Die meisten freuen sich auf den wohlverdienten Ruhestand. Viele der zukünftigen Rentner haben nicht nur in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt, sondern auch privat in Form einer Betriebsrente vorgesorgt. Was viele nicht wissen: Betriebsrenten werden bei der Auszahlung noch einmal um Krankenkassenbeiträge in Höhe des vollen Beitragssatzes gekürzt. Das heißt konkret: den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil. Damit gehen rund 19 Prozent der Gesamtsumme verloren. Eingeführt hat das die damalige rot-grüne Bundesregierung vor mehr als 15 Jahren, genau zum 1. Januar 2004. Damals, so die Begründung, befanden sich die Krankenkassen in einer Notlage.
Etwa 6,3 Millionen Menschen sind betroffen
Der Verein der Direktversicherungsgeschädigten schätzt, dass mindestens 6,3 Millionen Menschen unter die sogenannte Doppelverbeitragung fallen. In dem 2015 gegründeten Verein haben sich mehr als 2000 Betroffene organisiert, die zwischen 1974 und 2004 eine Direktversicherung abgeschlossen hatten und dafür nach heutiger Rechtsprechung von den Krankenkassen zur Kasse gebeten werden, obwohl sie aus ihrem Nettogehalt in diese Anlageverträge einzahlten. Das Problem an diesen Verträgen: Sie wurden über die Arbeitgeber abgeschlossen – oft weil es technisch gar nicht anders möglich war. Also war der Arbeitgeber der Versicherungsnehmer. Allein dieser Umstand reicht aus, um ein Anlageprodukt als Betriebsrente zu deklarieren, für die die vollen Sozialabgaben fällig werden. So entschied es das Bundessozialgericht (BSG) in einem 2004 gefällten und 2008 bestätigten Urteil (Az.: B 12 KR 6/08 R).
VdK: "Die gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß"
Der Sozialverband VdK hat seitdem eine Reihe von Musterstreitverfahren zu diesem Thema geführt, von denen mittlerweile alle abgeschlossen sind. "Leider ist die gesetzliche Regelung verfassungsgemäß", sagt Carsten Vetter, Beszirksgeschäftsführer des VdK in Unterfranken. "Daher kämpfen wir sozialpolitisch gegen den doppelten Krankenkassenbeitrag. Dieser bedeutet für viele Rentner eine große Belastung. Der VdK setzt sich für auskömmliche Renten ein und damit auch für eine Entlastung der Betriebsrentner."
- Lesen Sie auch: Wie die Rente pünktlich aufs Konto kommt
Innerhalb der Bundesregierung gebe es bereits Beschlüsse, die Betriebsrentner zu entlasten. "Es liegen zahlreiche Vorschläge zur Umsetzung vor", sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums auf Anfrage dieser Zeitung. Die Diskussion, ob und gegebenenfalls wie eine Entlastung umgesetzt werden kann, sei aber noch nicht abgeschlossen. Neben der Grundsatzfrage, ob eine Entlastung erfolgen soll, sei offen, wie daraus entstehende Mindereinnahmen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanziert werden sollten. "Bundesgesundheitsminister Jens Spahn setzt sich dafür ein, dass dies im fairen Ausgleich zwischen Beitragszahlern und Steuerzahlern erfolgt", sagt der Ministeriumssprecher weiter.
Nur der Gesetzgeber kann etwas ändern
Was können Betroffene tun? "An dieser Situation kann nur der Gesetzgeber etwas ändern. Es ist höchstrichterlich entschieden, dass die aktuelle Praxis gesetzeskonform ist und das auch verfassungsrechtlich okay ist", sagt Klaus Stiefermann von der Arbeitsgemeinschaft betriebliche Altersvorsorge. Das Thema ist innerhalb der Großen Koalition umstritten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollte den Betriebsrentnern zumindest die Arbeitgeberanteile ersparen und somit die Abgaben halbieren. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel verwies darauf, dass keine Finanzen für die Maßnahme eingeplant seien. Zuletzt erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD): "Wenn wir Betriebsrenten attraktiver machen wollen, ist es sehr sinnvoll, den Effekt der doppelten Krankenversicherungsbeiträge zu dämpfen und damit Betriebsrentner zu entlasten.“
- Lesen Sie auch: Ist unsere Rente sicher, Frau Buntenbach?
Lohnt sich die betriebliche Altersvorsorge dann überhaupt? "Wenn der Arbeitgeber die Betriebsrente allein finanziert oder sich substantiell beteiligt lohnt es sich, auch bei Entgeltumwandlung. Bei der Entgeltumwandlung zahlen Arbeitnehmer Teile ihres Bruttogehalts in einen Vertrag der betrieblichen Altersvorsorge. Beteiligt sich der Arbeitgeber nicht, kommt es auf den Einzelfall an", sagt Stiefermann. Bei privat Krankenversicherten lohne sich das. Wer die betriebliche Altersvorsorge allein finanziert und gesetzlich versichert ist, sollte genauer auf die Steuervorteile und das Angebot schauen. "Wer über ein kleines Einkommen verfügt, verheiratet ist und mehrere Kinder hat, sollte sich im Vergleich eine Riesterrente anschauen, die es auch in der betrieblichen Altersvorsorge gibt und die seit 2018 auch in der Leistungsphase wie die private Riesterrente beitragsfrei ist."
Was sagen Politiker aus der Region?
Paul Lehrieder, CSU-Bundestagsabgeordneter aus Gaukönigshofen (Lkr. Würzburg): "Den Unmut der Betroffenen über die Regelung der Verbeitragung von Versorgungsbezügen kann ich gut nachvollziehen. Aus diesem Grund bin auch ich selbstverständlich an einer Lösung für die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge interessiert. Es darf nicht sein, dass Beitragszahler in ihrer Rente zu hoch belastet werden. Aus diesem Grund wurde bereits ein entsprechender Gesetzesentwurf für eine eventuelle Lösung der Doppelverbeitragungsproblematik von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgelegt. Mir ist wichtig, dass eine Finanzierung über Steuermittel erfolgt und dass die Belastungen für alle Betroffenen in der Versichertengemeinschaft verträglich ausgestaltet werden. Zudem möchte ich die Attraktivität der betrieblichen Altersvorsorge wieder erhöhen."
Bernd Rützel, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart): "Das Problem beschäftigt uns schon lange. Ich halte es für dringend notwendig, dass es eine Entlastung für die Rentenbezieher gibt. Der volle Krankenkassenbeitrag auf Betriebsrenten stammt aus einer Zeit, als es den Kassen schlecht ging. Das ist aktuell nicht mehr der Fall. Zudem wollen wir Betriebsrenten fördern. Deshalb plädiere ich, genau wie meine Partei, für den halben Krankenkassenbeitrag auch für Betriebsrenten. Angesichts der sehr guten Kassenlage vieler Krankenversicherer bin ich der Meinung, dass die Differenz aus den Rücklagen der Krankenkassen gezahlt werden kann. Da sich unser Koalitionspartner, die CDU/CSU, jedoch dagegen sträubt, bin ich auch zu anderen Lösungen bereit. Bis zur endgültigen Abschaffung der Doppelverbeitragung könnte ich mir vorstellen, dass als Zwischenschritt zunächst ein echter Freibetrag anstelle der jetzigen Freigrenze eingeführt wird. Ich bin optimistisch, dass es im Herbst einen gemeinsamen Vorschlag geben wird."
Manuela Rottmann, Grüne-Bundestagsabgeordnete aus Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen): "Als Mitglied im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages weiß ich, dass die Kassenbeiträge auf Betriebsrenten die Menschen sehr verärgern. Viele empfinden das als ungerecht. Es ist aber wichtig, dass die Menschen darauf vertrauen können, dass sich der Aufbau einer privaten Altersvorsorge für sie lohnt. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD angekündigt, dieses Problem zu lösen. In der Praxis ist das nicht ganz einfach, weil es schon schwer zu ermitteln ist, wer überhaupt betroffen ist. Aus der Opposition heraus können wir das nicht lösen, sondern wir sind darauf angewiesen, dass die Ministerien hier einen Vorschlag vorlegen."
Klaus Ernst, Bundestagsabgeordneter der Linken aus Schweinfurt: "Die Doppelverbeitragung halten wir als Linke für einen riesigen Rentenklau. Seit die entsprechende Gesetzesänderung 2003 in einer Nacht-und Nebel-Aktion durchgedrückt wurde, haben die Betriebsrentner und die Direktversicherten mehr als 37 Milliarden Euro zusätzlich an die Krankenkassen überwiesen – Geld, das ihnen jetzt in der Rente fehlt. Die Linke hat das Thema mit zahlreichen Anträgen und Bundestagsreden, mehreren öffentlichen Ausschuss-Anhörungen und mit Unterstützung durch die Betroffenen immer wieder auf die Agenda gebracht. Anfang dieses Jahres sah es so aus, als würde die ungerechte doppelte Belastung von Betriebsrenten und Direktversicherungen endlich ein Ende haben, der Gesetzentwurf des Gesundheitsministers war vielversprechend. Umso ärgerlicher ist, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den Reformprozess mit einem Machtwort gestoppt hat. Das werden wir nicht hinnehmen und weiterhin dafür kämpfen, dass die Doppelverbeitragung wieder abgeschafft wird."
Andrew Ullmann, Bundestagsabgeordneter der FDP aus Würzburg: "Für die private Altersvorsorge brauchen wir mehr Anreize. Stattdessen werden immer noch diejenigen bestraft, die private Vorsorge betreiben. Viele Arbeitnehmer haben schon weit vor 2004 per Direktversicherungen fürs Alter vorgesorgt. Diese Menschen fühlen sich seither betrogen. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Die doppelte Verbeitragung empfinde ich als schreiende Ungerechtigkeit. Ich habe kein Verständnis dafür, dass Union und SPD im Bundestag fortwährend mauern, wenn es um die Abschaffung der Doppelverbeitragung geht. Meine Fraktion und ich persönlich werden uns weiterhin im Bundestag für die überfällige Korrektur dieses Missstandes einsetzen."
Das jetzige Fördersystem zum Aufbau einer Betriebsrente durch Entgeltumwandlung (Gehaltsumwandlung) funktioniert so: In der Ansparphase sind Zahlungen für eine Betriebsrente grundsätzlich einkommensteuerfrei und es fallen keine Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge an, weder für den Arbeitnehmer noch für den Arbeitgeber. Mit anderen Worten: von 100 Euro umgewandeltem Arbeitsentgelt fließen ohne Abzüge 100 Euro in den Aufbau der Betriebsrente. Dem steht gegenüber, dass von den 100 Euro keine Beiträge mehr in die gesetzliche Rentenversicherung fließen – derzeit also 18,60 Euro – und insofern sich die gesetzliche Rente verringert. In der Auszahlungs- bzw. Rentenphase wird die Betriebsrente voll besteuert, und seitens der Betriebsrentner muss der volle Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag getragen werden.
Rechenbeispiel: Wer aus der betrieblichen Altersvorsorge eine Kapitalleistung von 100 000 Euro erhält und in der gesetzlichen Krankenversicherung (KV) und Pflegeversicherung (PflV) ist, für den gilt: Es wird so gerechnet, als ob das Kapital über 120 Monate (zehn Jahre) ausgezahlt wird. Dann kämen monatlich 833,33 Euro zur Auszahlung. Auf diesen fiktiven Betrag werden KV- und PflV-Beiträge fällig. Der jeweilige Beitragssatz liegt im Durchschnitt bei etwa 18 Prozent. Damit werden im Beispiel monatlich etwa 150 Euro fällig, über die 120 Monate also 18 000 Euro.
Mit dem neuen Betriebsrentenstärkungsgesetz von 2017 wurde geregelt, dass bei Entgeltumwandlungen der Arbeitgeber spätestens ab dem Jahr 2022 15 Prozent des umgewandelten Entgelts als Arbeitgeberzuschuss weitergeben muss, soweit er Sozialversicherungsbeiträge einspart. Der Arbeitgeber soll künftig nicht mehr dadurch profitieren, dass sich seine Mitarbeiter mit ihrem Geld eine Betriebsrente aufbauen. Im Ergebnis fließen dann also bei 100 Euro umgewandelten Arbeitsentgelt 115 Euro in die Betriebsrente der Beschäftigten. (Quelle: BMAS)