In den 1990er Jahren haben Banken sogenannte Prämiensparverträge massiv beworben. Die langfristigen Verträge galten als attraktiv und risikofrei. Vor etwa anderthalb Jahren begannen Kreditinstitute wie die Sparkasse Mainfranken, etliche dieser Verträge zu kündigen, weil sie zu teuer wurden. Der Fall eines Ehepaars aus dem Landkreis Kitzingen zeigt, dass das Thema die Kunden weiterhin beschäftigt.
Peter Müller (Name von der Redaktion geändert) und seine Frau schlossen bei der Sparkasse Mainfranken 1999 einen Prämiensparvertrag ab, bei dem sie einen steigenden Prämiensatz von bis zu 50 Prozent auf die jährlichen Einzahlungen erhielten. Im August 2020 kündigte die Sparkasse den Vertrag. Im Schreiben des Kreditinstituts, das dieser Redaktion vorliegt, heißt es: "Die Prämienzahlungen der höchsten Prämienstufe sind für uns in der aktuellen und weiterhin anhaltenden Niedrigzinsphase nicht tragbar."
Sparkasse Mainfranken hat seit 2019 fast 10 000 Verträge gekündigt
Die Kündigung ärgert Peter Müller. Sein Vertrag habe keine feste Laufzeit gehabt und sollte eine sichere Anlage für das Alter sein, sagt er. Diese falle nun weg.
So wie dem Ehepaar Müller geht es vielen. Die Sparkasse Mainfranken teilt auf Nachfrage mit, dass sie seit 2019 genau 9788 Prämiensparverträge gekündigt habe. In ganz Bayern sind es über 40 Sparkassen, die solche vorzeitigen Kündigungen verschicken.
Der Kündigung hat Müller direkt widersprochen. Doch die Sparkasse lehnte den Widerspruch ab, mit Verweis auf ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von Mai 2019. Das Urteil besagt, dass Sparverträge ohne feste Laufzeit seitens der Banken gekündigt werden dürfen, sobald die höchste Prämienstufe erreicht ist. Und das war bei den Müllers 2014 der Fall.
Sibylle Miller-Trach ist juristische Sachbearbeiterin bei der Verbraucherzentrale (VZ) Bayern. Sie sagt: "Bei Verträgen aus den 90er Jahren hat man meistens keine Chance mehr, sich gegen die Kündigung erfolgreich zu wehren." Bei jüngeren Verträgen dagegen seien die Aussichten besser.
Die Kündigungen sind jedoch nicht das Einzige, worüber sich Besitzer von Prämiensparverträgen ärgern. Ein weiterer Streitpunkt sind zu niedrige Zinszahlungen. Im Februar 2004 entschied der BGH, dass sich variable Zinsen von langfristigen Sparverträgen an einer Bezugsgröße des Kapitalmarkts – dem sogenannten Referenzzins – orientieren und stets daran anpassen müssen. In Verträgen, die vor dem Urteil abgeschlossen wurden, fehlt diese sogenannte Zinsanpassungsklausel in der Regel.
Die Zinsen können nachberechnet werden
Laut Miller-Trach besteht somit eine Lücke im Vertrag, die beide Vertragsparteien zusammen durch eine neue Vereinbarung hätten schließen müssen. "Das haben die Sparkassen in den meisten Fällen aber nicht beachtet, sondern haben die Zinsanpassungen nach eigenem Gutdünken vorgenommen", kritisiert die juristische Sachbearbeiterin. Denn das Urteil des BGH verpflichtet die Banken nicht, die Kunden über die unwirksamen Zinsanpassungsklauseln zu informieren. Für solch eine Pflicht setzt sich nun die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) ein.
Das Ehepaar Müller hat bei der Sparkasse Mainfranken eine Nachberechnung der Zinsen beantragt. Zudem ließen sie über die Verbraucherzentrale einen Vergleichswert berechnen. Sowohl die Sparkasse als auch der Kreditsachverständige der VZ haben Beträge im niedrigen vierstelligen Bereich errechnet. Doch das Ergebnis der Sparkasse ist 500 Euro niedriger als das der VZ. Wie kann das sein?
Der Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse liegt beim genutzten Referenzzins. Zwar hat der BGH entschieden, dass die Zinsen sich an solch einem Wert orientieren müssen. Doch welcher Referenzzins der richtige ist, ist bisher nicht geklärt.
Das führt häufig dazu, dass sich die Parteien bezüglich der Höhe der Zinsnachzahlung nicht einig werden. Denn viele Sparkassen, unter ihnen die Sparkasse Mainfranken, erkennen den von der Verbraucherzentrale Bayern gewählten Referenzzins nicht an.
Ehepaar sollte alle seine Rechte abtreten
Das Problem für Peter Müller war jedoch ein anderes. Die Sparkasse Mainfranken wollte, dass er und seine Frau eine Vergleichsvereinbarung unterschreiben. Neben der von der Sparkasse berechneten Zinsnachzahlung stand in dieser: "Mit der vorstehenden Zahlung sind alle gegenseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Vertrag abgegolten." Wenn der BGH oder ein anderes Gericht also einen für alle geltenden Referenzzins festlegen sollte, anhand dessen die Zinsnachzahlung hätte höher sein müssen, bekäme das Ehepaar Müller die Differenz nicht nachgezahlt. Ebenso müssten sie der Sparkasse im umgekehrten Fall nichts zurückzahlen.
Doch die Müllers unterschreiben nicht, sie wollen ihre Rechte nicht abgeben. Dahinter steckt vor allem die Hoffnung, den Vertrag irgendwann doch noch weiterführen zu können. Miller-Trach versteht das: "Man hat Bauchschmerzen, etwas zu unterschreiben, mit dem alle Rechte abgegolten werden." Letztlich müsse jeder Verbraucher für sich selbst überlegen, ob er den Vergleich annehme oder weiter dagegen vorgehe.
Das Ehepaar Müller weiß noch nicht, ob es rechtlich gegen die Sparkasse Mainfranken vorgehen wird. Peter Müller ist vor allem enttäuscht: "Wir sind seit Jahrzehnten bei der Sparkasse und waren bisher immer zufrieden. Jetzt überlege ich schwer, ob ich zu einer anderen Bank wechsle."