Bandscheibenvorfall, Hexenschuss oder Verspannungen – Rückenschmerzen zählen zu den Hauptursachen für Krankschreibungen in Deutschland und gelten als "Volkskrankheit". Auch im Rehabilitations- und Präventionszentrum in Bad Bocklet (Lkr. Bad Kissingen) ist rund die Hälfte aller Patientinnen und Patienten wegen Rückenerkrankungen in stationärer Behandlung. Wie Kira Scheidler und Marco Appelt.
Altenpflegerin mit Rückenschmerzen seit vielen Jahren
Rückenschmerzen plagten die Altenpflegerin bereits seit zwölf Jahren. Im vergangenen Dezember würden sie noch schlimmer: "Ich konnte mich im Bett nicht mehr selbst drehen. Und aufstehen, das ging gar nicht", berichtet Kira Scheidler, die aus der Nähe von Hannover kommt. "Ich habe gedacht, dass es eine Entzündung ist, die von alleine weggeht. Ist sie aber nicht." Ihr Hausarzt schickte sie zur Kernspintomographie. Die Diagnose: Bandscheibenverschiebungen und Entzündungen im Rücken.
"Das ist zwar kein Bandscheibenvorfall, tut aber trotzdem ordentlich weh", sagt die 35-Jährige. "Im rechten Bein hatte ich so starken Kraftverlust, dass ich meinen Fuß nicht mehr halten konnte." Ein Neurochirurg habe ihr Spritzen gegen die Entzündungen verabreicht – "wirklich geholfen hat das nicht".
Stationäre Schmerztherapie in der Poliklinik Würzburg
Sobald bei Rückenschmerzen weitere Symptome wie Kraftverlust oder Ausfälle in den Beinen auftreten, sollte man dringend zum Facharzt, rät Dr. Silvia Herbold von der Uniklinik Würzburg. Bei solchen Anzeichen müsse möglichst früh ein Bild von der Wirbelsäule gemacht werden, sagt die Leiterin der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik. "Und wenn man sich gar nicht mehr bewegen kann, dann muss man notfallmäßig ran."
Die Uninklinik setzt bei sogenannten idiopathischen Rückenschmerzen auf eine stationäre Schmerztherapie - das heißt bei allen, die extreme Schmerzen haben, aber keinen Bandscheibenvorfall oder andere Veränderungen an der Wirbelsäule. "Zu uns kommen viele Menschen mit akuten Schmerzen, die sich gar nicht mehr bewegen können, zum Beispiel mit einem Hexenschuss", sagt Herbold.
Wenn die Krankengymnastik nicht ausreicht
Kira Scheidler erhielt zunächst eine konservative Behandlung. Dazu zählen Krankengymnastik, Reha-Sport in der Gruppe, Massagen und Schmerzmitteln. "Ich habe mit Krankengymnastik angefangen", sagt die 35-Jährige. "Aber zuhause durfte ich weder Übungen, noch Sport machen, weil das in meiner Situation zu gefährlich war."
Weil die konservative Therapieform nicht ausreichte, ist die Altenpflegerin nach zehn Monaten nun zusammen mit ihrer Tochter zur Reha in Bad Bocklet.
So wie Kira Scheidler haben viele Betroffene einen längeren Leidensweg hinter sich, ehe ihnen eine stationäre Reha bewilligt wird. Marco Appelt beispielsweise hat seit rund zehn Jahren Rückenprobleme: "Beruflich bedingt bin ich körperlich immer voll dabei", sagt der 53-jährige Polizeibeamte aus dem Raum Bremerhaven.
Viel Sitzen und Stehen, mit Schutzweste unterwegs sein, weniger Bewegung im Lockdown – zu den Schmerzen im unteren Rücken- und im Hals-Nacken-Bereich kamen irgendwann Schmerzen an Ellenbogen und Sprunggelenk hinzu: "Das schränkt im täglichen Leben unheimlich ein, nicht nur beruflich." Er sei von Facharzt zu Fachärztin geschickt worden – "und jeder stellt für seinen Bereich fest, dass er nichts finden kann", sagt der 53-Jährige. "Da fängt man an zu verzweifeln."
Viele Ursachen für Rückenschmerzen
Dass bei extremen Schmerzen die Röntgen- oder Kernspin-Aufnahmen keine sichtbaren Veränderungen zeigen, sei nicht ungewöhnlich, sagt Dr. Kai Dreßler, Chefarzt der Orthopädie im Reha-Zentrum Bad Bocklet. Denn die Rückenprobleme ließen sich häufig auf mehrere Ursachen zurückführen – nicht allein auf die eine Stelle, an der die Schmerzen auftreten.
Einseitige Belastungen, zu wenig Bewegung und Muskelverspannungen nennt Dreßler als Faktoren. Aber auch Alltagsstress, Hektik und seelische Konflikte begünstigten Rückenschmerzen. Vor allem die Kombination aus Fehlbelastungen und emotionalem Stress.
Altenpflegerin Kira Scheidler kann das gut nachvollziehen: "Schwer heben, viel Stress, keine Ruhezeiten und das viele Einspringen: Das macht es schwierig zuhause abzuschalten."
Raus aus dem Alltag, rein in die Reha
Nach zehn Monaten hatte die Odyssee zwischen Facharztpraxen und Krankengymnastik für Marco Appelt ein Ende: "Irgendwann hat mein Hausarzt gesagt, dass mal längere Zeit am Stück daran gearbeitet werden muss." Jetzt ist er Patient in der Reha-Klinik in Bad Bocklet, drei Wochen lang stehen täglich intensive Übungsbehandlungen auf seinem Therapieplan. Der ist individuell auf ihn abgestimmt – mit Ergotherapie, Massagen, Krankengymnastik und Rückenschule.
Die ersten Fortschritte hätten sie schon nach wenigen Tagen gespürt, berichten Kira Scheidler und Marco Appelt: "Einige Verspannungen wurden schon bearbeitet, wie die Stabilitätsprobleme im Sprunggelenk", sagt der Polizist. Sie habe zu Beginn der Reha erst mal noch mehr Schmerzen gehabt, schildert die Altenpflegerin: "weil man Muskeln beansprucht, die man sonst nicht beansprucht." Ihre größte Erkenntnis: "Wie Psyche und Körper zusammenspielen. Der Stress verstärkt den Schmerz."
Kältekammer, Magnetfeldtherapie, Massagen – was nach Wellnessurlaub klingt, soll das Körpersystem anregen, erklärt Reha-Arzt Kai Dreßler. "Im Alltagsstress fällt das System in eine Starre und fährt auf Sparflamme. Das reduziert die Durchblutung vom Gewebe." Genau da setze die stationäre Rehabilitation an – denn "Gewebe, dass nicht gut durchblutet ist, können wir auch nicht therapeutisch verändern".
Nach der Reha am besten ein veränderter Lebensstil
Um nach der Reha schmerzfrei zu bleiben, brauche es eine "Lifestyle-Änderung", sagt Dreßler. "Wer monotone Bewegungen beibehält und nichts verändert, wird auch den Schmerz nicht ändern." Der Mediziner rät dazu, regelmäßig die eigene Komfortzone zu verlassen: "Ein Waldspaziergang oder kalt Duschen am Morgen können schon sehr viel bewirken."
Den Verschleiß des Körpers könne man zwar nicht aufhalten, sagt Dreßler. Aber mit Bewegung sorge man dafür, dass er weiterhin funktioniert: "Das gilt auch für ältere Menschen. Alter schützt vor Training nicht." Aktivitäten für einen gesunden Rücken sollten im Alltag zur Normalität werden – "so wie Zähne putzen". Das empfiehlt auch Silvia Herbold von der Würzburger Uniklinik: "Das Einzige, was bei Rückenschmerzen nachgewiesen langfristig am besten hilft, ist ein aktiver Lebensstil".
Mehr Sport und leichtes Training daheim
Kira Scheidler will nach der Reha auf jeden Fall mehr Sport machen: "Als ich das erste Mal im Kraftraum war, hab ich schon gesagt, dass ich mich im Fitnessstudio anmelden werde." Und Marco Appelt will künftig zuhause mit leichten Gewichten trainieren und bewusster sitzen: "Man muss ständig am Ball bleiben, das habe ich hier wieder vor Augen geführt bekommen."
Jeder Schreibtisch mit PC sollte höhenverstellbar sein und beim Laptop sollte daneben ein Stehpult sein. Sodass man wechseln kann - denn lange Stehen ist auch schlecht. Für die Neuplanung von Büroräumen sollte das Vorschrift werden. Denn die nächste Haltung ist die beste.
Man kann sich das auch selbst basteln. Ich hab einen Umzugskarton neben dem Schreibtisch, den ich ab und zu drauf stelle und oben drauf den Laptop, für den ständigen Wechsel von Arbeit im Sitzen & Stehen.