Alexander Wiesenegg will sich nicht kampflos geschlagen geben. Seit Monaten streitet sich der Würzburger Gastwirt mit seiner Versicherung, von der er einen mittleren sechsstelligen Betrag fordert. Doch der Konzern, so erzählt es Wiesenegg im Gespräch mit dieser Redaktion, ließ ihn immer wieder abblitzen. Jetzt reicht der Inhaber der Bürgerspital Weinstuben Klage ein. Es ist zu erwarten, dass andere Unternehmer aus der Region seinem Beispiel folgen.
Der Streit beginnt mit dem Corona-Lockdown im März. Während die Politik im Kampf gegen das Virus Betriebe schloss, bangten deren Inhaber deutschlandweit um ihre Existenz. Damit sich Metzgereien, Restaurants, Supermärkte und Arztpraxen für den Fall absichern können, dass Behörden ihren Betrieb mit Verweis auf das Infektionsschutzgesetz zwangsschließen, hatten viele Versicherungen schon in den Jahren zuvor sogenannte Betriebsschließungspolicen verkauft.
Mehr als eine Million Euro für Münchener Wirt
Auch Wiesenegg hatte – im Vertrauen darauf, abgesichert zu sein – unterschrieben. Doch als er den Schaden im März meldete, wollte seine Versicherung plötzlich nicht zahlen. Große Konzerne wie die Allianz, Helvetia, Ergo, die Versicherungskammer Bayern und die Nürnberger Versicherung ließen ihre Kunden reihenweise im Regen stehen. Mittlerweile sind deutschlandweit bereits hunderte Klagen an den Gerichten anhängig.
Vergangenen Donnerstag bekam erstmals ein klagender Gastwirt Recht: Laut Urteil des Landgerichts München I muss die beklagte Versicherungskammer die Kosten von 30 Tagen coronabedingter Betriebsschließung an den Pächter des Münchner Augustinerkellers zahlen – exakt 1,014 Millionen Euro.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wiesenegg sieht sich durch den Richterspruch aber bestätigt. Die Entscheidung der Münchner Richter lasse sich auf das Bürgerspital und viele weitere Betriebe übertragen, erklärt sein Anwalt Jörg Hofmann.
Neues Coronavirus in Verträgen nicht ausdrücklich erwähnt
Prinzipiell muss zwar jeder Vertrag einzeln geprüft werden, da es in der Juristerei oft auf einzelne Wörter ankommt, doch viele Policen sind ähnlich formuliert. Dahingehend hat das Münchener Urteil Signalwirkung, denn die Richter widersprechen der verklagten Versicherung in einigen zentralen Punkten.
So argumentieren viele Konzerne, die nicht zahlen wollen, es bestehe kein Versicherungsschutz, weil das neu entdeckte Sars-Cov-2-Virus in den Verträgen nicht ausdrücklich genannt wird. Das verwundert nicht, schließlich kannten vor ein paar Jahren nicht einmal Virologen den Erreger. Die meisten Bedingungen verweisen allerdings auf das Infektionsschutzgesetz, in dem das neue Coronavirus seit Beginn des Jahres aufgeführt wird.
Versicherer müssen "durchschaubar" formulieren
Die Richter entschieden nun, dass es Sache der Versicherer sei, die Verträge so "klar und durchschaubar" zu gestalten, dass auch ein Gastronom, der nicht zufällig Jura studiert hat, genau erkennt, ob neu entdeckte Erreger mitversichert sind. Entscheidend sei dabei nicht nur der reine Wortlaut, sondern auch die "Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers", der zunächst von einem umfassenden Schutz ausgehen kann. Das gebiete insbesondere das mehrmals vom Bundesgerichtshof bestätigte Transparenzgebot.
Darüber hinaus sei es unerheblich, ob ein Betrieb individuell durch einen Verwaltungsakt oder ganze Branchen per Allgemeinverfügung oder Verordnung geschlossen wird. Für den Gastronom macht das am Ende schließlich keinen Unterschied.
73 000 Policen verkauft
Für die Versicherungskonzerne sind das schlechte Nachrichten, denn ihnen droht eine Klagewelle, die hunderte Millionen Euro kosten könnte. Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft wurden über alle Branchen hinweg 73 000 solcher Policen verkauft.
Auch Hubert Aiwanger (Freie Wähler) könnte durch das Urteil in Bedrängnis geraten. Der bayerische Wirtschaftsminister vermittelte vor einigen Monaten zwischen Versicherern und der Gastrobranche. Kurze Zeit später stelle er die sogenannte bayerische Lösung vor: Die Versicherer erklärten sich damals bereit, zehn bis 15 Prozent der Schäden zu übernehmen, schließlich gebe es noch Kurzarbeitergeld und staatliche Corona-Hilfen. Im Gegenzug sollten die Gastronomen auf ihre Ansprüche verzichten.
Der Aiwanger-Vorschlag stieß bei vielen Wirten auf Unverständnis. Der Kompromiss wirkte wie ein vergiftetes Geschenk, weshalb auch Wiesenegg das Angebot ablehnte. "Warum soll ich mich vergleichen, wenn ich im Recht bin? Da geht gerade jegliches Vertrauen in die Versicherungsbranche verloren", sagt er.
Wiesenegg vermutet, die Konzerne spielen weiter auf Zeit, damit möglichst viele Betriebe, die sich keinen jahrelangen Rechtsstreit leisten können, einknicken. "Das ist eine stille Kalkulation", sagt sein Anwalt Jörg Hofmann.
Die Strategie könnte aufgehen: Er habe selbst einen Mandanten, der die 15 Prozent angenommen hat, weil er das Geld dringend braucht. Der Jurist bestätigt, dass viele der kleineren Gastronomien derzeit die ersten Urteile abwarten. Sie werden genau beobachten, wie nun das Würzburger Landgericht in der Bürgerspital-Klage entscheidet.