Nach einer anstrengenden Arbeitswoche oder einer ausgelassenen Party ist jeder mal erschöpft und ausgepowert. Auch ein schwerer Infekt oder eine große körperliche Herausforderung können unsere Leistungsfähigkeit vorübergehend schwächen. Doch was, wenn körperliche und geistige Schwäche ständig scheinbar grundlos auftreten? Und wenn weder Schlaf noch Erholung helfen, den inneren Akku wieder aufzuladen?
In Deutschland sind laut Deutscher Gesellschaft für ME/CFS bis zu 250.000 Menschen vom chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) betroffen. Viele der Erkrankten sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, stehen also mitten im Berufsleben. Frauen sind drei mal so häufig betroffen wie Männer. Arpad Grec, Chefarzt für Psychosomatik am Rehabilitationszentrum in Bad Bocklet (Lkr. Bad Kissingen), erklärt, wie CFS behandelt wird und was Betroffene selbst tun können.
Arpad Grec: CFS ist eine schwere körperliche Erkrankung, die vor allem nach einem Virusinfekt wie einer Grippe, Corona oder dem Pfeifferschen Drüsenfieber auftritt. Die Hauptsymptome sind eine ausgeprägte Erschöpfung mit einer sehr hohen Belastungsintoleranz. Bei CFS ist der Körper nicht mehr in der Lage, ausreichend Energie für physische und auch kognitive Aktivitäten bereitzustellen. Vielen Betroffenen fällt es schwer, ihre alltäglichen Aufgaben zu erfüllen, sie fühlen sich dauerhaft ausgeknockt. Die Patienten haben auch Sprach-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Schon nach leichter körperlicher oder geistiger Aktivität fühlen sie sich extrem erschöpft.
Grec: Auch wenn CFS bereits 1969 als neurologische Erkrankung klassifiziert werden konnte, sind ihre genauen Ursachen bis heute nicht bekannt. Es gibt bis heute auch keinen Test, mit dem man die Krankheit eindeutig diagnostizieren kann. Wir wissen, dass die Krankheit durch Infektionen, Immundefekte oder Störungen des Energiestoffwechsels ausgelöst werden kann. Aktuell vorliegende Forschungsergebnisse deuten auch darauf hin, dass sich das körpereigene Abwehrsystem gegen körpereigene Strukturen wendet.
Grec: Durch die Pandemie ist CFS mehr in den Fokus der Allgemeinheit gerückt. Viele Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus, dass Long Covid eine spezielle Variante von CFS ist. Der "Fingerabdruck" des Coronavirus ist der Verlust des Geruchs- und Geschmacksinns und der chronische Reizhusten. So unterscheidet sich Long Covid von normalem CFS. Häufig wird CFS auch von Herpesviren ausgelöst.
Grec: Die meisten Ärztinnen und Ärzte kennen mittlerweile CFS. Allerdings sind viele bei der Diagnose vorsichtig. Ein Grund dafür könnte auch sein, dass CFS in manchen Fällen einer schweren Depression gleicht. Die Niedergeschlagenheit, die Traurigkeit, die Antriebslosigkeit und die körperliche Schwäche können auf den ersten Blick bei beiden Erkrankungen sehr ähnlich sein. Daher muss eine sehr feine Diagnostik gemacht werden.
Grec: Beide Erkrankungen gehen mit starker Erschöpfung, Gedächtnisproblemen, Verlust der Libido und Schlafstörungen einher. Doch CFS beginnt in vielen Fällen plötzlich und wird auch von grippeähnlichen Symptomen wie Kopf- und Halsschmerzen, schmerzhafte Lymphknoten oder Fieber begleitet. Eine Depression entwickelt sich dagegen eher schleichend. Während sich die Symptome einer Depression durch regelmäßige körperliche oder geistige Aktivität spürbar bessern, verschlechtern sie sich dadurch bei CFS zunehmend.
Grec: Es gibt noch keine spezifische Medikation zur Behandlung. Begleitsymptome wie Schmerzen können und sollten mit entsprechenden schmerzlindernden Substanzen, Therapien und Anwendungen behandelt werden. Psychotherapeutische Verfahren wie die Verhaltenstherapie können den Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen, und Entspannungsverfahren wie autogenes Training haben einen nachweislich positiven Effekt.
Grec: Patienten im erwerbsfähigen Alter können hierzu eine unterstützende Rehabilitationsmaßnahme beantragen. In unserem Rehazentrum entwickeln wir gemeinsam mit jedem Patienten eine individuelle Mischung aus moderaten sportlichen Therapien und Entspannungsverfahren, um die persönliche Grenze zwischen förderlicher Aktivität und ungesunder Überforderung auszuloten. Dazu setzen wir auf das sogenannte Pacing. Das heißt schonend mit den eigenen Ressourcen umzugehen und zu erkennen, wo die eigenen Grenzen liegen. Es besteht immer die Gefahr, dass die Patienten sich zu viel zumuten und einen riesengroßen Rückschlag erleiden. Jeder muss daher seinen eigenen Belastungskorridor austesten.
Grec: Der erste Schritt ist, Kontakt mit einem Arzt zu haben, der sich mit dieser Krankheit auskennt. Auch wenn es sehr schwerfällt müssen die Patientinnen und Patienten akzeptieren, dass sie weniger belastbar sind, denn Anstrengung kann ihre Symptome sogar verschlimmern. Besser ist es, sich zurückzuziehen, wenn man merkt, dass nichts mehr geht. Jeder muss seine eigenen Leistungsgrenzen neu ausrichten. Ein geregelter Tagesablauf mit festen Mahlzeiten und einer klaren Struktur wird von vielen als wohltuend empfunden. Hilfreich sind auf jeden Fall Entspannungsverfahren. Bewegung und Sport dagegen können die Beschwerden sogar verstärken.
Grec: Alle Patienten, die ich kenne, sind wieder gesund geworden. Und ich bin überzeugt, dass jedes CFS behandelbar ist. Es kann allerdings sehr lange dauern. Man darf keine Gesundung nach ein paar Monaten erwarten. Es gibt natürlich auch einige Einzelfälle, bei denen sich auch nach langer Behandlung, kein Erfolg einstellt.