man es ihm empfohlen hat – wer auch immer das war.“

Die Äußerungen, die Kümmert zu seiner Teilnahme beim Vorentscheid des ESC gemacht hat, gleichen denen über seine Teilnahme bei „The Voice of Germany“: „Ich wollte, dass meine Musik mehr Menschen erreicht.“ Dass er auch diesmal gewinnen würde, damit musste er rechnen. „Andreas ist ein Gewinnertyp. Er verliert nicht“, sagt sein Ex-Manager. „Aber insgeheim wird er wohl gehofft haben, nicht zu gewinnen.“ Ob er das wohl auch geäußert hat? Wahrscheinlich nicht. „Ich kann mir ansonsten nicht erklären, warum niemand eingegriffen hat und schon nach der ersten Runde verkündet hat, dass Andreas beim Finale nicht mehr dabei sein will.“ Also habe „Andreas die Notbremse gezogen, mit der niemand gerechnet hätte.“

Ehrhardt respektiert die Entscheidung von Kümmert: „Das ist etwas, das unglaublich viel Mut erfordert.“ Dass sie seiner Karriere schadet, glaubt er nicht. „Es hat einen Eklat gegeben, aber nicht für Andreas Kümmert.“Andreas Kümmert wollte nie ein großer Star sein. Er will Musik machen – und damit möglichst viele Menschen erreichen und bewegen. Wenn sich der große Rummel um seine Person gelegt hat, wird er wohl wieder in Kneipen und Pubs auftreten.

Jochen Volpert, Gitarrist aus Würzburg, der mit Andreas Kümmert schon des Öfteren auf der Bühne stand, kann „voll und ganz verstehen“, dass Kümmert nicht beim Eurovision Song Contest auftreten will. „Er ist ein unberechenbarer Typ. Er macht nicht das, was man von ihm erwartet.“ Volpert war überrascht, dass Kümmert überhaupt für Deutschland beim ESC antreten wollte. „Die Gründe dafür hat er mir nie genannt. Aber ich vermute, wenn er vertragsfrei wäre, hätte er wahrscheinlich nicht mitgemacht.“ Jochen Volpert beschreibt Kümmert als „Sensibelchen“. „Medienrummel hasst er wie die Pest. Ihm hat bestimmt auch zugesetzt, was die ,Bild-Zeitung' über ihn geschrieben hat.“

Kümmert sei ein „schüchterner, sensibler und trotz seines großen Talents wenig von sich überzeugter Mensch. Er versteht nicht, welche Emotionen er mit seiner Musik bei den Leuten auslösen kann.“ Als Typ sei Kümmert aber sehr eigen: „Er ist oft mundfaul und zeigt auch, wenn er mal nicht gut drauf ist.“ Jochen Volpert kann damit leben. „Man muss ihn halt so nehmen, wie er ist.“

Dieser Ansicht ist auch Joe Ehrhardt. „Andreas Kümmert lebt in seiner eigenen Welt – und diese Welt muss man ihm lassen.“ Wie diese Welt ist, könne man erahnen, wenn man sich Kümmerts Album „The Mad Hatter's Neighbour“ genauer anhöre. Auf dem Cover sieht man den Musiker als Landstreicher durch eine Wunderwelt mit Pilzen, Hasen und Raupen wandern. Ein Album, das für Joe Ehrhardt widerspiegelt, was Andreas Kümmert ist: Jemand, der sich wünscht, in dieser Wunderwelt zu leben. Einer Welt, in der Musik Seele hat und in der auch nur das zählt. Bis zu einem gewissen Teil scheint Andreas Kümmert in dieser Welt zu leben. „Seine Musik hat Seele und genau das lieben die Menschen an ihm“, sagt Ehrhardt.

Vor allem der vierte Song des Albums hat es dem Manager angetan. Er heißt „Autism“, (deutsch: Autismus) und ist laut Joe Ehrhardt der Schlüssel zum besseren Verständnis von Kümmerts Verhalten. „Sein Verhalten ist nicht immer sozialkonform und deshalb für manchen nicht unmittelbar nachvollziehbar“, so der Manager. Sein Handeln und seine Ausdrucksweise seien manchmal überzogen. „Aber wer es schafft, in ihn hineinzuschauen, erkennt einen vom Grundsatz her liebenswerten Menschen.“

Dass jetzt viele Zuschauer über Andreas Kümmert schimpfen und sogar ihr Geld zurückverlangen, weil sie für ihn angerufen haben, können weder Jochen Volpert noch Joe Ehrhardt verstehen. „Das sind keine Fans, sondern nur Sympathisanten“, so der Gitarrist. „Die Reaktionen der Medien und der Fans werden ihm zusetzen“, glaubt sein Ex-Manager. Schaden werden sie ihm nicht.



 

Splitter vom deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest 2015

Der Rückzieher von Andreas Kümmert beim deutschen ESC-Vorentscheid gilt als einmalig in der Geschichte des Musikwettbewerbs. Aber Ärger auf dem Weg zum europäischen Finale gab es durchaus häufiger: Vor dem ESC 2013 in Malmö löste der Sieg der Band Cascada über die Bläsergruppe LaBrassBanda beim deutschen Vorentscheid eine erbitterte Diskussion aus. Die fünf Experten, darunter Sänger Tim Bendzko und Schlager-Ikone Mary Roos, hatten in der Live-Show LaBrassBanda nur einen Punkt gegeben, während die Ska-Bläser beim Publikum ganz oben rangierten: Radiohörer gaben ihnen einhellig die volle Punktzahl.

Corinna May gewann im Jahr 1999 den deutschen Vorentscheid, darf dann aber doch nicht zum Finale nach Israel reisen. Ihr Lied „Hör den Kindern einfach zu“ war bereits 1997 mit anderem Text und anderem Sänger auf einer CD erschienen. Der Ersatz „Reise nach Jerusalem“ der Band Sürpriz schaffte dann beim ESC einen guten dritten Platz.

Nach dem Eklat beim Vorentscheid durch Andreas Kümmert hat der künstlerische Direktor der Mannheimer Popakademie, Udo Dahmen, um Respekt für den Musiker geworben. „Die Freiheit, eine Wahl nicht anzunehmen, muss jede Person haben“, sagte der 63-Jährige. „Man muss jemandem immer zugestehen, dass er sich in so einer Situation zurückzieht.“ Kümmert sei sich wohl erst im Laufe des Abends über die Tragweite eines Sieges bewusst geworden. „Ich habe den Eindruck, dass er sehr spontan reagiert hat. Er hat möglicherweise Angst vor der eigenen Courage bekommen.“

Der Sänger Max Mutzke (33) hat ebenfalls Respekt vor der Absage des Gewinners Andreas Kümmert. „Das ist eine krasse Entscheidung“, sagte Mutzke. „Ich kann sie nachvollziehen, weil der Druck hinter den Kulissen enorm groß ist.“ Gleichzeitig sei es schwierig, weil eine Absage immer auch das Publikum enttäusche. „Ich hätte damals nicht absagen können, weil ich einfach zu neugierig war.“ Mutzke nahm 2004 für Deutschland am Eurovision Song Contest teil. Seitdem arbeitet er als Profi-Musiker. Ende Mai bringt er sein neues Soul-Album auf den Markt.

Wer ist Ann Sophie, die nun anstatt von Andreas Kümmert am 23. Mai zum Eurovision Song Contest reist? „Ich wusste, dass ich ein Star werden will, als ich zum ersten Mal den Song von Britney Spears 'Hit Me Baby, One More Time' gehört habe“, so die 24-jährige Hamburgerin, Sie bezeichnet sich selbst als „Rampensau“, versprüht Charme und wirkt echt. Zu ihren Vorbildern gehört Beyoncé. Sie sei sehr extrovertiert, aber auch unsicher. Doch: „Wenn es um die Bühne geht, dann fühle ich mich da zu Hause.“ Mit vier Jahren begann die gebürtige Londonerin mit Ballett. Mit elf Jahren wusste sie, dass sie Sängerin werden wollte. Mit 20 zog sie nach New York und machte eine zweijährige Schauspiel-Ausbildung an der Lee-Strasberg-Schule. Daneben begann sie, Songs zu schreiben und in Bars aufzutreten. Im September 2012 nahm sie ihr erstes Album auf.

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