Corona hin oder her, ein wichtiges Thema bleibt: Unternehmensnachfolge. Die Frage, wie es gerade mit einem inhabergeführten Betrieb mittelfristig weitergeht, ist eine der drängendsten in der mainfränkischen Wirtschaft. So schätzt die Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt, dass bis 2035 rund 6000 der 66 000 bei ihr gemeldeten Unternehmen verschwinden werden, weil vor dem Wechsel des Chefs in die Rente kein Nachfolger gefunden wurde.
Dem Catering-Unternehmen von Farroch Radjeh in Reichenberg (Lkr. Würzburg) wird das wohl nicht passieren. Der gebürtige Iraner ist ein Beispiel dafür, wie die Nachfolge im Unternehmen schon sehr früh, mit Bauchgefühl und vor allem mit starker Bindung an die eigene Familie gelingen kann. Große Fragezeichen bleiben dennoch.
Hoffnung auf Tochter Helena Radjeh gesetzt
Radjeh hat drei Kinder. Drei naheliegende Möglichkeiten also, die Firma in andere, aber vertraute Hände zu geben. Doch Radjehs Sohn und eine Tochter winkten schon früh ab. Blieb dem 65-jährigen Unternehmer die Hoffnung auf Tochter Helena.
Heute ist Helena Radjeh nach Jahren der Einarbeitung Prokuristin, also ganz nah dran an der Spitze. Bald wird sie vom Vater die Geschäftsführung des bundesweit tätigen Betriebes mit seinen 38 Mitarbeitern übernehmen. Und ihr Mann Tobias Radjeh rückt dann als Prokurist nach.
"Ich mache vieles intuitiv", sagt der quirlige Firmengründer Farroch Radjeh über sich. So sei das auch bei der Frage gelaufen, wer ihm einmal nachfolgen wird. Bei ihm sei es von Anfang an eine Mischung aus Bauchgefühl, Ahnung und Vision gewesen. Und das sehr früh: Als er sich 2000 aus seiner Tätigkeit für einen Catering-Ableger des Würzburger Lebensmittelshändlers Kupsch heraus selbstständig machte, ließ er Tochter Helena schon im Firmenalltag helfen.
Wie Helena Radjeh bei FR Catering Fuß fasste
15 Jahre alt war sie damals, ging auf die Realschule und jobbte bei FR Catering nebenher. Schon damals habe sie die stilvolle und pünktliche Versorgung großer Menschenmengen mit Speisen und Getränken spannend gefunden, erinnert sich Helena Radjeh. So sei sie immer offener geworden für das Catering-Geschäft ihres Vaters: "Vielleicht war es ja auch eine Träumerei."
War es offenbar nicht: Die heute 35-Jährige habe in all den Jahren nie Zweifel daran gelassen, dass sie sein Unternehmen einmal übernimmt, sagt Farroch Radjeh. Umwege gehörten dazu: "Für mich war immer wichtig, dass Helena eine kaufmännische Ausbildung macht." Also machte Helena Radjeh nach der Schule eine Lehre im Daimler-Konzern und war danach zunächst bei einer Eventagentur beschäftigt, bevor sie 2011 einen Job bei FR Catering annahm.
Er habe sie damals bewusst an der kurzen Leine gehalten, um bloß keine Vorrangstellung gegenüber dem Rest der Belegschaft zu signalisieren, sagt Radjeh. Im Gegenteil: Seine Tochter habe bei Catering-Terminen länger als andere den "Aschenbecher-Service" verrichten müssen.
Das Wegräumen der kalten Kippen der Gäste mündete in einen Vier-Stufen-Plan des Vaters: Helena wechselte in gewissen Etappen die Rollen, wurde von der Auszubildenden zur Mitarbeiterin, dann zur geschäftlichen Partnerin und schließlich zum Mitglied im Familienbeirat.
Und dann kam plötzlich der Schwiegersohn in spe
Den auf mehrere Jahre angelegten Plan habe er eines Tages in der Fachliteratur gefunden, sagt Farroch Radjeh. Denn Bauchgefühl hin oder her, der Plan sei bei der geordneten Begleitung seiner Tochter hilfreich gewesen: "Unternehmensnachfolge ist ein ewiger Prozess."
Ein Prozess mit manchen Unwägbarkeiten, wie der Unternehmer 2011 erlebte. Damals trat Tobias in das Leben seiner Tochter, die beiden wurden ein Paar - und in Farroch Radjeh kam nach eigenen Worten etwas hoch, was wohl viele Väter kennen: das mulmige Gefühl, die Tochter an einen anderen Mann loslassen zu müssen.
Erst nach fünf Jahren habe er Tobias das Du angeboten, erinnert sich Farroch Radjeh schmunzelnd an seine innere Zerrissenheit damals. Doch sein späterer Schwiegersohn hatte letztendlich einen guten Stand, weil er als gelernter Hotelfachmann schon 2008 als Veranstaltungsleiter zu FR Catering gekommen war.
Für den 34-Jährigen ist klar, dass der enge Zusammenhalt der Radjeh-Familie die tragende Säule ist mit Blick auf die Zukunft des Unternehmens. Auch und gerade in der heiklen Corona-Zeit, die den Jahresumsatz von zuletzt 6,4 Millionen Euro in den Keller gezogen hat.
FR Catering einigermaßen auf Kurs zu halten, dazu will Helena Radjeh mit einem eigenen Unternehmenszweig beitragen. Sie beliefert Schulen und Kindertageseinrichtungen in der Region mit Bio-Essen. Ihr Ehemann Tobias wiederum ist als Chef einer FR-Tochtergesellschaft ins klassische Kantinengeschäft eingestiegen.
Zwei neue Firmenstandbeine, die FR-Gründer Radjeh vor fünf Jahren noch abgelehnt hätte, wie er heute sagt. Aber dann habe er eingesehen, dass die eigenen Wege von Tochter und Schwiegersohn wichtige Schritte der Nachfolge sein können. "Macht es", sei schließlich die Ansage gewesen. Mittlerweile ist der Jahresumsatz des Caterings für Schulen und Kitas auf 360 000 Euro angesetzt, der des Kantinengeschäfts auf 1,5 Millionen Euro.
Wenn er am 1. Juni offiziell Rentner wird, dann ändere sich für ihn nichts Fundamentales, sagt Farroch Radjeh. Schließlich sei sein Rückzug aus der Verantwortung nicht neu. Gesellschafter von FR Catering ist er seit Jahren nicht mehr, sondern "nur" noch Geschäftsführer - als Angestellter eines Unternehmens, dessen Anteile nun je zur Hälfte seiner Frau Ute und seiner Tochter Helena gehören.
Mittlerweile würden auch andere Unternehmer bei FR Catering anfrage, um zu erfahren, wie Unternehmensnachfolge klappen kann, sagt Helena Radjeh. Farroch Radjeh wird dann wohl an seinen Trumpf denken. Hätte es seine Tochter nicht gegeben, sei für ihn schon früh klar gewesen: FR Catering wird irgendwann einmal verkauft.
Dieser Beitrag ist Auftakt einer zweiteiligen Serie über Unternehmensnachfolge in Mainfranken. Nächste Folge: Wie in Bad Neustadt eine Stiftung die Zukunft eines Kaufhauses sichert.