„Ich schaff' beim Noell“: Für Generationen von Arbeitern war das in Würzburg eine Ansage, die Respekt verschaffte. War Noell damals doch neben Koenig & Bauer eine der wenigen Adressen klassischer Industrie in der ansonsten von Uni und Kirche dominierten Stadt. Noell: Das war die Aura von flüssigem Stahl, Funkenflug und harter Arbeit in lauten Fabriken. Nicht umsonst sprach man damals über Noell von einer „Knochenmühle“.
Noell hat sich weit verästelt
Doch dann begann in den 1990er Jahren die Zerschlagung des 1824 in der Innenstadt als kleine Schmiede gegründeten Unternehmens. Nach und nach wurden Teile von Externen herausgekauft, x-fach weiterverkauft, so dass sich heute der Noell-Stamm schier unübersichtlich verästelt hat.
Wenngleich es den Noell allein nicht mehr gibt, hat der Name nach wie vor Zugkraft. Im wahrsten Sinn des Wortes: Konecranes Noell etwa stellt seit 50 Jahren Straddle Carrier her, also kranartige, fahrbare Hubwagen für Container in Häfen. Das Werk in der Dürrbachau steht noch auf dem Gelände, auf dem Noell vor seiner Zerschlagung sein Herz hatte. Und das Werk ist ein Beispiel dafür, wie der Name Noell bis heute Tragweite hat.
Die 300 Meter lange Montagehalle von Konecranes hat die Fläche von sieben Fußballfeldern und trage das größte Dach in der Stadt, sagt man in dem Unternehmen. Dort sind 250 Mitarbeiter mit dem Bau der Straddle Carrier beschäftigt, 150 weitere Beschäftigte sind in der Verwaltung eingesetzt.
Noell ist in vielen Häfen Europas zu finden
Zwei bis drei der bis zu einer Million Euro teuren Straddle Carrier werden pro Woche von Würzburg ausgeliefert. Diese sogenannten Portalhubwagen werden nach den Worten von Hubert Foltys in 30 Häfen eingesetzt, hauptsächlich in Europa. Der Produktdirektor hat festgestellt, dass bei den Kunden der Name Noell „nach wie vor zieht“. Deshalb halte die finnische Zentrale von Konecranes an ihm fest.
Es riecht nach Stahl
In der riesigen Montagehalle an der Stadtgrenze zu Veitshöchheim ist das alte Noell-Flair andeutungsweise erhalten geblieben. Dort wird geschweißt, geflext, es riecht nach Stahl. An fünf Werktagen pro Woche bauen die Arbeiter im Einschichtbetrieb den Straddle Carrier zusammen.
Erst zusammen-, dann auseinanderbauen
Am Ende der Produktionslinie wird jedes der Geräte auf Tauglichkeit getestet – und dann wieder auseinandergebaut. Denn für den Transport wären die je nach Typ 12 Tonnen schweren und bis zu 16 Meter hohen Riesen viel zu unhandlich.
Ein 20-köpfiges Team von Konecranes Noell kümmert sich beim Kunden – also in den Containerhäfen – darum, dass die angelieferten Einzelteile wieder zu Straddle Carriern zusammengebaut werden. Der Zug der Zeit macht auch hier nicht halt: Vor wenigen Tagen stellte Konecranes eine Hybrid-Variante vor, also eine Kombination aus Diesel- und Elektromotor. „Der Trend geht zum Vollelektrischen“, so Direktor Foltys.
Unmengen von Diesel werden gebraucht
Die umweltfreundlichere Ausrichtung kommt nicht von ungefähr: Nach Firmenangaben verbrauchen herkömmliche Straddle Carrier je nach Bauart zwischen 16 und 27 Liter Diesel pro Stunde. Konecranes wolle das erste vollelektrische Modell 2020 auf den Markt bringen, wie es kürzlich bei der Feier zu 50 Jahre Straddle Carrier hieß.
Das passt zur Tatsache, dass es generell auf den Flüssen und in den Häfen umweltfreundlicher zugehen soll. So entwickelt das niederländische Unternehmen PortLiner für den Binnenverkehr allein mit Batterien betriebene Transportschiffe – also ohne Dieselmotor.
Autonomes Fahren wird kommen
Die Zeichen der Zeit spürt Konecranes Noell auch in anderer Hinsicht: Ist autonomes Fahren von Pkws längst ein viel diskutiertes Thema geworden, so schlägt es nun auch auf den Verkehr von Nutzfahrzeugen durch. So sind die Würzburger nach Foltys' Worten an der Umstellung eines neuseeländischen Containerterminals auf autonom fahrende Straddle Carrier beteiligt. Auf einem Gelände in Kitzingen testet Konecranes Noell deren Einsatz.
Wie Noell die Globalisierung spürt
100 Millionen Euro Umsatz macht Konecranes Noell pro Jahr in Würzburg. Wie Direktor Foltys weiter sagte, entfallen davon 60 Prozent aufs Geschäft im europäischen Ausland. Mit Blick auf die Zukunft ist er zuversichtlich: „Der Markt wächst.“
Das hänge auch mit der Globalisierung zusammen: Mehr Welthandel über die Meere ziehe mehr Container-Umschlag in den Häfen und damit mehr Bedarf nach Straddle Carriern nach sich. Der Markt für solche Geräte ist freilich überschaubar: Konecranes Noell habe in der finnischen Marke Kalmar nur einen Konkurrenten, so Foltys.
Was die anderen Noell-Ableger tun
Auch die anderen Ableger der traditionsreichen Noell-Gruppe bewegen sich in der Nische – freilich ebenfalls mit Millionenumsätzen. So hat sich die zum französischen Reel-Konzern gehörende NKM Noell GmbH mit Spezialkranen unter anderem für Atomkraftwerke auf dem Markt etabliert. Oder DSD Noell: Das Unternehmen ist in Würzburg Nachbar von Konecranes Noell, gehört zur saarländischen DSD-Gruppe und hat sich auf den Stahlwasserbau zum Beispiel in Schleusen spezialisiert.
Noell bleibt Noell
Ebenfalls Nachbar von Konecranes ist die Bilfinger Noell GmbH, früher bekannt als Babcock Noell. Das vor allem mit Ingenieuren besetzte Unternehmen setzt auf Nuklear- und Magnettechnik. Seit einigen Jahren gehört es zum ehemaligen Baukonzern Bilfinger in Mannheim.
SSI Schäfer Noell in Giebelstadt (Lkr. Würzburg) wiederum ist Teil der nordrhein-westfälischen Schäfer-Gruppe und ist mit Logistiksystemen groß geworden, wie man sie vor allem aus großen Lagerhallen kennt. Egal, wie die Unternehmen auch alle heißen: Sie haben den klangvollen Namen Noell am Leben erhalten. Mitarbeit: Felix Schwarz
Die Geschichte von Noell
Was aus Noell geworden ist, hat der ehemalige Mitarbeiter Bruno Hennek in einer Chronik festgehalten– allerdings nur bis zum Beginn seines Ruhestandes 2006. Danach sind die vielen Wege des Traditionsunternehmens sehr unübersichtlich geworden.
1824 Der Schmied Johann Matthias Noell eröffnet neben der Neubaukirche in Würzburg eine Werkstatt – die Keimzelle des späteren Industriebetriebs Noell. Sein Spezialgebiet: Reparatur von Postkutschen. In den 1850er Jahren steigt Noell auch in den Bau von Eisenbahnwaggons ein, ab 1879 zudem in den Brückenbau. Unter anderem stammt die Grombühlbrücke beim Würzburger Hauptbahnhof von Noell.
1880-1923 Der Waggonbau lässt nach, stärker wird der Bereich Eisenbahnbedarf – also Weichen oder Signalanlagen. Um die Jahrhundertwende gewinnen auch der Bau von Transportkranen, Stahlhochbau sowie Geräte der Fördertechnik im Unternehmen an Bedeutung. In den 1920er Jahren steigt Noell zudem in den Stahlwasserbau ein, weil der Ausbau von Main und Neckar für den Schiffsverkehr Fahrt aufgenommen hat.
1939-1960 Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges ist Noell in Würzburg mehrfach umgezogen und beschäftigt 1939 rund 600 Menschen. Während des Krieges liefert Noell Einzelteile für U-Boote und Flugzeuge. Bei der Bombardierung der Stadt am 16. März 1945 wird das Noell-Werk komplett zerstört. Nach dem Wiederaufbau verliert das Eisenbahn-Geschäft an Bedeutung, während die Bereiche Stahlhochbau, Stahlwasserbau und Krane wachsen.
1970-2000 Die Atomenergie gewinnt in den 1970er Jahren an Bedeutung – mit ihr der Reaktorbau. Noell profitiert davon. Andererseits brechen wegen der wirtschaftlichen Rezession in Deutschland die Stahlpreise ein: Noell bekommt massive wirtschaftliche Probleme. In der Folge steigt der Salzgitter-Konzern 1970 komplett bei Noell ein. 1983 wird der Grundstein für das heute kreuzförmige Hochhaus in der Alfred-Nobel-Straße gelegt, das zur Noell-Zentrale wird. Das Unternehmen wächst weiter. 1989 wird der Salzgitter-Konzern – und damit Noell – von Preussag übernommen. Mittlerweile ist auch die Umwelttechnik zu einem Standbein der Würzburger geworden. In der Zwischenzeit sind Noell-Spezialfirmen entstanden wie die Noell-KRC Umwelttechnik GmbH oder die Noell Stahl- und Maschinenbau GmbH.
2000-2006 Die Aufteilung von Noell geht weiter. Preussag gibt den Anlagenbau an Babcock Borsig. Die Oberhausener zerlegen diesen Teil von Noell in kleine Einheiten mit eigenen Firmen. Die Noell GmbH mit etwa 90 Mitarbeitern gilt noch als Rest der Keimzelle von Noell, wird aber 1999 „abgewickelt“, wie Hennek in seiner Chronik schreibt. In dieser Zeit gehen zum Beispiel die Lagertechnik in SSI Schäfer Noell (Giebelstadt), die Nukleartechnik in Babcock Noell Nuclear und der Sonderkranbau in Noell Crane Systems auf. Der Name Noell verschwindet aus dem prägnanten Hochhaus in der Alfred-Nobel-Straße 20: Dort haben sich heute andere Unternehmen eingemietet. (aug)