zurück
Plastikmüll: Warum der Trinkhalm Symbolpolitik ist
Plastikmüll: Der Fünf-Punkte-Plan der Bundesregierung soll gegen die Flut an Plastikmüll helfen. Profi Stefan Böhme hat täglich mit Tonnen dieses Mülls zu tun – und einen ganz anderen Ansatz.
Gelber Sack: In der Sortieranlage der Firma Böhme in Rehau bei Hof kommen pro Jahr 66 000 Tonnen dieses Mülls an – ein großer Teil davon aus Mainfranken. Firmenchef Stefan Böhme steht hier auf dem Außengelände, wo fertig sortierte und zu Ballen gepresste Ware auf den Abtransport zum Beispiel zu den Kunststoffgranulat-Herstellern wartet.
Foto: Jürgen Haug-Peichl | Gelber Sack: In der Sortieranlage der Firma Böhme in Rehau bei Hof kommen pro Jahr 66 000 Tonnen dieses Mülls an – ein großer Teil davon aus Mainfranken.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:15 Uhr

Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat kürzlich einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt, mit dem sie die Flut an Plastikmüll eindämmen will. Sie setzt dabei auf Vermeidung von Abfall, erwägt aber auch ein Verbot gewisser Verpackungen. Davon hält Stefan Böhme wenig. Als Chef einer der größten Sortieranlagen in Süddeutschland hat er jeden Tag mit Tonnen von Kunststoffmüll zu tun. Böhme sieht andere Ansätze – auch im Kampf gegen die Verschmutzung der Weltmeere mit Plastik.

Frage: Sie sortieren Tag für Tag Tonnen von Plastikmüll – auch aus Mainfranken. Ersticken wir bald darin, wie es Skeptiker gerne behaupten?

Stefan Böhme: Wir ersticken nicht in Plastikmüll. Aber wir nehmen zunehmend den falschen Kunststoff, um Dinge einzupacken – nämlich den, den man nicht mehr recyceln kann.

Zum Beispiel?

Böhme: Diese Mehrschicht-Verpackungen für Wurst aus dem Supermarkt. Sie bestehen aus so vielen Schichten, dass man sie nicht mehr ordentlich zu stofflichen Produkten machen kann. Leider setzen wir den Kampf bei der Plastiktüte an, die meistens aus Polyethylen besteht und die man eigentlich sehr gut recyceln könnte.

Wer genau ist bei diesen Wurstverpackungen mit der schwarzen Schale, den sogenannten Trays, in der Pflicht?

Böhme: Der Verbraucher hat die Möglichkeit, durch sein Einkaufsverhalten auf den Handel und die Verpackungshersteller Einfluss zu nehmen. Da kämpft häufig das ökologische Gewissen gegen die Bequemlichkeit.

Da Sie die Problematik kennen: Wie reagieren Sie als Kunde im Supermarkt?

Böhme: Ich gestehe – ich kaufe auch diese Verpackungen. Weil man teilweise gar nicht drum herum kommt.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat vor kurzem im Kampf gegen Plastikmüll einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt. Ist das der große Wurf?

Böhme: Nein. Es ist leider nur eine Mischung. Es geht in die richtige Richtung, aber der Weg ist häufig mit Symbolpolitik gepflastert. In dem Fünf-Punkte-Plan steht: überflüssiges Plastik vermeiden. Das kann man sofort unterschreiben. Ich stehe jeden Tag vor einem fünf Meter hohen Berg mit Verpackungsabfall aus ganz Nordbayern, den wir sortieren. Ich entdecke da aber keine Trinkhalme oder Wattestäbchen und ganz wenig Einweggeschirr. Das ist nicht unsere Hauptzielrichtung. Wir müssen an die tagtäglichen Verpackungen, die die Masse ausmachen.

Was genau ist an dem Fünf-Punkte-Plan gut?

Böhme: Die Zielsetzung ist die richtige. Erst mal vermeiden, dann umweltfreundlicher gestalten und dann das Recycling fördern. Der Weg dahin – darüber muss man diskutieren.

Und was genau ist an dem Plan schlecht?

Böhme: Dass – wie oft in der Politik – mit vielen Symbolen gehandelt wird. Zum Beispiel das Thema Kampf gegen Plastikmüll in den Meeren: Das ist kein deutsches Problem und die Lösung wird auch keine deutsche sein. Das ist vielmehr eine chinesische oder vielleicht noch afrikanische Problematik. Die Chinesen werden sich von den 50 Millionen Euro, die der Bund bereitstellt, wenig beeindrucken lassen.

Es kommt nicht auf die Wattestäbchen im Plastikmüll an, sagt Stefan Böhme - hier in seiner Sortieranlage in Rehau bei Hof.
Foto: Jürgen Haug-Peichl | Es kommt nicht auf die Wattestäbchen im Plastikmüll an, sagt Stefan Böhme - hier in seiner Sortieranlage in Rehau bei Hof.

Es ist ja nicht nur der Bund im Spiel, sondern auch die EU. Sie will gegen Einwegplastik vorgehen. Was ist davon zu halten?

Böhme: Das ist diese Symbolpolitik. Es sind keine Wattestäbchen und keine Trinkhalme aus Deutschland, die die Weltmeere verschmutzen. Dieser Zusammenhang wird oft hergestellt, doch er ist schlichtweg falsch. Die Verschmutzung der Weltmeere und diese großen Müllteppiche kommen aus zehn Flüssen. Von diesen zehn Flüssen sind sieben in China und drei in Afrika. Diese Länder interessiert das nicht. Dort gibt es keine geordnete Müllabfuhr. Da muss man ansetzen.

China und Afrika: Es heißt immer, dass unser Plastikmüll dorthin gebracht wird. Also hätten wir ja doch eine Mitschuld an der Verschmutzung der Weltmeere.

Böhme: Plastikmüll nach China – das war einmal. Die Chinesen hatten viele Kunststoffabfälle eingekauft. Allerdings nicht, um sie ins Meer zu kippen. Sie kauften ein, weil sie den Rohstoff für ihre Kunststoffindustrie brauchten. Sie haben dafür teures Geld bezahlt im Rahmen einer wirtschaftlichen Strategie. Das ist aber seit letztem Jahr fast komplett zum Erliegen gekommen aufgrund chinesischer Importbestimmungen. Es war auch nicht unser Verpackungsmüll, der dahin ging. Sondern es waren technische Kunststoffe aus der Kunststoffindustrie. In China ist der Konsum viel stärker gewachsen als die Abfallbewirtschaftung. Die haben das einfach nicht. Die Abfallbewirtschaftung in China ist der Fluss.

Umweltministerin Schulze denkt in ihrem Fünf-Punkte-Plan über ein Verbot sogenannter überflüssiger Verpackungen nach. Wird sich das durchsetzen lassen?

Böhme: Das wäre natürlich ein massiver Markteingriff. Aber es gibt durchaus Steuerungsinstrumente. Man muss nicht gleich mit einem Verbot arbeiten. Ökologisch unvorteilhafte Verpackungen sollen ja schon durch das neue Verpackungsgesetz teurer werden für die Hersteller und Inverkehrbringer. Dann werden die sich dreimal überlegen, ob sie eine nicht recycelbare Verpackung verwenden oder eine, die sich gut recyceln lässt. Oder ob sie ganz auf eine Verpackung verzichten. Das hatten wir übrigens zu Beginn des Dualen Systems mit dem Grünen Punkt in den 90er Jahren schon mal, als zum Beispiel die Zahnpastatuben ohne Karton außen herum verkauft wurden, weil man dafür extra bezahlen musste.

Die Dualen Systeme von heute erreichen nicht jene Recyclingquoten, die sich die politisch Verantwortlichen davon versprochen haben. Wie erleben Sie das in der Praxis?

Böhme: Der Druck auf die Recyclingquoten ist enorm gewesen. Mittlerweile ist der technische Fortschritt größer geworden: Wir investieren jedes Jahr Millionenbeträge in unsere Sortieranlage, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben.

Machen das Ihre Konkurrenten auch?

Böhme: Ja. Hier ist ein enorm hohes Kapital gebunden, um in diesen Anlagen immer die neueste Technik zur Verfügung stellen zu können. Es ist ja nicht so, dass wir etwa aus Bequemlichkeit oder Profitgier nur ganz wenig aus dem Abfallgemisch herausholen. Das Problem setzt woanders an: Man müsste erst einmal aufklären, was da überhaupt rein darf. Denn weil nur die Hälfte dessen, was wir reinbekommen, Verpackung ist, wird es schwierig, über die Hälfte stofflich wieder zu recyceln. Der Rest sind Störstoffe.

Im Januar löst in Deutschland das neue Verpackungsgesetz die Verpackungsverordnung ab und macht dann höhere Recyclingquoten zur Pflicht. Bringt uns das voran?

Böhme: Natürlich. Ich begrüße es sehr, dass die Latte höher gelegt wird. Wir erreichen diese Quoten bereits seit zwei Jahren. Die Entwicklung wird weitergehen, dass immer mehr recycelt und herausgeholt wird. Weil man technisch und eben jetzt auch gesetzlich dazu gezwungen sein wird. Man darf aber trotzdem nicht vergessen, dass das, was bei uns in den Sortieranlagen ankommt, recyclingfähig sein muss.

Von Ihnen stammt die Aussage, dass sich die Verpackungsindustrie wenig darum schert, wie die Sortieranlagen mit dem Müll klar kommen. Die produzieren also offenbar an Ihren Belangen deutlich vorbei.

Böhme: Richtig. Ich bemerke aber mittlerweile ein Umdenken. Es gibt viele Initiativen, die genau da ansetzen – was ich sehr begrüße. Die Entwicklung geht dahin, dass man sagt: Kann man nicht zum Beispiele Polyolefine – also Polyethylen, Polyproylen – stärker verwenden als irgendwelche anderen technischen Kunststoffe? Eine weitere Herausforderung: Mit den ehrgeizigeren Recyclingquoten nimmt die Menge an Sekundärrohstoffen für die Verarbeiter zu. Es muss jetzt nur noch eine Nachfrage geben für das Regranulat, das daraus entsteht.

Woran hakt es?

Böhme: Es ist teilweise für einen Verpackungsproduzenten günstiger, aus Rohöl hergestellte Neuware einzusetzen als Recyclingkunststoffe. Ein Problem ist, dass die Lebensmittelindustrie begründet, dass Recyclingkunststoff nicht ohne Weiteres wieder eingebracht werden kann. Weil man ja vermeiden will, dass dadurch irgendwelche gefährlichen oder verunreinigten Stoffe in den Lebensmittelzyklus eingebracht werden. Das heißt: Die Anwendungsmöglichkeiten für Recyclingkunststoffe sind noch nicht so, dass eine Sogwirkung einsetzt und die Produzenten unbedingt unser Material brauchen. Andererseits gibt es schon hochwertiges Recycling, wo man nicht merkt, dass man es mit Recyclingkunststoff zu tun hat. Die Schwierigkeit ist auch, das richtige Produkt zu finden, das man daraus herstellen kann. Da muss die Politik noch Unterstützung leisten.

Mikroplastik, Verschmutzung der Weltmeere: Haben Sie als Privatmann Angst, wohin die Menschheit da steuert?

Böhme (zögert): Nein. Angst nicht. Ich sehe wohl, dass man da was tun muss. Ich muss nochmal auf die Symbolpolitik zurückkommen: Die halte ich für gefährlich, weil man meint, man hat jetzt was getan. Man hat den Trinkhalm verboten und das Wattestäbchen – und damit ist es gut und das Gewissen beruhigt. Wenn man aber tagtäglich sieht, was da alles weggeworfen wird, wird klar, dass man sich auf die Mengenströme konzentrieren und an den großen Hebeln ansetzen muss. Es sollte auch bei der Herstellung von Produkten angesetzt werden: Man muss in ein Shampoo keine Kunststoffpartikel einbringen, die dann ins Wasser gelangen. Das könnte man verbieten.

Stefan Böhme ist Geschäftsführer der Böhme GmbH in Rehau bei Hof, wo etwa die Hälfte des in Mainfranken anfallenden Mülls aus den Gelben Säcken sortiert und für die Weiterverarbeitung hergerichtet wird. Der 44-Jährige ist darüber hinaus im Verband der bayerischen Entsorgungsunternehmen (München) Vorstandsmitglied und Sprecher für Franken. In dieser Funktion sitzt er im Arbeitskreis „Verpackung“ des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (Berlin). Sein Wissen über die Abfallwirtschaft und die Möglichkeiten der Wiederverwertung gibt Böhme beratend in Vorträgen weiter, so etwa im Frühjahr vor Fach- und Führungskräften in Brasilien.

Was Sie über Müll wissen sollten

  • Ein Verpackungsgesetz löst am 1. Januar 2019 in Deutschland die bislang geltende Verpackungsverordnung ab. Kern der neuen Vorschrift sind höhere Quoten, was die Wiederverwertung zum Beispiel von Kunststoffen im Abfall angeht. Sie liegt heute bei 60 Prozent, soll aber 2019 auf 90 Prozent steigen. Bei Glas, Papier/Karton und Metallen geht die Quote von 60 bis 75 auf dann ebenfalls 90 Prozent hoch.
  • In der Pflicht sind alle Unternehmen, die Verpackungen in den Wirtschaftskreislauf bringen. Dazu müssen sie sich schon heute an den Dualen Systemen beteiligen – mit dem neuen Gesetz wird das dann über ein öffentliches Register dokumentiert. So sollen Trittbrettfahrer abgeschreckt, das System soll transparenter werden. Ziel des Verpackungsgesetzes ist außerdem, Verpackungsabfälle so weit wie möglich zu vermeiden.
  • Die wichtigste Regel bei der Mülltrennung heißt: Zerlegen Sie den wiederverwertbaren Müll in seine Einzelteile. Nur so können diese Einzelteile später aus dem Abfallberg sortengerecht getrennt werden. Also zum Beispiel: Trennen Sie die Alufolie vom Joghurtbecher ab, schrauben Sie die Deckel von Flaschen oder Tetra-Pak-Behältern ab, reißen Sie die (durchsichtige) Plastikfolie von der (meist schwarzen) Schale, in der die Schnittwurst liegt.
  • Gelber Sack, gelbe Tonne – nur das gehört hinein: Verpackungen aus Kunststoff sowie Aluminium, Weißblech und Verbundverpackungen wie Tetra Pak. Papier, Glas, Rest- und Biomüll hingegen gehören in eigene Müllbehälter, Sondermüll und Bauschutt sowieso. Joghurtbecher oder ähnliche Behälter müssen nicht ausgewaschen werden, bevor sie in den Gelben Sack geworfen werden. Darauf weist Abfallexperte Stefan Böhme hin.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Jürgen Haug-Peichl
Abfall
Kunststoffbranche
Plastikmüll
Recycling
Svenja Schulze
Wattestäbchen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen