Seit gut hundert Tagen ist Manuela Rottmann Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Für die 49-Jährige aus Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen) bedeutet der Karrieresprung, ein politisches Herzensanliegen in Berlin auf Regierungsebene angehen zu können: die Stärkung des ländlichen Raums. Der Landwirtschaft komme dabei eine zentrale Bedeutung zu, sagt Rottmann, die sich selbst gerne als "Freilandei" bezeichnet. Ein Gespräch über die mangelnde Wertschätzung für Lebensmittel und die Arbeit von Landwirtinnen und Landwirten.
Manuela Rottmann: Objektiv gibt es dafür keinen Grund: Grundnahrungsmittel werden in ausreichender Menge produziert und in die Läden geliefert. Für die Versorgung mit Mehl sind wir in Deutschland zum Beispiel überhaupt nicht von der Ukraine abhängig. Aber ich verstehe, dass ein – aus welchem Grund auch immer – leer gekauftes Regal die Menschen in Sorge versetzt. Dennoch sollte man dem Impuls widerstehen und nur kaufen, was man aktuell benötigt. Dass ein leer gekauftes Regal kein Zeichen für Knappheit ist, haben wir ja am Beispiel des Toilettenpapiers gelernt.
Rottmann: Wir produzieren in Deutschland mehr Weizen als wir selbst verbrauchen. Aber steigende Preise für Diesel, Gas oder Düngemittel schlagen sich natürlich auch bei uns nieder. Wir müssen mit einem Preisanstieg rechnen. In Deutschland wird, ergänzend zum in der vergangenen Woche vorgestellten Entlastungspaket, deshalb auch an weiteren Entlastungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger gearbeitet.
Rottmann: Ein Krieg ist das Schrecklichste, was einem widerfahren kann. Ich kann daran nichts Positives finden. In Frieden leben zu dürfen, ist aber ein Anlass wertzuschätzen, was uns allzu oft selbstverständlich erscheint. Leider sind Lebensmittel vielfach Teil unserer Wegwerfkultur geworden. Wir haben uns daran gewöhnt, dass jedes Lebensmittel zu jeder Uhrzeit und zu jeder Jahreszeit überall zu haben ist. Erdbeeren gibt es das ganze Jahr, Tomaten auch. Und frisches Brot bis kurz vor Ladenschluss. Wir können mit Knappheit nicht mehr umgehen. Dabei ist Knappheit ein Teil von Nachhaltigkeit. Wir müssen wieder mehr Gefühl dafür bekommen, dass nicht immer alles da sein kann, und unsere Bedürfnisse entsprechend anpassen.
Rottmann: Lebensmittelverschwendung ist ein großes Thema. Die meisten Leute denken da an die Supermärkte, dabei werfen wir die meisten Lebensmittel zu Hause weg. Wir kaufen zu viel, zu großzügig ein. Wenn man überlegt, wie viel Energie, wie viel Arbeitskraft von Landwirten und Landwirtinnen in Produkte fließen, die nicht genutzt werden - das ist ein ethisches Problem.
Rottmann: Wir versuchen, an allen Ecken der Lebensmittel-Produktionskette anzusetzen, zum Beispiel reden wir mit dem Handel, um Überschüsse zu vermeiden und zu verhindern, dass genießbare Lebensmittel im Abfall landen. Da braucht es neue, kreative Lösungen.
Rottmann: In Deutschland sind es die ehrenamtlich organisierten Tafeln, die die Hälfte der überschüssigen Lebensmittel abnehmen und verteilen. Aber die stoßen vielfach an Kapazitätsgrenzen. Ich stelle mir vor, beispielsweise auch Großküchen miteinzubinden. Ein Produkt, das ich im Markt nicht mehr loswerde, kann ich in der Großküche häufig gut verarbeiten: Tomaten, die nicht mehr ganz frisch sind, zu Tomatensuppe oder Milchprodukte, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum naht. Auch die Gemeinschaftsverpflegung wäre eine gute Adresse, an die sich der Handel wenden könnte.
Rottmann: Ein großer Teil der Gemeinschaftsverpflegung betrifft Schulen und Kitas, dafür sind die Länder zuständig. Was wir als Bund machen können, ist, Vernetzung zu organisieren und Knowhow zu transferieren. Unser Ziel ist es, den Anteil an biologisch erzeugten und regionalen Produkten in der Gemeinschaftsverpflegung zu erhöhen. Da geht es beispielsweise darum, eine regionale Verarbeitungs- und Lagerinfrastruktur zu schaffen, damit Erzeuger ihre Küchen vor Ort direkt beliefern können. So ein Miteinander sichert den Erzeugern dauerhaft eine stabile Abnehmerstruktur für ihre Produkte und verringert die Abhängigkeit von großen Konzernen. Der Bund kann helfen, hier Lücken zu identifizieren und dann zu schließen. Das ein oder andere müssen wir einfach mal ausprobieren.
Rottmann: Ich verstehe den Frust von Landwirtinnen und Landwirten sehr gut, wenn sie diese Erfahrung machen. Es wird eine der Hauptaufgaben in dieser Legislaturperiode sein, die Landwirtschaft bei den Investitionen ins Tierwohl, beispielsweise durch Stallumbauten, finanziell zu unterstützen. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass ein größerer Anteil des Geldes, das der Kunde an der Ladentheke bezahlt, auch bei den Landwirtinnen und Landwirten ankommt. Länder wie Frankreich und Spanien versuchen, mit gesetzlichen Regelungen zu verhindern, dass der Handel systematisch unter dem Produktionspreis einkauft. Das Kartellrecht ist ein Instrument, um fairen Handel sicherzustellen.
Rottmann: Es gibt da ein gutes Beispiel: Eier aus Käfighaltung lassen sich kaum noch verkaufen, die Verbraucher lehnen sie ab. Beim Fleisch benötigen wir in einer ersten Stufe mehr Transparenz – über die Haltungsform. Dazu brauchen wir eine gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnung, auch bei verarbeitetem Fleisch. Freiwillige Labels reichen da nicht. Und es sollte finanzielle Unterstützung geben, damit Landwirtinnen und Landwirte auf die beste Haltungsform umstellen.
Rottmann:. Ich kann die Frage nicht pauschal beantworten. Höhere Preise sind ja kein Selbstzweck. Sondern von dem Geld, das wir an der Ladenkasse zahlen, muss ein größerer Anteil bei den Erzeugerinnen und Erzeugern von Lebensmitteln landen. Aber richtig ist auch: Exzessive Niedrigpreise, die viele Verbraucher in der Vergangenheit gewohnt waren, sind mit nachhaltigem Wirtschaften nicht vereinbar. Das weiß auch jeder. Jeder, der selbst gärtnert, erkennt schnell, wie viel Arbeit das ist, Gemüse und Obst anzubauen. Jeder, der selbst mal ein Tier aufgezogen hat, weiß, wie aufwändig das ist. Wenn das halbe Hähnchen weniger kostet als der Cappuccino, dann kann etwas nicht stimmen.
Rottmann: Ja, zu viele Familien, vor allem auch Alleinerziehende, leben in Armut und müssen schon jetzt jeden Cent umdrehen. Die können sich keine gute Ernährung leisten. Aber das müssen wir sozialpolitisch lösen, durch einen höheren Mindestlohn zum Beispiel, aber auch bessere Bezahlung etwa in Dienstleistungsberufen. Die armen Menschen in Deutschland zu unterstützen, kann nicht bedeuten, dass Tiere schlecht gehalten werden müssen, dass Landwirtinnen und Landwirte wenig verdienen und Saisonarbeiter keine guten Arbeitsbedingungen haben dürfen. Das ist keine Lösung.
Rottmann: Das ist mir zu einfach. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher gerade auch auf dem Land haben gar nicht die Möglichkeit, regional und nachhaltig einzukaufen. Da gibt es die Supermärkte mit dem Standardangebot, aber vielfach keine Wochenmärkte mit regionalen Produkten. Es muss den Leuten leichter gemacht werden, die gesunde, nachhaltige Wahl zu treffen. Wenn sie damit dann gute Erfahrungen gemacht haben, wächst auch die Bereitschaft für Veränderung. Die herrschende Wegwerfkultur ist auch auf einen Erfahrungsmangel zurückzuführen.
Rottmann: Wir haben es verlernt, klug einzukaufen, auch mal was Neues auszuprobieren. Das ist kein Vorwurf, vielen Menschen fehlt einfach die Zeit dazu. Während Corona war das zeitweise anders: Während des Lockdowns hatten viele Menschen die Muße, auch mal längere Wege für ein besonderes Produkt zu gehen und dieses dann gut zuzubereiten. Es fehlt also nicht am Willen.