Aufrichten im Bett. Sitzen. Und vor allem Stehen. "Das konnte ich alles nicht mehr. Täglich haben das die Pflegekräfte mit mir geübt. Und jetzt geht es wieder!" Marianne Zimmermann ist voll des Lobes, wenn sie über die Arbeit der Pflege- und Therapiekräfte der Hescuro-Klinik in Bad Bocklet (Lkr. Bad Kissingen) erzählt. Dort hat die 70-jährige Reha-Patientin aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) nach einer Hüftoperation und einem langem Leidensweg wieder einen Teil ihrer Beweglichkeit zurückgewonnen - mit tatkräftiger Unterstützung des Personals der geriatrischen Reha.
Bei einer geriatrischen Reha gehen die medizinischen Fachkräfte stärker als bei einer normalen Rehabilitation auf die Bedürfnisse und Besonderheiten älterer Menschen ein – mit dem Ziel, die Selbständigkeit alter Menschen möglichst lange zu bewahren. Oder sie wieder zu erreichen und damit die Pflegebedürftigkeit zu vermeiden.
Reha-Leistungen für ältere Menschen werden eher abgebaut als aufgebaut
Der Anteil älterer und alter Menschen an der Gesamtbevölkerung wächst weiter. Und er steuert, wenn demnächst die Babyboomer-Generation das Rentenalter erreicht, auf einen Höchststand zu. Ausgerechnet in dieser Situation werden Reha-Leistungen, die auf Seniorinnen und Senioren zugeschnitten sind, aber nicht ausgebaut, sondern reduziert.
So haben in den vergangenen zwei Jahren etwa die stationäre geriatrische Reha-Einrichtung des Würzburger Bürgerspitals mit 24 Betten und die geriatrische Rehaabteilung der Bad Mergentheimer Hohenlohe-Klinik mit rund 40 Betten dichtgemacht. Auch die Lorey-Klinik im hessischen Bad Soden mit rund 170 Betten, die jahrelang viele unterfränkische Patienten aufgenommen hat, ist geschlossen – wegen Insolvenz.
Dass der Bedarf an geriatrischer Reha steigt, das Angebot an Plätzen in Nordbayern aber abgenommen hat, spüren die verbleibenden unterfränkischen Kliniken mit geriatrischer Reha-Abteilung deutlich: Ihre Wartelisten sind länger geworden, die Anfragen häufen sich.
Chefarzt der Hescuro-Klinik Bad Bocklet berichtet von längeren Wartezeiten
"Laut Gesetz soll bei Anschlussheilbehandlungen eine geriatrische Reha innerhalb von zwei Wochen nach der Entlassung aus der Klinik erfolgen. Aber aktuell beträgt die Wartezeit fünf Wochen", sagt Dr. Dietmar Brückl, Chefarzt der Hescuro-Klinik. Die Einrichtung in Bad Bocklet hält aktuell 35 geriatrische Rehabetten vor. Die Lage habe sich gegenüber der Zeit vor der Pandemie verschlechtert, sagt Brückl.
Dramatisch verlängert habe sich in seiner Klinik die Wartezeit bei der "normalen geriatrischen Reha". Also wenn die Patienten nicht direkt zur unmittelbaren Anschlussheilbehandlung aus einer Klinik kommen, sondern aus der Kurzzeitpflege, aus einem Pflegeheim oder von Zuhause. "Hier beträgt die Wartezeit mittlerweile vier bis fünf Monate", sagt der Chefarzt der Hescuro-Klinik. Viel öfter als früher müssten Patienten auf der Suche nach einem Reha-Bett "vertröstet werden".
Für die Betroffenen sei es nicht leicht, auf die notwendigen Reha-Maßnahmen "fast ein halbes Jahr warten zu müssen". Man müsse sich, meint Brückl, wohl mit ambulanter Physiotherapie behelfen und bei vielen Kliniken anfragen.
Reha-Patientin Zimmermann: "Momentan mache ich die Stehübungen alleine"
Marianne Zimmermann kann ein Lied davon singen: Nach dem Reha-Aufenthalt in Bad Bocklet geht es ihr inzwischen viel besser. Auch wenn sie immer noch nicht an Krücken gehen kann, wie sie es sich wünscht: "Ich benutze einen Rollator, auf den ich mich stütze. Das Gehen und vor allem das Stehen fällt mir noch schwer", sagt die 70-Jährige.
Deshalb braucht Zimmermann im Anschluss an die stationäre Reha jetzt eine ambulante Therapie. "Aber hier im Kreis Main-Spessart ist es sehr schwierig, jemanden zu finden. Wo immer man anruft, gibt es niemanden, der schnell Kapazitäten hat", schildert die Gemündenerin. Ihre "Stehübungen", die ihr die Therapeuten in Bad Bocklet aufgetragen haben, mache sie aktuell allein.
Das Beispiel der 70-Jährigen zeigt, wie schwierig es ist, eine ambulante Therapie zu bekommen. Nicht nur für Patienten, die aus einer Reha-Einrichtung kommen, sondern insbesondere auch für jene, die noch auf den geriatrischen Rehaplatz warten.
In der Pandemie sind viele Pflegekräfte gegangen und nicht zurückgekommen
Was ist der Grund für lange Wartezeiten und fehlende Plätze? Die Pandemie habe vielen Kliniken geschadet, sagt Chefarzt Dietmar Brückl: "In dieser Zeit sind viele Pflegekräfte gegangen und nicht zurückgekommen. Viele Kliniken bekommen nicht genügend Personal." Doch Hauptgrund für den Rückgang an geriatrischen Rehaplätzen sei sicherlich die Vergütung dieser Leistungen- " für alle Kliniken ein schwieriges Thema". Auch die Hescuro-Klinik müsse jedes Jahr aufs Neue die Pflegesätze verhandeln und die Geschäftsführung müsse entscheiden, "ob sich der Bereich trägt", heißt es aus der Einrichtung in Bad Bocklet.
Sprecherin des Klinikums Main-Spessart: "Die geriatrische Reha ist absolut unterfinanziert"
Deutlich formuliert das eine Sprecherin des Klinikums Main-Spessart, das rund 20 stationäre geriatrische Rehaplätze anbietet: "Die geriatrische Rehabilitation ist absolut unterfinanziert. Die Krankenkassen sind nicht gewillt, die tatsächlich anfallenden Kosten zu tragen." Dass die tatsächlich anfallenden Kosten durch die von den Kranken- und Pflegekassen gezahlten Sätze bei weitem nicht gedeckt werden und die geriatrische Reha insgesamt massiv unterfinanziert ist, hat auch Dr. Kathrin Tatschner, Chefärztin der Geriatrischen Rehaklinik der AWO in Würzburg, mehrfach angeprangert.
Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände Bayern: Budget-Umschichtung nicht möglich
Weil die Lage dramatisch ist, hat Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) im Februar einen Runden Tisch einberufen und dazu Kliniken wie Kostenträger, also etwa die Krankenkassenverbände, eingeladen. Konkrete Lösungen sind aktuell noch nicht in Sicht. Auf Nachfrage erklärt ein Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern, dass Vergütungsvereinbarungen nicht pauschal, sondern individuell "zwischen der jeweiligen Rehaeinrichtung und der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen" geschlossen würden. Und zwar unter Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen des Gesetzgebers: "Freiwillige zusätzliche Leistungen oder eine Umschichtung von Budgets" seien "nicht möglich", teilt der Sprecher mit.
Es ist publikumsträchtiger, sich über Legalisierung oder Nichtlegalisierung von Cannabiskonsum zu äußern und zu streiten, als für die ausreichende Finanzierung einer Solidarleistung wie der geriatrischen Reha zu kämpfen. Die Sauerei wird dadurch nicht zur Schweinerei.
Gleichzeitig wird es Millionenbetrügern offenkundig viel zu leicht gemacht, Gelder der Beitragszahler abzugreifen.
Es kann sich nur etwas ändern, wenn Mißstände von den Medien aufgegriffen und publik gemacht werden, damit die Verantwortlichen auch einmal für bisweilen fragwürdige Entscheidungen geradestehen müssen.