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Würzburg
Work-Life-Balance: Was jungen Menschen wichtig ist
Fachkräfte werden händeringend gesucht. Aber was wollen Nachwuchskräfte? Ein Würzburger Experte erklärt, warum sich die Prioritäten von Berufsanfängern unterscheiden.
Für Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie an Nachwuchskräfte kommen. Dafür müssen sie aber wissen, wie junge Menschen ticken. Hier arbeitet eine Auszubildende (links) in einer Würzburger Goldschmiede (Symbolbild).
Foto: Daniel Peter | Für Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie an Nachwuchskräfte kommen. Dafür müssen sie aber wissen, wie junge Menschen ticken.
Corbinian Wildmeister
Corbinian Wildmeister
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:02 Uhr

Wie ticken die jungen Leute von heute und morgen? Über diese Fragen spricht Heinz Reinders (47), Professor am Lehrstuhl für empirische Bildungsforschung der Uni Würzburg, an diesem Dienstag beim 35. Mainfränkischen Ausbildertag der IHK Würzburg-Schweinfurt. Im Interview erklärt Reinders, warum Berufsanfänger ganz unterschiedliche Prioritäten bei der Jobsuche haben – und wovon diese abhängen.

Frage: Sind jungen Menschen, also der "Generation Z", Hobbys und Freizeit mittlerweile wichtiger als Arbeit?

Heinz Reinders: Nein, in den vergangenen 20 bis 30 Jahren sind die Wertevorstellungen von Jugendlichen sehr stabil geblieben. Schon meine Generation hat Wohlbefinden und Leistung gleichwertig priorisiert. Für die Nachkriegsgeneration wäre der Begriff "Work-Life-Balance" allerdings noch völliger Unsinn gewesen, weil diese dringend arbeiten musste, um überhaupt eine Lebensgrundlage zu haben. Auch heute spielen postmoderne Werte und Hedonismus (Das Streben nach Genuss, Anm. d. R.) nicht für alle jungen Menschen eine übergeordnete Rolle.

Heinz Reinders, Inhaber des Lehrstuhls Bildungsforschung an der Universität Würzburg.
Foto: Gunnar Bartsch | Heinz Reinders, Inhaber des Lehrstuhls Bildungsforschung an der Universität Würzburg.
Für wen gilt das nicht?

Reinders: Ein Mittelschüler in der neunten Klasse will in erster Linie einen Ausbildungsplatz haben. Jugendliche aus den unteren Bildungsschichten müssen sich um ihre Existenz sorgen. Sie haben andere Prioritäten. Wenn Sie zum Beispiel eine Fridays-for-Future-Demo besuchen und die Jugendlichen dort fragen, welche Schulform sie besuchen, werden sie kaum jemanden finden, der auf die Mittelschule geht. Es ist eine bildungsbürgerliche Elite, die prominent nach außen trägt, was vermeintlich alle jungen Menschen bewegt. Das ist kein neues Phänomen. Die 68er-Bewegung haben wohl kaum die Söhne von unterfränkischen Landwirten gestaltet. Das ist eine Frage von Privilegien, von Zeit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Frei nach Bertolt Brecht: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

Nach welchen Kriterien suchen sich junge Menschen mit hohem Bildungsstand ihren Job aus?

Reinders: Sie wollen die Möglichkeit haben, ihr Arbeitsumfeld selbstständig zu strukturieren oder zumindest Mitsprache zu haben, wie ihr Arbeitsalltag aussieht. Das ist auch ein realistisches Anspruchsdenken von qualifizierten Arbeitskräften. Daran haben die Betriebe selbst Schuld. Im Moment ist der Arbeitsmarkt leer gefegt. Vor 15 Jahren, als es noch genug Bewerber gab, haben die Unternehmen zu wenig Nachwuchs eingestellt. Jetzt müssen Arbeitgeber solche Ansprüche berücksichtigen. Das wird sich aber wandeln, sobald sich die wirtschaftliche Situation wieder verschlechtert.

Was ist mit der Arbeitsdauer? Hat die 40-Stunden-Woche ausgedient oder der werden wir in Zukunft sogar mehr arbeiten?

Reinders: Das klingt etwas neoliberal, aber das wird der Markt regulieren. Ist der Arbeitskräftemangel hoch, werden Unternehmen ihrem Personal die Möglichkeit geben, mehr zu arbeiten – und das entsprechend entlohnen. Es gibt aber jetzt schon Bereiche, wo die Leute deutlich mehr arbeiten, als vertraglich vorgesehen ist. Das hat unterschiedliche Gründe. Jemand im gehobenen Management wird am Freitagnachmittag nicht den Stift fallen lassen, wenn sein Bonus davon abhängt, dass er ein bestimmtes wirtschaftliches Ziel erreicht. Ungerechtigkeit gibt es hingegen bei den Pflegediensten. Dort machen die Arbeitskräfte auch Überstunden – allerdings aus Pflichtgefühl den alten Leuten gegenüber, um die sich sonst keiner kümmert.

Wie können Unternehmen, Nachwuchskräfte für sich begeistern?

Reinders: Mittelständische Unternehmen müssen schon ab der fünften Klasse in die Mittelschulen gehen, wo die Zukunft des Handwerks sitzt. Sie müssen Nähe herstellen, Transparenz schaffen und zeigen, was in ihrem Unternehmen passiert. Und zwar nicht nur einmal im Jahr zum Berufsbildungstag, sondern auch in Form von Projekten, die das Schuljahr begleiten. Das schafft Vertrauen. Bei Akademikern sind die Unternehmen deutlich weiter. Sie fangen schon im Bachelor-Studium an, Leute anzuwerben. Sie bieten ihnen Werkstudentenjobs an und stellen Trainees in Aussicht.

Der 35. Mainfränkische Ausbildertag der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt findet an diesem Dienstag, 22. Oktober, statt. Dabei steht laut Ankündigung "der tiefgreifende Wandel der Arbeits- und Ausbildungswelt" im Fokus. Los geht es um 13 Uhr in der IHK-Hauptgeschäftsstelle in Würzburg, Mainaustraße 33-35, Haus A, 3. Obergeschoss. Kurzfristige Anmeldung unter Telefon (09 31) 41 94-291 möglich.

 
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