Schlagartig wird es laut: Trillerpfeifen, Trommeln, Buh-Rufe. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eilt unbeeindruckt ans Rednerpult. Lächeln für die Kameras, ein schneller Blick zu den Demonstranten. Knapp 75 Minuten lang will er am Stadtstrand in Bad Kissingen Fragen der Bürgerinnen und Bürger beantworten. Wahlkampf für und mit Digital-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU), zwischen Liegestühlen und Polizeigroßaufgebot. Mit der sonntäglichen Ruhe im Kurgarten ist es damit vorbei.
Dass es für Spahn kein gemütlicher Strandspaziergang werden würde, war fast zu erwarten. Hassparolen und Beschimpfungen hatten schon in der vergangenen Woche die Wahlkampfauftritte des Bundesgesundheitsministers begleitet. Und auch in Bad Kissingen machen Kritiker ihrem Unmut über Spahns Krisenmanagement in der Corona-Pandemie lautstark Luft. Rund 100 Menschen, schätzt die Polizei, protestieren am Saaleufer hinter dem Regentenbau.
Gesundheitsminister wirbt fürs Zuhören
Spahn habe als Gesundheitsminister in der Pandemie sicher den "knochenhärtesten Job", sagt Kabinettskollegin Dorothee Bär zur Begrüßung. Da brauche er nicht selten "Nerven wie Drahtseile". Debatten und kontroverse Auseinandersetzungen seien ihm wichtig, sagt Spahn mit Blick auf die trillernden und pfeifenden Demonstranten. Aber es gehe immer auch um die Frage, "wie wir miteinander ringen", um das einander Zuhören.
Leicht fällt das an diesem Sonntagmittag trotz der Lautsprecher nicht. Frust darüber ist Spahn kaum anzumerken, die "Hau ab"- und "Lügner"-Rufe scheinen an ihm abzuprallen. "Alles in allem sind wir gut zusammen durch die letzten 18 Monate gekommen", sagt der 41-Jährige. Es habe viele tragische Todesfälle gegeben, aber die Gesundheitsversorgung habe funktioniert, alle Patienten hätten behandelt werden können. Und auch wirtschaftlich stehe Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern gut da.
Gegenüber, am anderen Saaleufer, sieht man das anders. Die Demonstranten fordern vehement Spahns Rücktritt. Beirren lässt sich der Gesundheitsminister davon nicht. "Wir impfen Deutschland in die Freiheit zurück", sagt er fast pathetisch. Und verspricht: "Für Geimpfte und Genesene wird es keine weiteren Beschränkungen und Ausgangssperren geben!" Das klingt gut im Wahlkampf, das Ausrufezeichen ist quasi über den Lärm der Protestanten hinweg hörbar.
Dann, nach fast der Hälfte der geplanten Fragestunde, sind die Bürgerinnen und Bürger dran. 200 durften unter Einhaltung der Corona-Regeln ins umzäunte Areal. Davor recken Neugierige die Hälse, flanierende Kurgäste erkundigen sich bei der Polizei nach dem Grund für den ungewohnten Aufruhr.
Hinter der Absperrung, am Stadtstrand, bleibt Aufregung aus. Harter Kritik muss sich Spahn bei den angemeldeten Gästen nicht stellen. Warum man in Bayern eine FFP2-Maske brauche, im Rest des Landes nicht? Spahn erklärt das knapp mit dem nicht immer effektiven, aber wichtigen föderalen Miteinander. Dann lobt er seine Fortschritte im Kampf gegen den Pflegenotstand und verspricht mehr Unterstützung für pflegende Angehörige. Wie genau, das sagt er nicht.
Einer Pflegekraft aus dem Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus ist das nicht genug. Sie würde sich mehr wünschen, wie konkret wolle die Politik ihren Beruf attraktiver machen? Wann gebe es zum Beispiel "ein angemessenes Altersteilzeitmodell"? Spahn hört zu, dann spielt er den Ball weiter: Arbeitgeber müssten umdenken, individueller auf Pflegekräfte eingehen. Auch die Pflege selbst müsse sich besser organisieren und ihre Interessen vertreten, fordert der Gesundheitsminister. Er nehme aber mit, "ich muss noch mehr tun".
Konkrete Antworten von Spahn: nur auf ausgewählte Fragen
Eine Fragestunde, das bringt das Format mit sich, verspricht Antworten. Spahn gibt sie - auf ausgewählte Fragen und mit bereits Gesagtem. Wie es mit der Pandemie weitergehe, jetzt, in der vierten Welle, kurz vor der Bundestagswahl? Durch den Herbst werde das Land mit der AHA- und der 3G-Regel kommen und mit "impfen, impfen, impfen", sagt Spahn. Und: "Für Geimpfte und Genesene wird es keine weiteren Einschränkungen geben".
Offen bleibt in Bad Kissingen an diesem Sonntag vor allem die Frage: Wie will der Gesundheitsminister die fürs Impfen begeistern, die bislang nicht wollen? "Ich kann nur mit Argumenten überzeugen", sagt Spahn auf Nachfrage. "Jeder der sich impft, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch Menschen, die ihm wichtig sind." Wer sich nicht impfen lasse, werde sich früher oder später anstecken.
Ob das die lautstarken Kritiker überzeugt?
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels wurde Dorothee Bär als Digitalministerin bezeichnet – tatsächlich aber ist die CSU-Politikerin Digital-Staatsministerin.
Ihr Argument für oben ohne: Bei einer Inzidenz von 0 wäre eine Ansteckung praktisch überhaupt nicht möglich. Gleichzeitig prangte an ihrer Tasche ein Statement gegen das Testen.
Mein Fazit: Sie lässt sich nicht testen, hält dies für übertrieben und sinnlos, vertraut und beruft sich aber gleichzeitig auf den Inzidenzwert 0. Vollkommen logisch!
Ein Zitat von Alexander von Humboldt fällt mir hierzu ein:
"Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben."