zurück
Hammelburg/Berlin
Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium: Müssen Lebensmittel teurer werden, Frau Rottmann?
"Lebensmittel sind vielfach Teil unserer Wegwerfkultur geworden", beklagt Grünen-Politikerin Manuela Rottmann. Wie sie das ändern will.
Viel zu viele Lebensmittel landen in der Mülltonne. Dies zu ändern, hat sich Staatssekretärin Manuela Rottmann zur politischen Aufgabe gemacht. (Symbolbild)
Foto: Patrick Pleul, dpa | Viel zu viele Lebensmittel landen in der Mülltonne. Dies zu ändern, hat sich Staatssekretärin Manuela Rottmann zur politischen Aufgabe gemacht. (Symbolbild)
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:03 Uhr

Seit gut hundert Tagen ist Manuela Rottmann Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Für die 49-Jährige aus Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen) bedeutet der Karrieresprung, ein politisches Herzensanliegen in Berlin auf Regierungsebene angehen zu können: die Stärkung des ländlichen Raums. Der Landwirtschaft komme dabei eine zentrale Bedeutung zu, sagt Rottmann, die sich selbst gerne als "Freilandei" bezeichnet. Ein Gespräch über die mangelnde Wertschätzung für Lebensmittel und die Arbeit von Landwirtinnen und Landwirten.

Frage: Mehl, Sonnenblumenöl, Senf: Die Menschen hierzulande hamstern Lebensmittel. Können Sie sie verstehen, Frau Rottmann?

Manuela Rottmann: Objektiv gibt es dafür keinen Grund: Grundnahrungsmittel werden in ausreichender Menge produziert und in die Läden geliefert. Für die Versorgung mit Mehl sind wir in Deutschland zum Beispiel überhaupt nicht von der Ukraine abhängig. Aber ich verstehe, dass ein – aus welchem Grund auch immer – leer gekauftes Regal die Menschen in Sorge versetzt. Dennoch sollte man dem Impuls widerstehen und nur kaufen, was man aktuell benötigt. Dass ein leer gekauftes Regal kein Zeichen für Knappheit ist, haben wir ja am Beispiel des Toilettenpapiers gelernt.

Staatssekretärin  Manuela Rottmann beim Besuch einer Streuobstwiese des Bund Naturschutz im März in Untererthal  (Lkr. Bad Kissingen).
Foto: Siegesmund von Dobschütz | Staatssekretärin  Manuela Rottmann beim Besuch einer Streuobstwiese des Bund Naturschutz im März in Untererthal  (Lkr. Bad Kissingen).
Aber Putins Krieg hat schon Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung. Die Ukraine ist einer der größten Getreide-Exporteure weltweit. Werden die Preise weiter steigen?

Rottmann: Wir produzieren in Deutschland mehr Weizen als wir selbst verbrauchen. Aber steigende Preise für Diesel, Gas oder Düngemittel schlagen sich natürlich auch bei uns nieder. Wir müssen mit einem Preisanstieg rechnen. In Deutschland wird, ergänzend zum in der vergangenen Woche  vorgestellten Entlastungspaket, deshalb auch an weiteren Entlastungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger gearbeitet.

"Lebensmittelverschwendung ist ein ethisches Problem."
Manuela Rottmann, Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium
Vielleicht kommen Ihnen Preiserhöhungen politisch gar nicht so ungelegen? Die Ampel-Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, Lebensmitteln mehr Wertschätzung zukommen zu lassen.

Rottmann:  Ein Krieg ist das Schrecklichste, was einem widerfahren kann. Ich kann daran nichts Positives finden. In Frieden leben zu dürfen, ist aber ein Anlass wertzuschätzen, was uns allzu oft selbstverständlich erscheint. Leider sind Lebensmittel vielfach Teil unserer Wegwerfkultur geworden. Wir haben uns daran gewöhnt, dass jedes Lebensmittel zu jeder Uhrzeit und zu jeder Jahreszeit überall zu haben ist. Erdbeeren gibt es das ganze Jahr, Tomaten auch. Und frisches Brot bis kurz vor Ladenschluss. Wir können mit Knappheit nicht mehr umgehen. Dabei ist Knappheit ein Teil von Nachhaltigkeit. Wir müssen wieder mehr Gefühl dafür bekommen, dass nicht immer alles da sein kann, und unsere Bedürfnisse entsprechend anpassen.

Was heißt das konkret?

Rottmann: Lebensmittelverschwendung ist ein großes Thema. Die meisten Leute denken da an die Supermärkte, dabei werfen wir die meisten Lebensmittel zu Hause weg. Wir kaufen zu viel, zu großzügig ein. Wenn man überlegt, wie viel Energie, wie viel Arbeitskraft von Landwirten und Landwirtinnen in Produkte fließen, die nicht genutzt werden - das ist ein ethisches Problem.

Wie könnte Politik das verändern?

Rottmann: Wir versuchen, an allen Ecken der Lebensmittel-Produktionskette anzusetzen, zum Beispiel reden wir mit dem Handel, um Überschüsse zu vermeiden und zu verhindern, dass genießbare Lebensmittel im Abfall landen. Da braucht es neue, kreative Lösungen.

Frankreich hat ein Gesetz verabschiedet, das es Supermärkten ab einer bestimmten Größe verbietet, Lebensmittel wegzuwerfen.

Rottmann: In Deutschland sind es die ehrenamtlich organisierten Tafeln, die die Hälfte der überschüssigen Lebensmittel abnehmen und verteilen. Aber die stoßen vielfach an Kapazitätsgrenzen. Ich stelle mir vor, beispielsweise auch Großküchen miteinzubinden. Ein Produkt, das ich im Markt nicht mehr loswerde, kann ich in der Großküche häufig gut verarbeiten: Tomaten, die nicht mehr ganz frisch sind, zu Tomatensuppe oder Milchprodukte, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum naht. Auch die Gemeinschaftsverpflegung wäre eine gute Adresse, an die sich der Handel wenden könnte.

"Unser Ziel ist es, den Anteil an regionalen Produkten in der Gemeinschaftsverpflegung zu erhöhen."
Manuela Rottmann, Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium
Haben Sie denn darauf politischen Zugriff? Sie erinnern sich: Alleine der Vorschlag der Grünen, einen Veggie-Day in öffentlichen Kantinen einzurichten, hat für einen Aufschrei gesorgt.

Rottmann: Ein großer Teil der Gemeinschaftsverpflegung betrifft Schulen und Kitas, dafür sind die Länder zuständig. Was wir als Bund machen können, ist, Vernetzung zu organisieren und Knowhow zu transferieren. Unser Ziel ist es, den Anteil an biologisch erzeugten und regionalen Produkten in der Gemeinschaftsverpflegung zu erhöhen. Da geht es beispielsweise darum, eine regionale Verarbeitungs- und Lagerinfrastruktur zu schaffen, damit Erzeuger ihre Küchen vor Ort direkt beliefern können. So ein Miteinander sichert den Erzeugern dauerhaft eine stabile Abnehmerstruktur für ihre Produkte und verringert die Abhängigkeit von großen Konzernen. Der Bund kann helfen, hier Lücken zu identifizieren und dann zu schließen. Das ein oder andere müssen wir einfach mal ausprobieren.

Landwirtinnen und Landwirte sagen, sie seien bereit, höhere Auflagen beim Tierwohl zu erfüllen, nur müsse es sich auch rechnen. Den Discountern, die versprechen, Fleisch nur noch aus artgerechter Tierhaltung anzubieten, werfen sie vor, den Mehraufwand nicht bezahlen zu wollen. Haben sie Recht?

Rottmann: Ich verstehe den Frust von Landwirtinnen und Landwirten sehr gut, wenn sie diese Erfahrung machen. Es wird eine der Hauptaufgaben in dieser Legislaturperiode sein, die Landwirtschaft bei den Investitionen ins Tierwohl, beispielsweise durch Stallumbauten, finanziell zu unterstützen. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass ein größerer Anteil des Geldes, das der Kunde an der Ladentheke bezahlt, auch bei den Landwirtinnen und Landwirten ankommt. Länder wie Frankreich und Spanien versuchen, mit gesetzlichen Regelungen zu verhindern, dass der Handel systematisch unter dem Produktionspreis einkauft. Das Kartellrecht ist ein Instrument, um fairen Handel sicherzustellen.

Braucht es auch Verbote? Beispielsweise, dass Fleisch unter einem bestimmten Haltungslevel überhaupt nicht mehr verkauft werden darf?

Rottmann: Es gibt da ein gutes Beispiel: Eier aus Käfighaltung lassen sich kaum noch verkaufen, die Verbraucher lehnen sie ab. Beim Fleisch benötigen wir in einer ersten Stufe mehr Transparenz – über die Haltungsform. Dazu brauchen wir eine gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnung, auch bei verarbeitetem Fleisch. Freiwillige Labels reichen da nicht. Und es sollte finanzielle Unterstützung geben, damit Landwirtinnen und Landwirte auf die beste Haltungsform umstellen.

"Wenn das halbe Hähnchen weniger kostet als der Cappuccino, dann kann etwas nicht stimmen."
Grünen-Politikerin Manuela Rottmann
Müssen wir Verbraucher uns darauf einstellen, dass Lebensmittel teurer werden?

Rottmann:. Ich kann die Frage nicht pauschal beantworten. Höhere Preise sind ja kein Selbstzweck. Sondern von dem Geld, das wir an der Ladenkasse zahlen, muss ein größerer Anteil bei den Erzeugerinnen und Erzeugern von Lebensmitteln landen. Aber richtig ist auch: Exzessive Niedrigpreise, die viele Verbraucher in der Vergangenheit gewohnt waren, sind mit nachhaltigem Wirtschaften nicht vereinbar. Das weiß auch jeder. Jeder, der selbst gärtnert, erkennt schnell, wie viel Arbeit das ist, Gemüse und Obst anzubauen. Jeder, der selbst mal ein Tier aufgezogen hat, weiß, wie aufwändig das ist. Wenn das halbe Hähnchen weniger kostet als der Cappuccino, dann kann etwas nicht stimmen.

Bei der Vereidigung am 8. Dezember 2021 in Berlin: Manuela Rottmann (links) und Ophelia Nick (rechts), die beiden Parlamentarischen Staatssekretärinnen im Landwirtschaftsministerium, mit Minister Cem Özdemir.
Foto: Thomas Trutschel | Bei der Vereidigung am 8. Dezember 2021 in Berlin: Manuela Rottmann (links) und Ophelia Nick (rechts), die beiden Parlamentarischen Staatssekretärinnen im Landwirtschaftsministerium, mit Minister Cem Özdemir.
Aber viele Menschen können sich höhere Preise nicht leisten.

Rottmann: Ja, zu viele Familien, vor allem auch Alleinerziehende, leben in Armut und müssen schon jetzt jeden Cent umdrehen. Die können sich keine gute Ernährung leisten. Aber das müssen wir sozialpolitisch lösen, durch einen höheren Mindestlohn zum Beispiel, aber auch bessere Bezahlung etwa in Dienstleistungsberufen. Die armen Menschen in Deutschland zu unterstützen, kann nicht bedeuten, dass Tiere schlecht gehalten werden müssen, dass Landwirtinnen und Landwirte wenig verdienen und Saisonarbeiter keine guten Arbeitsbedingungen haben dürfen. Das ist keine Lösung.

"Die herrschenden Wegwerkkultur ist auch auf einen Erfahrungsmangel  zurückzuführen."
Manuela Rottmann, Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium
Dennoch, gibt es nicht auch eine Verantwortung des Verbrauchers?

Rottmann: Das ist mir zu einfach. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher gerade auch auf dem Land haben gar nicht die Möglichkeit, regional und nachhaltig einzukaufen. Da gibt es die Supermärkte mit dem Standardangebot, aber vielfach keine Wochenmärkte mit regionalen Produkten. Es muss den Leuten leichter gemacht werden, die gesunde, nachhaltige Wahl zu treffen. Wenn sie damit dann gute Erfahrungen gemacht haben, wächst auch die Bereitschaft für Veränderung. Die herrschende Wegwerfkultur ist auch auf einen Erfahrungsmangel zurückzuführen.

Was heißt das?

Rottmann: Wir haben es verlernt, klug einzukaufen, auch mal was Neues auszuprobieren. Das ist kein Vorwurf, vielen Menschen fehlt einfach die Zeit dazu. Während Corona war das zeitweise anders: Während des Lockdowns hatten viele Menschen die Muße, auch mal längere Wege für ein besonderes Produkt zu gehen und dieses dann gut zuzubereiten. Es fehlt also nicht am Willen.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Hammelburg
Michael Czygan
Alleinerziehende Mütter
Landwirte und Bauern
Lebensmittelversorgung
Manuela Rottmann
Mindesthaltbarkeitsdatum
Parlamentarische Staatssekretäre
Wladimir Wladimirowitsch Putin
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • B. H.
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln (diverse unbelegte Behauptungen) auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten