Nach gut 200 Jahren endet beim ältesten Druckmaschinenhersteller der Welt eine Ära: Zum ersten Mal wird an der Vorstandsspitze kein Nachfahre der Gründerfamilie stehen. Was ändert sich, wenn Andreas Pleßke zum Jahreswechsel den Stab von Claus Bolza-Schünemann übernimmt?
Andreas Pleßke: Ein großes Maß an Wertschätzung. Die stark empfundene Verantwortung, dass die Firma unter anderem auch die Aufgabe hat, diesen Mitarbeitern eine Zukunft zu bieten.
Pleßke: Na ja, das ist halt erst mal so. Man kann die Dinge, die man nicht ändern kann, nicht ändern (lacht).
Pleßke: Ich bin seit sechs Jahren dabei und kann sagen, dass wir hier schon recht lange ein bestimmtes Wertemodell leben. Diese Werte hängen sehr viel damit zusammen, dass die Firma von einer Familie über Jahrhunderte hinweg geführt wurde. Diese Werte fortzuführen, das habe ich mir vorgenommen.
Pleßke: Ich glaube, da unterscheidet sich ein Familienunternehmen nicht von einem Nicht-Familienunternehmen. Wir sind ja börsennotiert, deswegen kann man uns eigentlich nicht als Familienunternehmen bezeichnen. Wir sind vielmehr in der großen Breite aufgestellt. Dennoch hat die Gründerfamilie ein gewichtiges Wort in unserem Unternehmen und hat lange den Vorstandsvorsitzenden gestellt. Um welche Werte geht es also? Alles geht nur, wenn die Firma ertragsstark ist. Ein Wert ist, dass wir dafür sorgen müssen, dass wir nicht kurzfristig oder in Quartalen gedacht, sondern mittelfristig gedacht die Firma ertragsstark halten oder ertragsstärker machen. Es ist zudem sehr sinnvoll, dass wir alle unsere Stakeholder (An,m d. Red.: Anteilseigner plus am Unternehmen orientierte Interessensgruppen) im Blick haben. Alle. Das fängt bei den Kunden an. Denen müssen wir zuhören. Das geht mit den Mitarbeitern weiter, mit den Lieferanten, mit unseren Finanzierern und selbstverständlich mit unseren Aktionären.
Claus Bolza-Schünemann: Das ist Neuland. So ein Tag kommt irgendwann. Ist auch nicht schlimm. Im Gegenteil: Das hat ja auch einen gewissen Charme. Ich finde es überragend, dass Dr. Pleßke die Werte sehr gerne weiterträgt, die dieses Unternehmen schon immer beflügelt und die es über unwahrscheinlich viele Krisen hinweggetragen haben. Ich habe Vertrauen, dass das auch nach meiner Zeit so weitergelebt wird.
Bolza-Schünemann: (Zögert) Gute Frage. Ein völlig anderer als ich.
Bolza-Schünemann: Ich bin mein Leben lang ein Techniker. Ich liebe die Technik. Herr Dr. Pleßke ist von Hause aus Jurist. Er ist ein passionierter, professioneller Sanierer. Aber er kennt den Maschinenbau sehr gut, er hat eine hohe Affinität zum Maschinenbau. Diese Kombination ist wirklich gut. Gerade in den Zeiten, in denen wir gerade stecken und die uns noch bevorstehen, passt das hervorragend.
Pleßke: Um zu beschreiben, wie ich bin, müssten Sie meine Frau fragen (lacht). Aber objektiv stimmt’s. Ich habe zwei berufliche Hintergründe: Juristik und Wirtschaftswissenschaften. Ich bin seit 2001 im Management von Technologieunternehmen, überwiegend im Maschinenbau. In der Tat bin ich mehrfach mit der Aufgabe betraut worden, Firmen durch schwierige Zeiten zu manövrieren.
Pleßke: Das, was jetzt auf uns zukommt, ist für mich überhaupt nichts Neues. Ich war in den vergangenen 20 Jahren in Unternehmen, die entweder konjunkturell in einer schwierigen Lage waren oder die branchenbezogen, manchmal auch unternehmensbezogen, in Schwierigkeiten steckten. In einem unklaren Fahrwasser unterwegs zu sein, ist für mich nichts Neues.
Pleßke: Wir kommunizieren natürlich mit unserer Belegschaft und unseren Betriebsräten über unser jetziges Konzept „Performance 2024“. Das ist kein hartes Restrukturierungsprogramm wie „Fit@All“, das angelegt war auf anderthalb Jahre. Es ist vielmehr ein Programm, in dem Effizienzsteigerung, Entwicklung von neuen Maschinen und Innovation eine große Rolle spielen. Je nachdem, wie im Herbst unser hoffentlich kluger Blick auf die nächsten Jahre sein wird, werden wir uns auch der Frage stellen müssen, wie die Auslastung in den kommenden Jahren aussieht. Da kann es auch zu Mitarbeiterabbau kommen. Wir arbeiten dran. Die Auswirkungen von Corona auf die Welt sind schwer einschätzbar. In jedem Quartal lichtet es sich. Anfang März gaben wir andere Antworten als jetzt. Ich gehe davon aus, dass wir nach den Sommerferien viel besser abschätzen können, wohin die Reise geht.
Bolza-Schünemann: Mittendrin. Wir haben Glück und Pech. Unser Glück ist, dass wir sehr affin beim Verpackungsdruck sind. Unsere Kunden haben hier gut zu tun. Ihre Märkte sind in Ordnung. Unser Pech ist, dass wir wegen Corona keine neuen Maschinen installieren können, wir können auch keinen Service leisten. Kunden können nicht zu unseren Druckvorführungen kommen. Das ist ein Schlüssel, dass Kunden auch wirklich kaufen. Das ist so, als wenn man vor dem Autokauf keine Probefahrt machen kann. Darunter leiden wir sehr. Hinzu kommt, dass wir nach wie vor 90 Prozent Export haben. Ganze Regionen in der Welt sind momentan buchstäblich abgeschottet.
Pleßke: Ich hoffe mehr als heute (lacht). In der Vergangenheit sind wir gewachsen, weil wir uns über unsere Kerngeschäftsfelder hinaus durch Zukäufe strategisch weiterentwickelt haben. Jetzt warten wir erst mal ab, wie viele Wellen Corona noch um die Welt schickt.
Pleßke: Da muss ich meine Fantasie strapazieren. Das Schöne ist, dass unsere Endmärkte völlig in Ordnung sind. Sie sehen die Druckerzeugnisse unserer Kunden am allerbesten, wenn Sie durch einen Supermarkt, eine Apotheke oder einen Drogeriemarkt gehen. Da sehen Sie Pappschachteln, Glasflaschen, Blech- und Folienverpackungen. Die werden nach meiner Einschätzung weltweit zunehmen. Das hat wenig zu tun mit Corona. Das ist in anderen Branchen anders. Ob wir einmal ganz andere Produkte drucken, habe ich jetzt nicht auf dem Radar.
Bolza-Schünemann: Mir fällt da schon was ein. Das ist die große Welt der Wellpappe. Da stecken wir noch in den Kinderschuhen. Wir haben die ersten Prototyp-Maschinen ausgeliefert. Das ist für uns eine neue Welt. Da gibt es große Wettbewerber. Ich hoffe sehr, dass wir in fünf Jahren ein ernstzunehmender Spieler werden in diesem Wellpappegeschäft.
Bolza-Schünemann: Offen gesagt, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Weinend, weil ich immer die Druckmaschinen geliebt habe. Ich glaube, ich war sechs Jahre alt, als ich den ersten Kontakt mit einer Bogenmaschine hatte. Ich konnte mit super Mitarbeitern Großanlagen in alle Welt verkaufen und zum Teil mitinstallieren. Das war mein Leben. Das lachende Auge: jetzt Zeit zu haben für meine Familie, für meine Frau. Da ist vieles auf der Strecke geblieben. Der Beruf ist anstrengend, so schön das hier auch ist. Deshalb freue ich mich sehr auf den Unruhestand. Das wird ein Unruhestand, das weiß ich heute schon.
Bolza-Schünemann: Gute Idee.
Pleßke: Ich folge dem Rat des Vorstandsvorsitzenden (lacht.)