Roth: Weil mit diesen Vereinbarungen ganz offensichtlich ein Schweigegelübde gegenüber der inneren Situation in der Türkei verknüpft ist. Journalisten, die unabhängig berichten möchten, droht dort Gefängnis. Die politische Opposition wird durch die Aufhebung der Immunität von HDP-Abgeordneten kriminalisiert. In den kurdischen Gebieten tobt ein brutaler Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Fast jede Woche passiert eine weitere Entrechtung hin zu einem autokratischen System a la Putin. Gewaltenteilung besteht im System Erdogan nicht mehr. Wenn all das aus innenpolitischen Gründen – nämlich um Flüchtlinge fern zu halten – kein Thema für unsere Regierung ist, verraten wir die Demokraten in der Türkei.
Was wäre die Alternative?
Roth: Angesichts der Flüchtlingstragödie gibt es keine Alternative zu einer gemeinsamen europäischen Aufnahmepolitik. Was wir derzeit erleben, ist ein Wettlauf der Schäbigkeit. Europa muss sich entscheiden, ob seine Grundwerte noch gelten. Oder wollen wir ein egoistisches Europa der Vaterländer, das sich mit Mauern umgibt und das Elend der Welt nur noch durch den Zaun betrachtet? Ich weiß, das ist nicht einfach. Aber wenn ich sehe, wie viele Gipfel es zur Finanzkrise gegeben hat.