Das TV-Publikum kennt ihn aus einem Werbespot kurz vor der Tagesschau. Wolfgang Grupp, perfekter Anzug, tadellose Haltung, versichert darin regelmäßig, nur in Deutschland zu produzieren und die 1200 Arbeitsplätze in seiner Firma Trigema zu sichern. Der Affe, mit dem der 79-jährige Grupp dabei regelmäßig in Dialog tritt, ist längst computeranimiert, Grupp unterdessen selbst zur Marke geworden. Und: Nach wie vor führt er seine Firma als eingetragener Kaufmann - bei voller Haftung. Ein Gespräch über Verantwortung im Unternehmertum, den Standort Deutschland und wie es um die Nachfolge in seiner eigenen Firma bestellt ist.
Wolfgang Grupp: Ich muss Ihnen gestehen, dass ich kein T-Shirt trage. Früher habe ich auch Polohemden getragen, als ich noch Tennis gespielt habe. Ich habe Unterwäsche von Trigema, aber kein T-Shirt. Da Sie auf Anzug und Krawatte anspielen: Das tue ich ja nicht für mich. Kleidung ist für mich – und so war das früher immer – eine Wertschätzung meines Gegenüber.
Grupp: Ob das zukunftsträchtig ist, ist eine andere Frage. Aber dieses Modell steht für das Wirtschaftswunder, das durch solche Unternehmer geschaffen wurde, die auch einen Vorwärtsdrang hatten, die auch gerne mehr wollten. Aber sie wussten, dass sie persönlich in der Haftung sind, wenn sie zu weit gehen. Deshalb waren die Entscheidungen überlegter, verantwortungsvoller und vor allem nicht der Gier und dem Größenwahn ausgesetzt. Früher wollte man die Schande des Konkurses nicht über sich ergehen lassen. Heute hört man oft: "Kein Problem, ich habe schon dreimal Insolvenz gemacht, es geht mir gut." Das geht nach dem Motto: Läuft es gut, wird kassiert, läuft es schlecht, müssen andere die Zeche bezahlen. So etwas ist für mich indiskutabel, das hat mit Anstand nichts zu tun. Wenn das so weitergeht, werden wir ein Desaster erleben.
Grupp: Wir brauchen die Verantwortung und die Haftung zurück in unserer Gesellschaft! Das ist wie in einer Familie: Wer Kinder hat, der hat für sie auch die Verantwortung - und nicht der Staat oder der Lehrer. Deshalb habe ich schon lange vorgeschlagen, dass die Politik endlich diejenigen, die voll haften, anders besteuert. Warum nicht 50 Prozent Rabatt auf die Einkommensteuer für Unternehmer, die persönlich haften? Dann wird der Größenwahn endlich eingedämmt, dann gibt es auch mehr Verantwortung.
Grupp: Moment, das habe ich so nicht gesagt. Es gab tolle Manager, bei Bosch, bei Nestlé oder bei Mercedes. Die haben ihr Unternehmen geführt, als wäre es ihr eigenes. Heute ist das leider oft anders. Auch deshalb braucht es wieder mehr Haftung – und mehr Verantwortung. Und das geht nur über steuerliche Unterschiede. Das ist wie bei einer Versicherung: Wenn die Prämie für Teilkasko und Vollkasko gleich hoch ist, dann wählen natürlich alle Vollkasko.
Grupp: Wenn es um die Bewältigung der Zukunft geht und wenn ich Dinge ändern muss, dann muss ich auch entscheiden können, was richtig ist. Da lasse ich mir nicht hineinreden, schließlich muss ich ja am Ende für alles haften. Aber ich werde nie eine Entscheidung treffen, wenn die Mitarbeiter nicht mehrheitlich dahinter stehen.
Grupp: Ein anderer hat entschieden, dass ich nicht todkrank bin und noch arbeiten kann. So lange man das Gefühl hat, dass man etwas wert ist und dass man gebraucht wird, sollte man sich darüber freuen. Ich habe auch leitende Mitarbeiter, die in Rente gehen könnten, aber länger arbeiten möchten. Mein technischer Leiter zum Beispiel hat zwei Jahre länger gearbeitet. Ich war gottfroh. Ich will mich damit nicht vergleichen, aber wenn ich verreist bin, werde ich gefragt: "Herr Grupp, wann kommen Sie wieder zurück? Wir müssen noch das oder jenes mit Ihnen besprechen!"
Grupp: Wenn keine Kinder da sind, ist das natürlich schwierig. Aber wenn Kinder da sind und die nicht wollen, dann haben die Eltern versagt. Die Eltern haben nun mal eine Vorbildfunktion. Wenn die Eltern etwas Positives vorleben, dann ist doch logisch, dass die Kinder das nachmachen. Bei einem Schreiner ist oft klar: Der Sohn macht das später auch. Beim Landwirt fahren schon die Kinder auf dem Traktor mit und übernehmen später den Hof. Aber je elitärer die Familien werden, je komplizierter die Besitzverhältnisse sind, desto schwieriger wird es. Dann sagt sich ein Kind: Was soll ich da?
Grupp: Dabei bleibt es auch. Die Kinder sollen sich ja ein Leben lang lieben und nicht ein Leben lang streiten. Mein Sohn kümmert sich in der Firma um Verkauf und Digitalisierung der Produktion, meine Tochter ist für den Online-Shop und anderes verantwortlich. Beide können in der Firma arbeiten, aber nur einem Kind soll sie gehören. Dieses Kind muss dann die Entscheidungen treffen – auf seinem eigenen Rücken, mit voller Haftung. Es muss die Verantwortung tragen für 1200 Mitarbeiter – und außerdem die Hypothek, Textilien in Deutschland zu produzieren. Welches Kind das ist, wird wahrscheinlich meine Frau entscheiden, sie ist 24 Jahre jünger, sie ist die Alleinerbin. Sie weiß, wie ich denke und was mein Wunsch ist. Wenn sie anders entscheidet, ist es auch in Ordnung.
Grupp: Gegenfrage: Nennen Sie mir mal einen Textilproduzenten, der reicher geworden ist, nachdem er seine Produktion verlagert hat. Ich kann Ihnen viele nennen, die nicht nur ärmer geworden sind, sondern Konkurs gemacht haben. Der Standort Deutschland ist sehr gut. Nur muss ich als Hersteller eben wissen, dass ich in Deutschland kein Massenprodukt herstellen kann, sondern hochqualitative und innovative Produkte. Damit ist dann auch der deutsche Lohn gerechtfertigt. Wir produzieren von Januar bis Dezember mit voller Auslastung und haben noch nie ein Jahr mit Verlust abgeschlossen. Wenn der Kunde den Preis drücken will, muss man eben auch mal den Mut haben, nein zu sagen und auf den Auftrag zu verzichten. Den Mut hatten andere nicht. Sie haben sich erpressen lassen und sind dann ins Ausland, weil sie dachten, dass es da billiger ist. Und dann hat der Kunde weiter den Preis gedrückt, und sie sind untergegangen.
Grupp: Die Krise ging an uns natürlich nicht vorbei. Ich musste sechs Monate meine Geschäfte schließen. Wir machen jede Woche im Schnitt eine Million Umsatz in den Geschäften. Über den Online-Handel konnte ich davon etwa die Hälfte auffangen, aber eine halbe Million pro Woche haben wir konstant ans Lager produziert, weil ich meine Mitarbeiter beschäftigen wollte. Am Anfang der Pandemie habe ich meinen Mitarbeitern klar gesagt: Das wird wahrscheinlich die schwierigste Krise sein, die ich in meinen 50 Jahren bei Trigema vor mir habe, aber ich werde auch in dieser Krise alle Arbeitsplätze garantieren, wenn die Anordnungen, die ich treffe, eingehalten werden. So haben wir die Krise gemeistert. Aber natürlich habe ich den Umsatzverlust noch nicht aufgeholt.
Grupp: Wir kaufen unsere Materialen ein halbes Jahr im Voraus. Außerdem kaufen wir nicht in Asien ein, sondern in Europa. Wir haben da keine gravierenden Probleme.
Grupp: Als Herr Kretschmann zum ersten Mal gewählt wurde, habe ich es öffentlich als eine Schande für unser Unternehmerland Baden-Württemberg bezeichnet, dass wir die erste grün-rote Regierung haben. Damals hatte Burladingen übrigens noch mit 49 Prozent CDU gewählt. Dann hat Herr Kretschmann seine Aufgabe sehr gut gemacht. Viele sagen ja, er könnte auch ein CDU-Mann sein. Ich kann doch Herrn Kretschmann nicht begegnen und ihm sagen "Alles wunderbar" und gleichzeitig versuchen ihn abzuwählen!
Grupp: Die CDU ist mir zu weit abgeschwenkt in alle möglichen Richtungen, nur um Stimmen zu bekommen. So lange einer wie Friedrich Merz nicht die CDU führt, wähle ich keine CDU mehr. Jetzt werde ich FDP wählen.
Wolfgang Grupp tritt an diesem Freitag, 16. Juli, beim "Kunst.Kultur.Kongress" an der Uni Würzburg auf. Von der bereits ausgebuchten Veranstaltung zum Thema Unternehmenskultur gibt es einen Livestream unter https://youtu.be/7YKpfOdV_Og.