zurück
WÜRZBURG
Depression: Ein Betroffener erzählt
Jahrelang hatte die psychische Erkrankung den Journalisten Wolfgang Jung im Griff. Erst als er sich seine Schwächen eingestand, sich offenbarte und Hilfe suchte, fand er wieder ins Leben. Seine Geschichte schildert den gnadenlosen Kampf mit sich selbst – und soll Betroffenen Mut machen.
'Das schwarze Tier': So empfand Wolfgang Jung seine Depression.
| "Das schwarze Tier": So empfand Wolfgang Jung seine Depression.
Von unserem Redaktionsmitglied Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 22.06.2022 09:17 Uhr

...eine einzige, große Qual. Ich hatte Angst vor jedem neuen Auftrag, weil ich glaubte, ich könne ihn nicht bewältigen. Telefon und Post versetzten mich in Panikzustände. Ich gab Aufträge zurück. Ich konnte meinen Auftraggebern nicht erklären, was los ist. Ich schützte Erkältungen, Migräne, sonst was vor. Alles wurde immer schlimmer, ich war erstarrt. Es war, als würde mich ein Monstrum langsam ersticken, und ich habe nichts, um mich zu wehren. Ich war nicht mehr Herr meines Selbst.

Mein letztes bisschen Kraft und Lebensmut reichten, dass ich mich bis in den Mai 2007 nicht umbrachte. Da war ich für die Main-Post beim Africa Festival unterwegs, permanent überfordert, in der Hoffnung, dass niemand etwas von mir will. Dann rief ein Kollege auf dem Handy an: Ob ich ein paar Zeilen mit Stimmen von Festival-Besuchern schicken könne. Ich wurde panisch, glaubte: Das schaffe ich nie!, riss mich zusammen, sagte die Zeilen zu.

Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich etwas unternehmen muss. Wenn ich diese journalistische Fingerübung nicht hinbekomme, bekomme ich gar nichts mehr hin. Ich lieferte – es war zu wenig, wenn ich mich recht erinnere – und machte mich tags darauf auf die Suche nach einer Therapie.

Der Anfang war entmutigend. Wartezeiten von einem Vierteljahr und länger. Ich landete bei einem Psychotherapeuten, von dem ich nach den ersten Gesprächen glaubte, er habe noch größere Probleme als ich. Er merkte, dass wir nicht zusammenpassen; wir ließen es sein. Im Sommer 2007 fand ich schließlich eine gute Therapeutin. Sie diagnostizierte eine schwere Depression. Seitdem liege ich zweimal wöchentlich in ihrer Praxis auf der Couch, zur Psychoanalyse. Zusätzlich schlucke ich täglich Citalopram, ein Antidepressivum.

Ich kam zu Kräften. Die Frau, von der ich mich im Frühjahr getrennt hatte, wollte es noch einmal mit mir riskieren – ein Glück. Ich reiste im Spätsommer an die portugiesische Westküste, zu einem langen, leisen Urlaub. Ich stand auf hohen Klippen, die Zehenspitzen überm Rand, genoss Sonne, Wind und Weite, schaute auf die Brandung hinunter, fand, das sei ein wunderbarer Ort zu sterben, und wollte leben.

In der Redaktion der Main-Post waren meine Ausfälle nicht unbemerkt geblieben. Trotzdem ging ich im Herbst 2007, nach der Rückkehr aus dem Urlaub, in die Offensive: Ich wollte bessere Konditionen haben. Und offenbarte meine Krankheit. Ich erinnere mich an das Gespräch mit dem Chefredakteur. Ich wolle mehr Aufträge und mehr Geld, sagte ich, „obwohl ich weiß, dass ich in diesem Jahr nicht viel gerissen habe“. Warum nicht, wollte er wissen. Weil ich eine Depression habe, antwortete ich. Na, dann habe auch nicht mehr rauskommen können, sagte er.

Danach erklärte ich mich auch anderen Kolleginnen und Kollegen, glaubend, dass die Nachricht die Runde durchs Haus macht. Inzwischen weiß ich, dass viele dichtgehalten haben. Sie wollten mich schützen.

Obwohl nun raus war, dass ich eine Depression habe und dass meine Leistungsfähigkeit zeitweise eingeschränkt ist, bot mir die Main-Post deutlich bessere Konditionen an. Ich unterschrieb.

Nach dem Antreten zur Therapie war das Offenbaren meiner Depression der zweite überlebenswichtige Schritt. Nicht, dass mich jetzt wer in Watte packte, die Redaktion erwartet Leistung fürs Geld. Aber wenn mich jetzt das Schwarze Tier holt, kann ich die Karten auf den Tisch legen. Ich muss nicht lügen, muss nicht stärker tun als ich bin, muss mir nicht noch mehr Druck machen, als ich eh schon habe. Von meinen Kollegen habe ich kein einziges Mal eine unpassende Bemerkung über meine Krankheit gehört. Das will was heißen, die Zartbesaiteten sind selten in dieser Branche. Möglicherweise machen hinter meinem Rücken Boshaftigkeiten die Runde, nicht alle sind sich grün. Aber die Situation ist gut so, wie sie ist. Ich habe meine Offenbarung nie bereut. Im Gegenteil: Sie hat mir das Leben erleichtert.

Nach mehr als zwei Jahren Therapie bin ich immer noch nicht gesund. Es wird noch Jahre dauern, bis ich das Schwarze Tier gezähmt habe. Aber ich bin zuversichtlich, dass ich es schaffe.

Bruder Main, du musst ohne mich reisen.

    
| 1234 |
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen