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LKR Bad Kissingen
Arbeit finden: extrem schwierig
1300 geflüchtete Ukrainer leben inzwischen im Landkreis Bad Kissingen. Viele von ihnen richten sich ein und wollen selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Doch das ist teilweise mit großen Hürden verbunden.
Oksana und Serhii Razkevych vor der Bad Kissinger Arbeitsagentur. Die Ukrainer haben unterschiedliche Erfahrungen mit dem deutschen Arbeitsmarkt.       -  Oksana und Serhii Razkevych vor der Bad Kissinger Arbeitsagentur. Die Ukrainer haben unterschiedliche Erfahrungen mit dem deutschen Arbeitsmarkt.
Foto: Steffen Standke | Oksana und Serhii Razkevych vor der Bad Kissinger Arbeitsagentur. Die Ukrainer haben unterschiedliche Erfahrungen mit dem deutschen Arbeitsmarkt.
Steffen Standke
 |  aktualisiert: 02.09.2022 17:17 Uhr

Oksana Razkevych hat Glück gehabt. Die 45-Jährige aus der Großstadt Browary östlich von Kiew unterrichtet seit Ende April eine Willkommens-Klasse an der Garitzer Grundschule. Ihren Mann Serhii, einem Rechtsanwalt, gelang dieser Sprung auf den Arbeitsmarkt noch nicht. Kein Einzelfall unter den ukrainischen Flüchtlingen im Landkreis Bad Kissingen.

Seit 9. März, also zwei Wochen nach dem russischen Überfall auf das Nachbarland am 24. Februar, lebt das Ehepaar mit seinen drei Kindern schon in Bad Kissingen. "Wir wollen beide arbeiten", sagen Oksana und Serhii.

Die Grundschullehrerin ergriff die Initiative, ging zum Rektor der Garitzer Schule. Auch meldete sie sich auf den Aufruf des Staates an ukrainische Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland. Die 45-Jährige hätte auch in Bad Neustadt anfangen können, entschied sich aber für Garitz.

Keine Beschäftigung als Rechtsanwalt

Ihr Mann hat es ungleich schwerer, obwohl er als Anwalt hochspezialisiert ist. Doch sein Wissen um die ukrainischen Gesetze ist in Deutschland nichts wert. Serhii Razkevychs Kanzlei in Kiew besteht zwar noch; von insgesamt sechs Mitarbeitern sind noch drei da. Der 46-Jährige könnte vielleicht online mitwirken. Aber erstens fehlen der Anwaltskanzlei in Kriegszeiten die Aufträge und zweitens würde sein Einkommen wohl kaum den deutschen Sozialhilfesatz übersteigen. Also blieb Serhii bisher in Deutschland ohne Arbeit.

Ihre Chance für den Arbeitsmarkt sehen er und seine Frau, die des Englischen recht gut mächtig sind, in einem Deutsch-Sprachkurs. Dann könnte Serhii Razkevych vielleicht zum Steuerberater umschulen; zwei Jahre dauert das. Aber auch Oksana muss sich Gedanken machen. Ihre Stelle an der Grundschule läuft Ende Juli aus. Sie weiß nicht, ob sie ins neue Schuljahr verlängert wird. Beide sehen eher einen Sinn darin, besser deutsch zu lernen und sich weiterbilden oder umschulen zu lassen, als irgendeinen Job als Putzkraft oder in der Gastronomie anzunehmen. Das Problem: Die Konkurrenz bei den angebotenen Kursen ist groß; die Wartezeit auf Plätze lang.

So wie die Razkevychs denken viele der nach dem 24. Februar aus der Ukraine Geflüchteten, sagt Ganna Kravchenko, die schon länger in Deutschland lebt. Etwa 60 Prozent der in den Landkreis Gekommenen gehörten zur sogenannten Intelligenz, hätten ein Studium absolviert, seien als Lehrer, Ärzte, Zahnärzte oder auch Manager tätig gewesen. "Sie sehen ihren Weg über einen Deutsch-Sprachkurs in den Beruf", sagt sie.

Geschätzt ein Viertel sei vor dem Krieg Fabrikarbeiter oder Ähnliches gewesen. Und weitere 20 Prozent hätten in ihrem Heimatland ihr Geld als Selbstständige verdient. "Sie spielen gerade im Kopf Modelle durch, was sie selbstständig hier vor Ort machen können."

Sprachbarriere verhinderte Anstellung

Kravchenko berichtet von zwei Friseurinnen, die sich bei einem Bad Kissinger Geschäft beworben hatten. Leider wurden sie wegen fehlender Sprachkenntnisse nicht genommen. Jetzt wollen sie mit staatlicher Hilfe eine Unternehmung starten, in der sie Dienstleistungen aus den Bereichen Beauty, Frisieren, Massage und Nageldesign zusammenführen.

Wo Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer und Arbeitsagentur die geflüchteten Ukrainer auf dem Arbeitsmarkt sehen, lesen Sie auf 850 000 Menschen haben die Ukraine seit Kriegsbeginn am 24. Februar Richtung Deutschland verlassen; 14 000 davon leben nun in Unterfranken, berichtet Isabel Schauz, Referentin für Fachkräftesicherung bei der Industrie- und Handelskammer in Würzburg unter anderem mit Bezug auf Zahlen des Innenministeriums in Berlin. Etwa ein Drittel - also 5000 - könnten von ihrem Aufenthaltsstatus her in eine Beschäftigung starten.

Die meisten der Geflüchteten sind Frauen mit Nachwuchs. Deswegen stellt sich laut Schauz die Hürde der Kinderbetreuung. Aber auch deutsche Sprachkenntnisse seien wichtig. Mit dem Englisch, das viele Ukrainer beherrschten, könne man in die IT-Branche einsteigen. auch Betriebe, in denen ukrainisch oder russisch gesprochen würde, böten Chancen.

Ansonsten sind gewisse Deutschkenntnisse Voraussetzung dafür, eine eventuelle Ausbildung zu beginnen. Dann dauere es zwei bis drei Jahre, bis die Ukrainer dem deutschen Arbeitsmarkt voll zur Verfügung stehen würden. "Die, die hier sind, können den Fachkräftemangel nicht sofort decken." Chancen für die Flüchtlinge sieht die IHK-Referentin in Branchen, wo die Sprachkenntnisse keine so bedeutende Rolle spielen, wie der Gastronomie.

Noch inoffizielle Wege zur Arbeit

Die Handwerkskammer für Unterfranken hat extra eine Mitarbeiterin abgestellt, die Anlaufpunkt für ukrainische Arbeitswillige sein soll, berichtet Pressesprecher Daniel Röper. Schließlich herrscht auch und gerade im Handwerk Fachkräftemangel . Allerdings, so sagt er, "ist die Mitarbeiterin nicht sehr ausgelastet."

Das liege daran, dass die geflüchteten Ukrainer noch oft außerhalb offizieller Wege Beschäftigung suchen würden. Dabei nutzten sie meist Kontakte zu schon länger hier lebenden Landsleuten oder auch die Netzwerke Ehrenamtlicher, die sie schon bei der Ankunft in ihrer neuen Heimat halfen.

Nun müsse man sich die Qualifikationen jedes Einzelnen genauer anschauen und prüfen, wie das mit den Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt zusammenpasst. Als Problem sieht Röper, dass mit der Flucht häufig Nachweise über berufliche Qualifikationen verloren gegangen sind.

Dass die Ukrainer den akuten Fachkräftemangel sofort beheben, sieht auch der HWK-Sprecher wegen fehlender Deutsch-Kenntnisse und noch zu absolvierender Ausbildungen nicht.

Die für den Bereich Main-Rhön und damit den Landkreis Bad Kissingen zuständige Arbeitsagentur in Schweinfurt sieht sich derzeit einer wahren Flut an Anträgen ausgesetzt. Sprecherin Tanja Neppe nennt die Zahl von 1500, die bearbeitet werden müssten. Denn zum 1. Juni wechselte die Zuständigkeit für die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer von den Kommunen auf die Jobcenter über. Sie werden nun nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern nach dem Sozialgesetzbuch II (umgangssprachlich: Hartz IV) bezahlt.

"Man kann davon ausgehen, dass die meisten gut ausgebildet sind", sagt Neppe. Viele kämen mit akademischen Abschlüssen.

Dennoch vermittelt auch die Frau von der Arbeitsagentur den Eindruck, dass es dauern wird, bis ihre Behörde an die Vermittlung von Ukrainern in freie Stellen gehen kann. Denn der Antragstellung würden Erstgespräche folgen. Themen wären dabei sicher die Anerkennung von Berufsabschlüssen, das Sprachniveau und die Deutschkenntnisse sowie die Betreuung der Kinder.

Zwei Prozent haben eingestellt

Eine deutschlandweite Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg belege, dass zwei Prozent der Unternehmen schon ukrainische Geflüchtete aufgenommen haben. Neun Prozent standen mit welchen in Kontakt.

Vor allem die Gastronomie, aber das Verarbeitende Gewerbe sowie die Bauwirtschaft sehen demnach gute Voraussetzungen, Ukrainer zu beschäftigen. Aber auch der Sozialbereich suchte Beschäftigte. Auf den Agenturbezirk Schweinfurt oder gar Bad Kissingen heruntergebrochene Zahlen sind laut Neppe in der Studie nicht erhoben worden.

 
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