
Die stellenweise emotionale Bestandsaufnahe zur Zuwanderung von Flüchtlingen in der Kurstadt prägte die Sitzung des Sozialausschusses am Mittwochnachmittag. "Es hat sich etwas verändert in der Stadt", sagte Oberbürgermeister Dirk Vogel unter dem Eindruck der Bevölkerungsentwicklung in Bad Kissingen. Das sorge teils für Verunsicherung.
Menschen mit Flüchtlingshintergrund seien im Alltag sichtbarer geworden. Zudem sei die gestiegene Nachfrage nach sozialer Infrastruktur auch in Kitas und Schulen eine Herausforderung. Aktuell werde dort erfolgreich Integrationsarbeit geleistet, so Vogel.
"Aber damit sind die Aufgaben nicht ansatzweise erledigt", folgerte er. Es gebe keine kurzfristig aktivierbaren Kapazitäten, um noch mehr Kinder und Jugendliche in die Systeme zu integrieren. Um weitere betreuungspflichtige junge Menschen und Erwachsene zu integrieren, fehle der Gesellschaft eine Strategie. Um Probleme zu meistern und die Chancen auch angesichts mangelnder Arbeitskräfte zu nutzen, bringt Vogel für Bad Kissingen einen runden Tisch ins Gespräch.
Oberbürgermeister Dirk Vogel ruft zu mehr zivilgesellschaftlichem Engagement auf
In dem Zusammenhang rief er die Einwohnerinnen und Einwohner zu mehr zivilgesellschaftlichem Engagement auf und forderte zugleich mehr staatliche Unterstützung, etwa durch höheren Personaleinsatz beim Jobcenter. Zudem plädierte er dafür, die Netzwerke von 2015 zu reaktivieren, "die Tolles geleistet haben" (Vogel).
Aber: "Das schlürft alles so vor sich hin", kritisierte Vogel die Integrationsarbeit verschiedener staatlicher Stellen. So läge die Ausrichtung von Integrationskursen vor allem an den Volkshochschulen. Wegen des aktuellen Andrangs gebe es in Bad Kissingen dort eine Wartezeit von über einem Jahr, informierte deren Leiter Michael Balk.
Die langen Wartezeiten an der Volkshochschule sind für Vogel inakzeptabel
Das sei "inakzeptabel", so Vogel. Zur Verbesserung ihrer Personalsituation könne die VHS allenfalls eine halbe Stelle neu schaffen. Immerhin sei Bad Kissingen als Bedarfsgebiet für Integrationskurse ausgewiesen. Als weitere Angebote bietet die VHS Sprachkurse, den Integrationsbeirat und die Hausaufgabenhilfe im Jukuz an. Doch das reiche kaum: "Wir und die staatlichen Stellen müssen mehr in die Gänge kommen", sagte Vogel mit Blick auf alle Einheimischen. Dabei schwebe ihm die "Erwärmung institutioneller Kapazitäten" unter noch stärkerer Einbeziehung des Vereinslebens vor.
Wünschenswert seien auch Angebote, bei denen bereits im Arbeitsleben integrierte Migranten zeigen, wie es ihnen gelungen ist, gut in der Kurstadt anzukommen. "Es gibt viele gute Beispiele", so Vogel. Ziel sei es auch, durch gegenseitiges Kennenlernen Spielregeln für das Leben in Deutschland besser zu vermitteln. Auch Migrantinnen und Migranten nahm Vogel dabei in die Pflicht, zumal die Aufnahme von Arbeit erleichtert worden sei.
Aufruf an Migrantinnen und Migranten: Bringt euch in der Stadt ein
Manchen müsse verdeutlicht werden, dass es unfair sei, sich am Marienplatz zu sonnen, während etwa die Gastronomie niederschwellig um Arbeitskräfte ringe. Sein Aufruf richte sich an alle, die Arbeiten könnten. "Langeweile macht depressiv", warnte Vogel zu Konsequenzen von Untätigkeit.
Als "sozialpolitischen Irrsinn" bezeichnete der Oberbürgermeister die Einführung des Bürgergeldes, ohne mit der Auszahlung eine regelmäßige Rückmeldung der Empfängerinnen und Empfänger zu erwarten, eventuell mit Verhängung von Sanktionen bei erkennbarer Arbeitsverweigerung.
Regeln müssen nicht mit erhobenem Zeigefinger erklärt werden
In einigen schwereren Fällen sollte es laut Vogel durch Einbindung der Zielgruppe gelingen, sie besser mit dem Ordnungsrecht, auch in den Anlagen, vertraut zu machen. Wünschenswert wäre für den OB die Einstellung von bis zu zwei Personen im kommunalen Ordnungsdienst. Sie sei bisher an fehlenden Haushaltmitteln gescheitert.
"Sie sprechen allen Kissingern aus dem Herzen", kommentierte Christina Scheit (SPD) die Ausführungen Vogels. In Deutschland sei man nicht sehr gut darin, die Regeln zu erläutern. Das müsse nicht gleich mit erhobenem Zeigefinger geschehen. "Wichtig ist, dass es Akzeptanz gewinnt, das gelingt nur mit Multiplikatoren", pflichtete Vogel bei.
Integrationsbeauftragter beim Landkreis fehlt seit Stefan Seufert im Ruhestand ist
Veronika Richler-Yazeji (Bündnis 90/Grüne) regte die Einstellung einer Kraft für Integration an. Auch zuwandernde Arbeitskräfte aus der EU müssten "besser an die Hand genommen werden". Die Schaffung einer solchen Stelle lehnte OB Vogel ab. Dies suggeriere eine Lösung, die jedoch nicht weit genug gehe.
Viele Angebote gebe es beim Landkreis nicht mehr, seitdem der Integrationsbeauftragte Stefan Seufert dort in den Ruhestand gegangen sei und die Stelle nicht nachbesetzt worden sei, bedauerte Richler-Yazeji. Dritter Bürgermeister Thomas Leiner (CSU) und Andreas Kaiser (Freie Wähler) unterstrichen die bereits vorhandene Integrationsleistungen der Vereine, die es auszubauen gelte. Freia Lippold-Eggen (parteilos) warf die Frage auf, warum nicht mehr Migrantinnen und Migranten ehrenamtlich in den Hilfsorganisationen dabei seien.
Für das Ehrenamt werben, um Zugewanderte besser zu integrieren
Die Blaulichtszene solle in Integrationsprogramme aufgenommen werden, so Dorothea Deeg (CSU). Allerdings gelte es, bei den den Zuwanderern für die Rolle des Ehrenamtes zu werben, weil dies in den Herkunftsländern kulturell nicht so verankert sei. Alexander Koller (DBK) warb dafür, auch Elemente des Integrationsprogrammes zu berücksichtigen, das beim Landkreis kurz vor der Verabschiedung stehe.