
Sind Hass und Hetze in den sozialen Medien weniger geworden, seit der Gesetzgeber Facebook, Twitter und Co. verpflichtet, offenkundig rechtswidrige Inhalte selbstständig von ihren Seiten zu löschen oder zu sperren? Die Netzwerke haben erste Zahlen vorgelegt, gleichwohl lässt sich die Frage nur schwer beantworten. Die Zahl der Beschwerden über nichtgelöschte Kommentare beim Bundesamt für Justiz ist jedenfalls gering. Derweil geht der Würzburger Rechtsanwalt Chan-jo Jun einen Schritt auf Facebook zu.
Der Anwalt gibt die Internetadresse „facebook-recht.de“ auf. Er habe die Löschung der Domain beim Deutschen Network Information Center (Denic) beantragt, bestätigt er auf Anfrage. Nutzer können also über diese Adresse künftig nicht mehr mutmaßliche Rechtsverstöße melden, sie müssen dafür andere Wege nutzen. Jun kommt damit einer Forderung des Unternehmens nach, dass sich in seinen Markenrechten verletzt fühlt und ihn abgemahnt hat. Der Anwalt hofft so, einem möglicherweise langwierigen und teuren Rechtsstreit mit Facebook aus dem Weg gehen zu können.
Keine Unterlassungserklärung
Die vom Unternehmen geforderte Unterlassungserklärung werde er gleichwohl nicht unterschreiben, betont Jun. Er sehe sich weiter im Recht. Schließlich habe er die Internet-Adresse nicht genutzt, um mit ihr Geschäfte zu machen. Inwieweit Facebook mit dieser Entscheidung des Anwalts zufrieden ist, dazu wollte sich das Unternehmen aktuell nicht äußern. Man kommentiere keine laufenden Verfahren, sagt eine Sprecherin.
Chan-jo Jun fällt die Aufgabe der Domain auch deshalb nicht so schwer, weil die Zahl der unter seiner Internetadresse beanstandeten Kommentare zuletzt stark zurückgegangen ist. Möglicherweise wirkt doch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Netz-DG), das seit Jahresbeginn in Kraft ist und die sozialen Netzwerke verpflichtet, von sich aus, Verleumdungen und Beleidigungen, Gewaltdarstellungen und Holocaust-Leugnungen zu löschen, sobald sie Nutzer gemeldet haben.
Erste Transparenzberichte
Am Freitag haben die Netzwerke erste Transparenzberichte veröffentlicht. Demnach wurden Twitter im ersten Halbjahr 2018 knapp 265 000 vermeintlich rechtswidrige Kommentare gemeldet, gut zehn Prozent wurden gelöscht. Bei YouTube galt dies für 27 Prozent der 215 000 beanstandeten Posts. Überraschend gering fallen die Zahlen bei Facebook aus. Über das Online-Formular nach dem Netz-DG haben Nutzer 1704 Inhalte gemeldet, die meisten laut Unternehmensangaben wegen Beleidigung, übler Nachrede, Verleumdung und Volksverhetzung. 21 Prozent wurden gelöscht oder gesperrt.
Während das Bundesjustizministerium kritisiert, der Beschwerdeweg bei Facebook sei zu kompliziert, erklärt das Unternehmen die geringen Meldezahlen damit, dass bereits die eigenen Gemeinschaftsstandards ein konsequentes Vorgehen gegen Gewalt und Hass im Netz vorsähen. Weltweit habe man im ersten Quartal dieses Jahres 2,5 Millionen Inhalte entfernt, knapp 40 Prozent dank technischer Hilfe wie Filtersoftware. Zahlen für Deutschland nennt der Bericht nicht, vor einem Jahr hieß es, man sperre hierzulande jeden Monat rund 15 000 Posts.
Nutzer, die mit der Reaktion von Facebook und Co. auf ihr Lösch-Begehren nicht zufrieden sind, können sich an das Bundesamt für Justiz (BfJ) wenden. Erwartet wurden jährlich bis zu 25 000 Beschwerden, tatsächlich eingegangen sind bis Mitte dieser Woche 568. Hauptthemen seien das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Beleidigungsdelikte. Die Beschwerden seien „durchweg substantiiert“, sagt das BfJ, das selbst keine Löschung durchsetzen kann. Bußgelder sind nur vorgesehen, wenn ein Netzwerk seine „Organisationspflichten“ systematisch verletzt. Bislang habe man noch keine verhängt, so eine Sprecherin.
Kritiker fürchten um die Meinungsfreiheit
Für die Kritiker gefährdet das Netz-DG die Meinungsfreiheit. Facebook lösche unter Berufung auf seine Hausregeln lieber einen Post zuviel als einen zuwenig, damit es gar nicht erst zu Beschwerden nach dem Gesetz komme, sagt der FDP-Netzexperte Jimmy Schulz und spricht von „Overblocking“. Die Entscheidung, was Recht und Unrecht im Netz ist, dürfe der Rechtsstaat aber nicht an Privatunternehmen delegieren, so der Bundestagsabgeordnete aus Oberbayern. Stattdessen müsse die Justiz gestärkt und mehr Expertise in Sachen Netzkriminalität aufgebaut werden. Schulz hat deshalb gemeinsam mit seinem Kollegen Manuel Höferlin beim Verwaltungsgericht Köln Klage gegen das Netz-DG eingereicht. Ein Klage, die in letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht landen könnte.
Die Gefahr des „Overblocking“ sieht auch Anwalt Jun. Das Problem sei aber nicht neu, schon vor dem Netz-DG habe Facebook mal gar nicht, mal aus ebenso wenig nachvollziehbaren Gründen zu großzügig gelöscht. Das Gesetz abzuschaffen, sei keine Lösung. „Damit würde man erst recht den Unternehmen die Herrschaft über die Meinungsbildung überlassen.“ Jun fordert stattdessen Nachbesserungen, die es Nutzern ermöglichen, Lösch-Entscheidungen zeitnah anzufechten.
Mit Informationen von dpa