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WÜRZBURG
Depression: Ein Betroffener erzählt
Jahrelang hatte die psychische Erkrankung den Journalisten Wolfgang Jung im Griff. Erst als er sich seine Schwächen eingestand, sich offenbarte und Hilfe suchte, fand er wieder ins Leben. Seine Geschichte schildert den gnadenlosen Kampf mit sich selbst – und soll Betroffenen Mut machen.
'Das schwarze Tier': So empfand Wolfgang Jung seine Depression.
| "Das schwarze Tier": So empfand Wolfgang Jung seine Depression.
Von unserem Redaktionsmitglied Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 22.06.2022 09:17 Uhr

...ich wiederhole mich nur, werde nicht besser, kann es nicht. Ich ging immer öfter nicht ans Telefon, las meine Post nur unregelmäßig, manchmal gar nicht. Wenn ich nicht arbeitete, blieb ich zu Hause.

Draußen riss ich mich zusammen, daheim hatte ich kaum noch Energie, mich meiner Lebensgefährtin zuzuwenden. Die Beziehung wurde schwierig. Meine Gefährtin klagte: „Ich vermisse dich.“ Ich antwortete: „Ich vermisse mich auch.“

Irgendwann im Winter 2006 begann ich, mich nachts ans Mainufer zu setzen. Der Fluss war mir vertraut, ich nahm ihn mir zum Bruder. Seine Ruhe und seine Kraft, seine Stetigkeit beruhigten mich. Ich stellte mir vor, ich gehe in ihn hinein und er trägt mich fort von allem. Ich malte mir aus, wie ich in ihm treibe und meine Lungen für ihn öffne: Komm Bruder, vereinigen wir uns, bring mich heim.

Dieses Heimbringen ist ein Wunsch aus dem Unbewussten. Was es damit auf sich hat, weiß ich nicht. Ich fand das Bild in Leonhard Franks „Deutsche Novelle“ wieder, in der er einen Suizid schildert: „In Städtchen, die an einem Flusse liegen, wählen die Lebensmüden in der Regel nicht den Strick oder Gift. Der Onkel war am Fluss aufgewachsen, der Fluss hatte sein Gemüt mitgebildet von Kindheit an, er war ein Teil seines Daseins gewesen, der bessere Teil. Der Onkel ging in den Fluss, er ging heim.“

Ich hatte Hilfe dringend nötig, aber ich suchte sie nicht. Das ist das Verdammte an der Depression: Wenn sie dich im Griff hat, stellt sie dir den Strom ab. Du bist zu erschöpft, um etwas zu unternehmen. So dachte ich auch nicht: Ich bringe mich um. Ich dachte: Ich verschwinde, ich löse mich auf.

Ich trennte mich von meiner Gefährtin. Ich ging Freunden und Bekannten aus dem Weg. Ich lag zu Hause auf dem Sofa, alle Rollos geschlossen. Ich passte das Äußere meinem Inneren an: Dunkelheit. Ich ließ den Fernseher flimmern ohne zu wissen, was läuft. Mein Job war...

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