„Ein bisschen Schwund ist immer.“ Gelächter hallt über die nackten Gräber. Stefanie Geis steht mitten in der Grube, grinst verlegen über den Spruch der Kollegen. Eine Sekunde lang hat die 21-Jährige das Gleichgewicht verloren, ist mit den blauen Arbeitsstiefeln abgerutscht. Jetzt thront ein abgerundeter Stein hinter ihr, nur noch schemenhaft sind gefaltete Hände darauf zu sehen. Die Inschrift fehlt. „Wie peinlich“, stammelt die Hessin, kraxelt eilig aus der Grube, zupft ihren langen geflochtenen Zopf zurecht. Seit sechs Stunden steht sie auf dem Friedhof, drückt die eiserne Schaufel immer wieder in die durchnässte Erde. Bald wird auch diese Grube ein Grab sein. Beerdigt wird darin keiner.
Die Hessin ist eine von 500 Lehrlingen, die sich derzeit in Münnerstadt (Lkr. Bad Kissingen) zur Bestattungsfachkraft ausbilden lassen. In überbetrieblichen Lehrgängen wird dort die Theorie vermittelt, bundesweit in den Unternehmen die Praxis. Wer am Ende die Prüfungen besteht, darf sich „Bestattungsfachkraft“ nennen – und kann sich damit von dem ungeschützten Begriff „Bestatter“ abheben. „Die Anforderungen an den Beruf sind sehr umfangreich“, erklärt die Leiterin des Ausbildungszentrums, Rosina Eckert. Von mehreren Seiten kam daher der Wunsch nach einer breit gefächerten Ausbildung auf. Mit dem 2003 eingeführten Abschluss habe man weitaus bessere Einstellungschancen, betont Eckert.
Auch Stefanie Geis hofft auf eine Festanstellung in ihrem Betrieb. „Wir sind zu fünft, ein familiäres Klima“, schwärmt die 21-Jährige. Die Hälfte ihrer Ausbildung hat sie bereits hinter sich. Der Antrieb ist immer noch der gleiche wie mit 15 Jahren, als sie das erste Mal ihren Berufswunsch äußerte. „Jeder hat das Recht auf eine würdevolle Bestattung – egal ob arm oder reich“, sagt Geis. Ihre grünblauen Augen funkeln. Das ist ihr Thema, ihre Motivation, ihre Überzeugung. Für manche sei die Beerdigung nur ein Job, der teilweise lieblos hinter sich gebracht werde. Das ärgere sie: „Eine Abschiedszeremonie soll trotz der Trauer in guter Erinnerung bleiben.“ Die Kollegen nicken. Doch es waren keine schlechten Erfahrungen, die die gebürtige Limburgerin in der zehnten Klasse als Praktikantin in die Branche geführt haben. „Ich hatte einfach eines Tages die Idee und habe es durchgezogen“, sagt sie. Mit ihren langen blonden Haaren, den sympathischen Grübchen und der zarten Statur sieht die Hessin keineswegs aus wie ein typischer Totengräber. „Aber ich bin richtig in dem Beruf“, beteuert sie.
Die erste Leiche – für Stefanie Geis kein Schock. „Ich wurde direkt mit allem konfrontiert, durfte den Toten mit abholen und die Trauerfeier dekorieren“, schildert sie. Eine gute Erinnerung. Zuspruch der Kollegen, Dankbarkeit der Trauergemeinde. „Da habe ich gemerkt: Das ist es, das will ich machen.“ Doch um den Beruf sinnvoll ausüben zu können, braucht man einen Führerschein. Geis handelte pragmatisch, überbrückte die Zeit bis zu ihrem 18. Geburtstag mit einer Lehre zur Bürokauffrau. Rechnungswesen – Wissen, das sie heute gut gebrauchen kann.
Bestattungsfachkraft, das ist mehr als dröges Buddeln und Schleppen. In Münnerstadt sind die Fachbereiche so vielfältig und ungewöhnlich wie die Farben und Formen der schuleigenen Urnen. Die vertraute Fassade der Klassenzimmer trügt. Hinter einer hölzernen Türe stapeln sich leere Särge und Kreuze, gegenüber spiegeln sich die kahlen Oberflächen der Aufbahrungsliegen in der gefliesten Decke. Ein Zimmer weiter geht es zur Übungskapelle – geschmückter Sarg, Blumenkränze und Trauerbänder inklusive. „Gestern haben wir dort um einen Gärtner getrauert“, erinnert sich Geis. Die Dekoration habe die Klasse extra in Grün gehalten, Sonnenblumen – seine liebsten – seien neben dem aufgebahrten Sarg gestanden. Daneben habe ein Rechen gelegen. Es soll persönlich sein, auf die zuvor ausgehändigten Hobbys des Verstorbenen eingegangen werden.
In der Prüfung haben die Lehrlinge für die Dekoration einer Trauerfeier exakt 45 Minuten Zeit. Ist die Kapelle schön geschmückt, geht es im Stundenplan weiter mit Warenkunde, Beratungsgesprächen, Trauerpsychologie, dem Ausschlagen von Särgen und der Versorgung von Leichen. Die Lehrer kommen aus der Praxis, sind Einbalsamierer, Rechtsanwälte, Betriebswirtschaftler, Pfarrer, Psychologen und Bestatter. Zwischen den Lernphasen geht es an die Luft. Auf den eigenen Lehrfriedhof. Einzigartig in ganz Deutschland.
„Da weiß man abends, was man getan hat.“ Erschöpft blickt Stefanie Geis an sich herunter. Ihre Stiefel stecken tief im Matsch, die Innenseiten der Handschuhe sind vom festen Zugreifen aufgerieben. Körperliche Verausgabung kennt die Showtänzerin von ihrem Hobby, doch hier draußen ist die Luft rauer. Noch drei Stunden ist ihre Klasse auf dem Übungsareal. Nur durch eine Hecke vom städtischen Friedhof getrennt. Seit der Eröffnung 1993 werden die leeren Gräber ausgehoben oder -gebaggert – und anschließend wieder zugeschüttet. Nebenher wird rumgeblödelt, geredet, gelacht. Schulalltag auf dem Friedhof.
Humor als Ventil – gerade für Berufseinsteiger. Als Mittel gegen die Trauer, den Schmerz. Die Schicksale der Hinterbliebenen lassen sie nie kalt, sagt Geis. „Es ist nicht nur ein Geschäft, man ist mit Leib und Seele dabei.“ Stille. Die 21-Jährige hält zwei, drei Momente inne. Es falle ihr manchmal schwer, Abstand zu halten, sagt sie dann. „Man geht kaputt, wenn man es mit nach Hause nimmt.“ Wichtig sei es daher, mit Kollegen zu reden, zu tanzen – und einfach mal zu lachen.
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