Er ist in der Summe einmal um die Welt geschwommen, hat sich durch viele zweifelhafte Gewässer hin zu zigfachen Erfolgen gekämpft: Thomas Lurz. Der Würzburger Vorzeigesportler steht für Ausdauer, Durchbeißen, Motivation. Im Interview erzählt er, wie er den inneren Schweinehund besiegt, warum Ziele im (Arbeits-)Leben so wichtig sind und welche Ambitionen er beim Modekonzern s.Oliver hat.
Frage: Angenommen, es ist irgendein grauer Werktag. 6 Uhr morgens. Ich bin Morgenmuffel und muss zur Arbeit. Motivieren Sie mich mal.
Thomas Lurz: Du musst immer wissen, warum du aufstehst. Wenn du morgens aufstehst, und du weißt nicht warum, dann solltest du besser liegen bleiben und darüber nachdenken. Der Schlüssel zum Erfolg ist das Ziel. Das Ziel muss mir Spaß machen, ich muss es vor Augen haben.
Ich habe aber kein Ziel und auf die Arbeit immer noch keine Lust. Und jetzt?
Lurz: Dann ist es wichtig, sich eine Arbeit zu suchen, wo man sich ein Ziel setzen kann. Jeder Mensch hat ja irgendwelche Interessen – sei es privater oder beruflicher Natur. Das muss man irgendwie überein bringen. Ich bin der Meinung, dass es nie erfolgreich und dass es auf Dauer gesundheitlich schädlich sein wird, wenn du dich jeden Tag zur Arbeit schleppst, die dir überhaupt keinen Spaß macht.
Stehen Sie genau mit dieser Einstellung jeden Tag auf und gehen zur Arbeit bei s.Oliver?
Lurz: Ja. Ich mache grundsätzlich von 6 bis 7 Uhr eine Stunde Sport. Entweder schwimme ich, mache Krafttraining oder gehe laufen. Dann ist der Tag schon mal von Anfang an ganz gut. Wenn ich morgens mal keinen Sport mache, ist der Tag... - na ja. Hinzu kommt, dass ich in der Woche immer kurzfristige und langfristige Ziele habe, die ich mir auferlege. Das war im Leistungssport auch so. Ich habe versucht, das im Beruf eins zu eins zu übernehmen.
Was ist bei s.Oliver für Sie ein kurzfristiges und was ein langfristiges Ziel?
Lurz: Ich bin jetzt seit sieben Jahren bei s.Oliver. Mir hat von Anfang an Spaß gemacht, als Führungskraft tätig zu sein. Ich war erst in der Personalabteilung, dann Assistent des Inhabers. Ich habe dann nebenher auch meinen MBA gemacht. (Anmerkung der Red.: Master of Business Administration, ein Manager-Studium.) Ein langfristiges Ziel war immer, eine Führungskraft zu sein mit viel Verantwortung. So bin ich bis jetzt auch die Stufen gegangen. Es gab für mich im September einen Karrierewechsel, das heißt, ich habe wieder eine Stufe erreicht. Da gilt es logischerweise, sich erst mal zu etablieren und die Leistung zu erbringen, um diese Stelle auszufüllen.
Leistung erbringen: Passt das bei Ihnen in einen Acht-Stunden-Tag?
Lurz: Eigentlich schon. Ich glaube nicht, dass es relevant ist, ob es acht, zwölf, vier oder sechzehn Stunden sind. Es ist vielmehr wichtig, am Anfang zu wissen, was die Ziele für die Abteilung und für mich persönlich sind. Wenn man eine große Abteilung führt, ist auch wichtig, die Menschen mitzunehmen, wertzuschätzen und zu schauen, dass sich jeder weiterentwickelt. Gerade die Weiterentwicklung ist für jeden Einzelnen ein großer Motivationsaspekt , um Spaß an der Arbeit zu haben. Deshalb ist es wichtig, nach gewissen Jahren die nächste Entwicklungsstufe zu nehmen. Ich sage immer: Im besten Fall ist der nächste Schuh, in den man steigt, einen Ticken größer als der davor.
Gutes Stichwort: s.Oliver-Chef Bernd Freier will im November aufhören. Werden Sie sein Nachfolger?
Lurz: (Lacht.) Nee, nee. Quatsch. Ich bin sicherlich noch nicht in der Lage, ein Unternehmen in dieser Größenordnung zu führen. Alles andere wäre sehr überheblich. Und was Bernd Freier im November macht oder nicht macht, das wird er noch selbst kommunizieren.
Um in Ihrem Bild zu bleiben: Um wie viele Schuhgrößen ist das zu groß?
Lurz: Das kann ich in Ziffern nicht nennen. Ich habe grundsätzlich kleine Schuhe. (Lacht.) Im Ernst: Hier geht es um eine High-End-Managerposition in einem Unternehmen, das mehrere Marken und weltweit 6400 Mitarbeiter hat. Da muss man reinwachsen oder reingewachsen sein und man braucht viel Erfahrung, ein solches Unternehmen zu führen.
Wie viele Kilometer sind Sie während Ihrer Sportlerkarriere geschwommen?
Lurz: Diese Frage höre ich oft. Man kann von 43 000 bis 45 000 ausgehen. Ich bin also schon einmal um die Erdkugel geschwommen.
Es ist bekannt, dass in all den Gewässern tote Fische noch das Harmloseste waren, was Ihnen beim Schwimmen begegnete. Müssen Sie jetzt in Ihrem Beruf auch durch manches schwimmen, was man lieber nicht erleben möchte?
Lurz: Seit ich bei s.Oliver bin, kann ich sagen, dass ich noch nicht durch solche Gewässer geschwommen bin wie im Sport. Ich war in einigen Hafenbecken, da ist der tote Fisch nur der Vorname. Den nimmt man sehr gerne in Kauf im Vergleich zu anderen Dingen. Da war alles dabei: tote Kühe, Quallen, Europaletten und viel, viel Unrat. Das prägt natürlich – ähnlich wie Schicksalsschläge, etwa der Tod meines Vaters. (Anmerkung der Red.: Peter Lurz starb überraschend im August 2007 im Alter von 61 Jahren.) Das sind dann sprichwörtlich diese Hafenbecken oder schlechten Gewässer, durch die man schwimmt. Da ist mir der Sport schon früh eine große Hilfe gewesen. Weil er mich ganz besonders gelehrt hat, auch in schwierigen Situationen durchzuhalten.
Was haben Sie auf all diesen zigtausend Kilometern gemacht, wenn der innere Schweinehund mal besonders groß war? Und was tun sie, wenn jetzt der innere Schweinehund im Beruf kommt?
Lurz: Einen inneren Schweinehund habe natürlich auch ich. Ich würde lügen, wenn ich etwas anderes sagte. Ich stehe morgens um 5.30 Uhr auf. Jeder Mensch würde da lieber liegen bleiben. Die Kunst ist: Wenn man etwas 30-mal hintereinander gemacht hat, gewöhnt man sich dran. Wenn dann mal der innere Schweinehund kommt, was bei mir eben manchmal auch der Fall ist, sind das Tage, die dich weiterbringen. Genau da musst du durch. Wenn du das geschafft hast, wächst du als Mensch. Im Sport war es immer so: Die Trainingseinheiten, bei denen nichts geht, bei denen du den Muskelkater spürst, sind die, die dich zum Champion machen. Da musst du dich durchbeißen, da trennt sich die Spreu vom Weizen. In den Momenten, in denen der innere Schweinehund kommt, habe ich das immer im Hinterkopf. Dann sage ich mir: Wenn du jetzt aufstehst, dann wirst du besser. Denn 99,9 Prozent aller Menschen würden jetzt liegenbleiben. Dieser Unterschied macht aus, ob du später erfolgreich oder nur Teilnehmer bist.
War diese Einstellung von Ihnen der Grund, warum Sie Bernd Freier zu s.Oliver geholt hat?
Lurz: Ich bin überzeugt, dass Herr Freier eine hohe Affinität zum Sport hat. Wenn man im Leistungssport gut sein möchte, muss man gewisse Fähigkeiten mitbringen. Von daher würde ich durchaus sagen, dass das Kriterien sind, die für Herrn Freier relevant sind, um mit Ehrgeiz, Disziplin und Leidenschaft dabei zu sein. Ich bin ihm sehr dankbar, dass ich in seinem Unternehmen anfangen konnte und dass er mich unterstützt hat. Das will ich gerne zurückzahlen.
Bahn für Bahn für Bahn: Schwimmtraining kann unendlich langweilig sein. Was ist daran motivierend?
Lurz: Gute Frage. Ich bin 20 Jahre lang endlose Kilometer im Adami-Bad hoch und runter geschwommen — totlangweilig. Das ist jedesmal eine Lehrstunde. Denn wenn man das mitgemacht hat, relativiert sich danach vieles. Wenn du das durchgestanden hast, hast du vor anderen Herausforderungen keine Angst. Weil du gemerkt hast: Wenn du das geschafft hast, wirst du viele andere Dinge auch schaffen. So bin ich später an vieles rangegangen. Wie hatte ich mich damals motiviert? Ich hatte bei jedem Training immer ein Ziel vor Augen: Olympische Spiele, Medaillen, Weltmeisterschaften. Ich wusste bei jedem Training, was mein nächster Wettkampf ist, wo er ist und welche Konkurrenz da schwimmt. Wenn ich mal Tage hatte mit dem inneren Schweinehund, keine Lust meinetwegen am Samstagnachmittag, wo du 1000 Sachen lieber machen willst als Schwimmen –in solchen Momenten hatte ich immer im Kopf: Wenn du dich jetzt durchbeißt, dann sind das die entscheidenden Momente.
Ist das nun auch Ihre Haltung im Beruf?
Lurz: Ja, das kann man tatsächlich vergleichen: Es gibt Dinge, die machen mehr Spaß und Dinge, die machen gar keinen Spaß.
Sie haben bei s.Oliver in einem gewissen Bereich Verantwortung für gut 6000 Mitarbeiter. Das hat die Größe einer Kleinstadt. Wie gut schlafen Sie?
Lurz: Sehr, sehr gut. Und die Verantwortung trage ja nicht ich allein. Im Bereich Personal habe ich noch einen Geschäftsführer über mir, Michael Picard. Ich bin also nicht allein in der Verantwortung.
Es gibt Chefs, die sagen: Wenn man als Führungspersönlichkeit die Mitarbeiter motivieren muss, ist bis dahin schon was schiefgelaufen im Unternehmen. Unterschreiben Sie das?
Lurz: Nicht unbedingt. Weil ein Mensch ja auch immer Höhen und Tiefen hat. Grundsätzlich muss natürlich die Bereitschaft da sein, Ziele zu erreichen und auch mal die Extrameile zu gehen. Genau an den Tagen, an denen man durchhängt oder vielleicht private Probleme hat, ist die Führungskraft gefragt, das Team zu motivieren und abzuholen. Denn arbeiten oder trainieren an Tagen, an denen alle Lust und Laune haben, kann jeder.
Mussten Sie s.Oliver-Chef Bernd Freier auch mal motivieren?
Lurz: Nein. Sonst hätte er ja auch nicht erreicht, was er erreicht hat. Er ist in dieser Hinsicht ein vorbildlicher Unternehmer.
Vorbild auch für Sie?
Lurz: Absolut. Denn wer so etwas wie s.Oliver so erfolgreich aufbaut und so vielen Mitarbeitern über 50 Jahre hinweg einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt, der hat Außergewöhnliches geleistet.
Was demotiviert Sie?
Lurz: Gute Frage. So richtig schlecht ist es, wenn ich keine Sinnhaftigkeit sehe. Die Zeit dafür ist dann Unsinn, die verpulvert man in Belangloses.