
Ein Klick auf den Monitor und die Skizze eines Solarparks in Carlino, Norditalien, poppt auf. Grüne und orangene Glockensymbole verteilen sich am linken Bildschirmrand. Rechts oben zeigt ein Diagramm die Tagesleistung des Parks – die Kurve steigt zur Mittagszeit hin an. Der Mann vor dem Bildschirm weiß: Der knapp 800 Kilometer entfernte Solarpark läuft reibungslos.
Wir sind bei Gildemeister energy solutions. Das Würzburger Unternehmen bietet Servicedienstleistungen im Solarbereich an. Gildemeister nutzt die Chancen der Digitalisierung – vor allem in puncto Ferndiagnose von Anlagen.
Erneuerbare Energie seit 2004
Ihre globale Projektüberwachung verdankt die Gildemeister energy solutions GmbH auch der Digitalisierung. Das kleine Unternehmen aus dem großen DMG Mori Konzern möchte digitale Chancen nutzen und neue Wege gehen.
Gildemeister energy solutions um Geschäftsführer André Kremer hat sich seit 2004 den erneuerbaren Energien verschrieben. Angeboten werden Servicedienstleistungen für grüne Energie, besonders im Bereich Solar. Die vier Geschäftsbereiche reichen von Planung und Aufbau großer Freiflächen-Solarparks (Utility Scale) bis zur Energieberatung, inklusive eigener Energiemanagement-Software.
Wie ein Nomadenvolk
Etwa 70 Mitarbeiter gibt es am Standort Würzburg, rund 200 im energy-solutions-Konzern. Besonders im Bereich der Freiflächen-Solarparks lösen die Würzburger Probleme. „Im Projektbereich ist man immer so eine Art Nomadenvolk“, schmunzelt Kremer. Ständig wechselnde politische Rahmenbedingungen im Ausland machen langfristige Prognosen jedoch extrem schwierig: „Selbst fünf Jahre in der Welt der Erneuerbaren Energien sind schon eine unglaublich lange Zeit“, erklärt er.
Energieverbrauch wird transparent
Hinzu kommen Veränderungen aufgrund der Digitalisierung. Kremer glaubt an einen höheren Automatisierungsgrad und eine Standardisierung lästiger Prozesse. „Das bedeutet aber auch, dass Individualität und Flexibilität zu Teilen auf der Strecke bleiben“, befürchtet der Geschäftsführer. Und damit ein Teil der Kernkompetenz von Gildemeister.
Neue Ansätze sollen dem entgegenwirken: Die Stuttgarter Tochtergesellschaft Gildemeister energy efficiency GmbH entwickelt eine eigene Energiemanagement-Software. Sie soll Energieverbrauch transparenter machen und dem Kunden bei der Einsparung von Energiekosten helfen.
„Es wird schneller gehen“
Datenauswertung und Beratung finden dennoch persönlich statt. Gildemeister nutzt mit der neuen Software die Vorzüge der Digitalisierung: „Es wird schneller gehen, ist fehlerfrei und bietet Optionen für neue Geschäftsfelder. Nicht persönlicher, aber ich bekomme mehr Infos und kann anhand dieser deutlich besser beraten“, sagt Kremer.
Die Vorteile der Digitalisierung spürt auch Patrik Streng. Er überwacht fertige Solarparks, wie den in Carlino – via Ferndiagnose, von seinem Bildschirm in Würzburg aus. Von Leistungsprofilen der Solaranlage, bis Live-Cams zur Beurteilung der Wetterlage: „In den letzten Jahren sind es immer mehr Daten geworden. In der Zwischenzeit kann ich beinahe alles von hier abfragen“, erzählt der 32-jährige. An ein Horrorszenario, in dem künstliche Intelligenz die Arbeit komplett übernimmt, glauben weder Kremer noch Streng. Es werde immer eine persönliche Schnittstelle geben, die mit Kunden und Kollegen kommuniziere, hört man von beiden.
Nicht gegen Digitalisierung stemmen
Kremer ist offen für Veränderung: „Natürlich bietet Digitalisierung Chancen und sich diesen zu verschließen, wäre Irrsinn.“ Für die Zukunft möchte er entsprechende Chancen nutzen und neue Geschäftsfelder erschließen.
Für Gildemeister bedeutet das konkret: Dem Vorbild von Unternehmen wie Uber und Airbnb soll nachgeeifert werden. „Die haben weder eigene Fahrzeuge, noch eigene Hotels und zählen trotzdem zu den erfolgreichsten Unternehmen ihrer Branche“, so Kremer.
Wann der Mensch zählt
Auch in Würzburg will man mittelfristig maßgeschneiderte Lösungen anbieten: Energie soll als Service verkauft werden, nicht als Produkt aus der Steckdose. Kurzfristig beschäftigt den Servicedienstleister jedoch vor allem der Fachkräftemangel. Und so lautet Kremers Devise auch in Zeiten der Digitalisierung: „Das Einfache geht digital. Doch das richtig Gute, das geht nur mit eigenem Denken.“
Wie es bei Brose läuft
Tradition und Innovation – diese beiden Werte verbindet der Coburger Automobilzulieferer Brose miteinander. Die Digitalisierung macht die Arbeit komplexer. Doch im Würzburger Werk steht im Vordergrund, den Überblick zu behalten und trotzdem mit der Zeit zu gehen.
Der Betrieb in der Ohmstraße ist das größte von acht Brose-Elektromotorenwerken weltweit. Mittlerweile verlassen täglich rund 100 000 Elektromotoren das Werk. „Mit dem Kupferdraht, den wir hier jährlich verarbeiten, könnte man 65 Mal den Globus umrunden“, beschreibt Werksleiter Bernd Kaufer. Mit 1800 Beschäftigten gehört der Standort zu den größten Arbeitgebern in Würzburg.
Dabei ist es keine Selbstverständlichkeit, dass die Produktion in Deutschland stattfindet. „Mit den niedrigen Lohnkosten in der Slowakei oder Mexiko können wir natürlich nicht mithalten“, gibt Kaufer zu. Den entscheidenden Faktor in Sachen Wettbewerbsfähigkeit liefere die Automatisierung am Standort: Das Würzburger Werk sei das am höchsten automatisierte Werk in der Unternehmensgruppe.
Neue Produkte und Technologien werden hier erstmals getestet und in Serie gebracht. Wenn alles reibungslos funktioniert, transferiert das Werk die Produktionsverfahren und das gesammelte Wissen an die anderen Motorenstandorte weltweit.
Wenn der Roboter ausfällt
Die Rolle als sogenanntes Leitwerk bringt viel Verantwortung mit sich: Das Telefon klingelt, ein Mitarbeiter aus Mexiko schildert ein Problem mit einer Anlage. Der Roboter ist ausgefallen und niemand weiß, woran es genau liegt.
Früher mussten in einem solchen Fall Ingenieure aus Würzburg zum Standort nach Mexiko reisen, um den Ausfall zu beheben. Mit zehn Stunden Flugzeit ging dabei viel Zeit verloren. Zeit, in der in Mexiko die Anlage stillstand und die Arbeitskräfte in Würzburg fehlten. „Einen Tag Verzug können wir uns heute einfach nicht mehr leisten“, ist sich Kaufer sicher.
Pilotprojekt mit Telematik-Zentrum
Aus diesem Grund gibt es seit 2016 ein Pilotprojekt: Gemeinsam mit dem Zentrum für Telematik (ZfT) in Würzburg arbeitet Brose an einem System für die Fernwartung. Per Headset oder Chat leitet ein Ingenieur von Würzburg aus seinen mexikanischen Kollegen an, um das Problem zu beheben.
Mithilfe von Kameras in der Produktionshalle kann sich der Ingenieur ein Bild der Lage vor Ort verschaffen. Gleichzeitig schaltet er sich über seinen Computer in die Software der defekten Anlage ein und prüft das Programm auf Fehler.
Mitarbeiter lösen Probleme eigenständig
„Funktioniert ein Roboter einmal nicht, liegt es selten an der Mechanik. Meistens wird ein Signal nicht richtig weitergeleitet, was dann zum Stillstand der Anlage führen kann“, erläutert Kaufer.
Durch den Know-how-Transfer in die Ferne werden Brose-Mitarbeiter weltweit befähigt, solche Probleme selbstständig zu lösen. Obwohl die Werke untereinander im Wettbewerb stehen, hat Kaufer keine Angst vor einem Wettbewerbsnachteil: „Die Technik entwickelt sich rasant weiter. Das nächste Problem, für das wir eine Lösung generieren müssen, kommt bestimmt.“
Was der Verband meint
Vor dieser Herausforderung steht nicht nur Brose. Die deutsche Automobilindustrie befindet sich weltweit im Umbruch. „Mechanische Tätigkeiten werden an Bedeutung verlieren, während Tätigkeiten, die Systemverständnis erfordern, immer wichtiger werden“, behauptet Klaus Bräunig, Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA).
Wenn ein Programm mal ausfällt
Gleichzeitig steigt mit der zunehmenden Automatisierung auch die Komplexität der Prozesse: Produktionsanlagen und Software-Programme sind miteinander vernetzt. Fällt ein Programm aus, kommt im schlimmsten Fall die ganze Produktion zum Stillstand – in der Automobilbranche mit getakteten Lieferzeiten und anspruchsvollen Kunden bedeutet das einen großen wirtschaftlichen Verlust.
Dieses Risiko werde in Kauf genommen. Wer nicht mit der Zukunft gehe, sei auf Dauer nicht wettbewerbsfähig, so VDA-Chef Bräunig. Auch Werkleiter Kaufer weiß: „Der digitale Wandel lässt sich nicht aufhalten.“
Wartung aus der Ferne
Neben Brose und Gildemeister findet das Thema Fernwartung auch in anderen mainfränkischen Unternehmen Niederschlag. So nutzt etwa der Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer seit Anfang 2017 Datenbrillen, um Techniker vor Ort von Würzburg aus via Internetverbindung bei Reparaturen zu unterstützen. Auch können die Würzburger über eine Chatfunktion direkt mit Kunden in aller Welt in Verbindung treten, um zum Beispiel Probleme bei Maschinen zu besprechen.
Auch der Solarpark-Anbieter Belectric in Kolitzheim (Lkr. Schweinfurt) kann sich digital in Anlagen in aller Welt einklinken, um Störungen zu beheben. Das junge Unternehmen Mirasoft in Neuendorf (Lkr. Main-Spessart) indes setzt auf eine selbst entwickelte Cloud-Lösung.
Mit ihr können Kunden Prozessdaten von entfernt stehenden Maschinen live auf den Bildschirm holen oder die Geräte aus der Ferne bedienen. (aug)