zurück
Der Prof auf dem Platz
Fußball: Beim SC Heuchelhof in Würzburg kicken Kinder aus Albanien, Polen, Deutschland, Pakistan, England und Kenia. Der Co-Trainer ist Russlanddeutscher. Und der Trainer forscht im Hauptberuf über Bildung und Migration.
Von unserem Redaktionsmitglied Alice Natter
 |  aktualisiert: 01.07.2011 20:16 Uhr

Jensi, flache Pässe! Den Ball flach halten, flach!!“ Der Professor schreit quer über den Platz. „Beweg dich, Dennis, auf!“ Der Professor klatscht zwei Mal kräftig in die Hände. Kickt Dennis den vertändelten Ball zurück. Und schickt, Sekunden später nur, die nächste Anweisung über den Rasen: „Keine Spirenzchen. Auf, legt los, gebt Gas.“ Freitagnachmittag auf dem Sportplatz am Würzburger Heuchelhof. Die Jugend trainiert – und Professor Heinz Reinders, Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Bildungsforschung an der Uni Würzburg, steht im Trikot der Nationalmannschaft mitten drin. „Dijon, auf jetzt! Ich kenn' Deinen Vater.“

Dijon trabt schneller. Der Professor, der hier nur „der Heinz“ ist, lächelt und spielt den nächsten Ball. Geht doch, das mit dem flachen Pass.

Vor vier Jahren kam der Bildungsforscher an die Universität Würzburg. Und fast so lange steht er mittwochs und freitags beim Sportclub Heuchelhof auf dem Platz. Heinz Reinders forscht über das ehrenamtliche Engagement von Jugendlichen, über Integration, interkulturelle Freundschaften und die soziale Identität von Kindern mit einem sogenannten Migrationshintergrund. Er ist ein gefragter Gesprächspartner, wenn es um die Beziehungen zwischen deutschen Kindern und Kindern aus Migrantenfamilien geht. Der 38-Jährige hat Studien geschrieben zur Frage, wann und wie sich türkische Jugendliche von der Familie abkappeln. Und darüber, ob Kinder, die in Ganztagsschulen gehen, sozial und sprachlich besser integriert sind.

Aber hier, am Heuchelhof, wo er nur der Heinz ist, steht er nicht als Wissenschaftler und nicht zu Studienzwecken auf dem Rasen. Sondern – „Hey, Auron, Augen auf!“ – als Übungsleiter. Und aus Fußballleidenschaft.

Trainer in einem Stadtteil, der immer noch als nicht ganz unproblematisch gilt und bekannt ist für den hohen Anteil an Migranten? Reiner Zufall? Reinders kennt es nicht anders. Er hat zehn Jahre in Berlin-Neukölln gelebt, zuletzt in Mannheim in einem Kiez mit vielen Ausländern. „Da ist der Heuchelhof nichts dagegen. Der ist weit davon entfernt, Problembezirk zu sein.“

Bis zum Studium an der FU Berlin kickte Heinz Reinders im Ortsverein. Als Torwart – „von denen sagt man ja, sie seien die schlechtesten Trainer“. Als der Erziehungswissenschaftler nach Würzburg kam, suchte er für seine Kinder einen Sportverein zum Kicken. Er fand den SC Heuchelhof, tat sich mit dem Übungsleiter Andrej Mutas zusammen und begann die Kinder auf den Sportplatz zu holen. Jetzt kicken da mehr als zwei Dutzend Jungs. Albaner, Russen, Polen, Deutsche, Kinder aus England, aus Kenia, aus Pakistan. Aber, sagt Reinders, also der Heinz, „Nationalität spielt überhaupt keine Rolle. Für die Jungs ist das Normalität.“ Und sowieso: „Es gibt eine gemeinsame Fußballkultur“ – und samstags ist Spiel. Da zählen Tore.

Seit vier Monaten ist Lukas dabei, der mit seinen Eltern gerade erst aus Polen kam. „Das ist das erste Mal, dass wir auf Sprache achten müssen“, sagt Andrej Mutas, der zur Not auch mal Russisch mit dem Neuzugang spricht. „Kein Problem“, sagt Andrej, „in zwei Monaten ist alles perfekt bei ihm.“ Und apropos Russisch. Wenn der Übungsleiter die Eltern für die Fahrdienste am Wochenende zusammentelefoniert, kann er das ganz gut brauchen.

„Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel“, sagt Reinders zu seinen Jungs. Und lässt sie gegen die Mädchen spielen. Als der Bildungsforscher mit seiner Familie nach Würzburg kam, gab es beim SC Heuchelhof noch kein Angebot für den weiblichen Nachwuchs. Inzwischen spielt eine U17-Mannschaft, und parallel zu den Jungs trainieren Mädchen zwischen vier und elf Jahren. Als Reinders Frau Gudrun mit Olga Mutas die ersten Flyer in Schulen verteilte, standen beim nächsten Training auf Anhieb zehn Nachwuchsspielerinnen auf dem Platz.

Also: Jungen gegen Mädchen – „die Jungs spielen One-Touch, Ball nur einmal berühren, nichts anderes, ist das klar?“ Ein Vielfaches „Ja“ brüllt dem Professor entgegen. Wenig später schießt Jessica – neun Jahre klein, flink, Wirbelwind – ein Tor. Draußen am Spielfeldrand steht ihre Mutter, augenzwinkernd. Sie kommt aus Russland und gibt lachend zu, dass sie Jessica lieber beim Tanzen sehen wollte. Aber Jessica wollte den Ball. „Zum Fußball gehen? Ich hab sie nicht gelassen“, sagt die Mutter. „Fußball ist ein Sport, da bekommt man runde Beine.“

Jessica – klein, flink, ballverrückt – ließ nicht locker. Inzwischen geht ihre Mutter mit zu den Spielen, sieht „wie viel Spaß das macht“. Und während des Trainings tauscht sie sich mit der Mutter von Victoria, die aus Texas kommt, über russische Spezialitäten, Burger und Chicken Wings aus. Zusammen mit dem Bayerischen Fußballverband hat Reinders landesweit gerade eine Umfrage zu Mädchen und Migrantinnen durchgeführt. Ein Ergebnis: „Die Vereine nehmen zu wenig Unterstützung bei den Migranteneltern von Mädchen wahr“, sagt Heinz Reinders. Am Heuchelhof kann er darüber nicht klagen. Im Gegenteil, sagt der Trainer: „Die Eltern sind unglaublich engagiert, wenn man sie anspricht.

„Acht Prozent aller Kinder, die deutschlandweit Fußball spielen, sind Mädchen mit Migrationshintergrund“, sagt der Wissenschaftler im Fußballtrikot und sammelt die Hütchen ein. „In WM- und EM-Jahren ist der Zulauf immer stärker – vielleicht merken wir das bei den Mädchen ja jetzt auch.“ Am ersten Juliwochenende wird auf dem Heuchelhof-Rasen das erste Mädchenteam-Turnier ausgetragen. „Das ist doch was im Jahr der Frauen-WM!“. Und dann erwähnt er, während das Trainingsspiel läuft, – „hey, Jungs, wer ist bei Euch in der Mitte?“ – noch ein „Highlight“ aus der Umfrage mit 888 teilnehmenden Fußballclubs: „Immerhin 44 Vereine in Bayern erreichen durch ihre Arbeit 20 oder sogar mehr Mädchen mit Migrationshintergrund.“

An seinem Lehrstuhl lässt Reinders jedes Jahr das Bild von Jugendlichen in den Medien untersuchen. Das Ergebnis dieses Jahr: „Mehr Sport – weniger Gewalt“. U-Bahn-Schlägereien, Komasaufen, Kinder, die nur vor Computer oder Glotze sitzen – bei ihrer Medienanalyse im vergangenen Jahr fanden die Bildungsforscher in fast der Hälfte aller Berichte negative Darstellungen von den Jugendlichen. „Dieser Anteil ist in diesem Jahr auf rund 30 Prozent gesunken“, sagt Studienleiter Heinz Reinders. Statt über Gewalt, Raub, Computersucht berichteten die Zeitungen deutlich mehr über Jugendliche, die Sport machen. „Damit haben wir nicht gerechnet, die tatsächliche Jugendgewalt ist ja nicht wirklich rückläufig“, sagt Reinders.

Aber ihn freut's. „Die Jugend wird ja vielfach als inaktiv und politisch desinteressiert wahrgenommen, quasi abgeschottet im Cyberspace sozialer Netzwerke“. Da seien Berichte über politisches Engagement und sportliche Aktivitäten doch eine schöne Alternative. Das Trainingsspielchen ist aus, Jessica hat noch ein Tor geschossen, die Jungs haben trotzdem gewonnen. Der Professor, der für alle der Heinz ist, gibt eine Runde Maoam aus.

Mädchen, Fußball, Migration

Kann der Sport bei der Integration von Kindern aus Migrantenfamilien helfen? Ja, sagt Bildungsforscher Heinz Reinders. Denn im Sportverein könnten die Kinder – unabhängig von Schulnoten und frei von Sanktionen durch Eltern oder Lehrer – Erfolge feiern und ihr Selbstbewusstsein steigern. Die pünktlich zur Frauen-WM abgeschlossene Umfrage des Lehrstuhls für Bildungsforschung zusammen mit dem Bayerischen Fußballverband ergab: Lediglich 13,4 Prozent aller aktiven Jugendspieler in Bayern sind weiblich. Etwa gleich groß ist der Anteil an Spielern aus Migrantenfamilien. Migrantenmädchen machen weniger als ein Prozent aus. „Immerhin, Jungen mit Migrationshintergrund können durch die Vereine gut erreicht werden“, sagt Reinders.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen