Noch stapeln sich am Hof der Wernecker Brauerei die Kästen, die vollen in der Halle, die leeren unter freiem Himmel. Das letzte Bier wurde gebraut, bis Ende September wird noch verkauft. Dann ist Schluss, dann wird der Betrieb nach Jahrhunderten eingestellt. Weil Corona die wirtschaftlichen Perspektiven zerstörte. Weil die Familie Lang, die hier in der fünften und sechsten Generation arbeitet, gemeinsam beschloss, diese Entscheidung zu treffen, solange sie kann und nicht muss.
Das emotionale Facebook-Video von Christine Lang, Junior-Chefin und Prokuristin der Wernecker Brauerei, erregte weltweit Aufmerksamkeit. Ihr verlesener Abschiedsbrief vom 24. März an "ihre Brauerei" zeigte, wie sehr ihr und ihrer Familie die Schließung zu Herzen geht.
"Über 200 000 Mal wurde das Video gesehen", weiß ihr Vater Hans Jörg Lang, Alleininhaber der Brauerei. Das Medieninteresse war nicht nur bundesweit riesig: Auch die New York Times hat darüber berichtet. Selbst das australische und das russische Fernsehen wurden aufmerksam. Weil deutlich wurde, was Corona auslösen kann.
Unzählige Mails, Telefonanrufe oder Facebook-Posts gingen voller Betroffenheit ein, viele Firmen erzählten den Langs ihre eigene Geschichte. "Das waren so viele Emotionen, das packt einen", gibt Hans Jörg Lang zu. "Man fühlt sich auch verstanden."
Es habe aber auch bösartige Kommentare gegeben, wie seine Tochter erzählt: Die Brauerei müsse doch ein finanzielles Polster haben, das solle sie halt angreifen. Oder: "Alle" hätten gewusst, dass die Brauerei geschlossen werden sollte. "Wir haben es nicht gewusst", unterstreicht die 28-Jährige.
Anfang des Jahres wurde noch kräftig investiert
Zum Beweis zählt sie auf: Anfang des Jahres wurden erst ein neuer Lkw gekauft, für eine fünfstellige Summe neues Leergut angeschafft, 60 neue Bierzelt-Garnituren besorgt und die Planungen für ein neues Sudhaus, Kostenpunkt etwa eine Million Euro, vorangetrieben. Ihre Sorge galt vor allem den 15 festen Mitarbeitern und zehn Aushilfskräften: Würden sie glauben, was da unterstellt wurde?
Dass die einstimmige Familien-Entscheidung zur Schließung in relativ kurzer Zeit fiel, etwa binnen zwei Wochen zu Beginn des Corona-Lockdowns, bestätigt ihr Vater. Die Entscheidungsfindung war allerdings "eine emotionale Katastrophe", gesteht er. "Jetzt geht es mir von Tag zu Tag besser, ich fühle mich jetzt" – er sucht nach dem richtigen Wort – "erleichtert".
Gemeinsam mit Frau Sabine, Tochter Christine und Sohn Andreas hatte er im März die Situation analysiert: Wegen Corona würden Feste ausfallen, vermutlich auf lange Sicht. Auch die Gastronomie leide. Wenn diese wichtigsten Standbeine der Brauerei wegbrechen, gebe es keine Perspektive.
Die Situation der kleinen und mittelständischen Brauereien sei sowieso extrem problematisch: Der Preisdruck durch die großen "Fernsehbiere", dazu "das Einkaufsverhalten und die Marktmacht der Einzelhandelskonzerne wie Edeka", sagt Lang. Dann noch die vor 15 Jahren eingeführte Biersteuer-Mengenstaffel, ergänzt seine Tochter, die gerade die kleinen Brauereien treffe.
"Wir haben uns ab 2016 neu positioniert, Ideen und Kampfgeist waren da", blickt Hans Jörg Lang auf positive Jahre zurück. Davor allerdings musste er "eine Durststrecke" aus seinen privaten Rücklagen überbrücken. "Die Brauerei war ein Zuschussgeschäft."
All diese Jahre hatten ihn viel Kraft gekostet. Für den erneuten und verstärkten Kampf war die Familie "zu müde", wie Christine Lang sagt. "Nur für die Tradition und die Identitätsstiftung für Werneck weiterzumachen? Darf das der Grund sein, an persönliche und wirtschaftliche Grenzen zu stoßen?", fragt sie. Die Antwort haben die Langs bereits gegeben.
Jetzt sind Vater und Tochter dabei, die Firma abzuwickeln. Die Markenrechte und Rezepte für ihre "Frankonia"-Biere haben sie an die Kauzen-Brauerei Ochsenfurt verkauft. Auf den neuen Etiketten wird noch ihr Logo, der Lindwurm, an den früheren Brauereinamen der Familie Wurm seit 1861 – Hans Jörgs Langs Mutter Charlotte war eine geborene Wurm – erinnern.
Für den coffeinhaltigen Muntermacher "Das Fränkische Energy" erhielt die Zeiler Brauerei Göller den Zuschlag. "Es sind Familienbrauereien wie wir. Und in der Region zuhause. Das war uns wichtig", sagt die Prokuristin. "Unser Appell an alle unsere Kunden bleibt weiterhin: Kauft regional!"
Die Gär- und Lagertanks sind nach Berlin verkauft
Schritt für Schritt werden jetzt zuerst die großen Anlagen veräußert, dann die kleinen. Die Gär- und Lagertanks aus Edelstahl kommen nach Berlin in eine Öko-Brauerei, die Filtrieranlage in die Starnberger Brauerei.
Die Flaschenabfüllung war schon vor vielen Jahren verkauft worden, abgefüllt wurde zuletzt in Zeil. Ab September muss das gesamte Inventar raus, Lkw, Leergut, Biertische und -bänke, Gläser und Krüge.
Den Mitarbeitern musste gekündigt werden, die allermeisten haben bereits neue Arbeitsplätze, auch der Auszubildende ist untergebracht. "Die Firma Mainfrucht in Gochsheim hat sich wegen unserer Brauer gemeldet", freut sich Lang. "Sie werden geschätzt, weil sie sauber arbeiten."
Bis Ende September läuft der samstägliche Werksverkauf weiter. Der Umsatz hat sich verdreifacht, was die Brauereifamilie zwar freut, aber auch die Frage aufwirft: Wo haben die Kunden denn bisher gekauft?
Was mit den Gebäuden und dem Brauereigelände mitten im Altort von Werneck geschieht, werde man sehen, so der Inhaber. Das Gelände solle nicht brach liegen bleiben und natürlich könne man sich dort auch Wohnungen vorstellen. "Aber alles nach und nach."
Bis Mitte 2021 sollen die meisten Liquidierungsarbeiten erledigt sein. Während sich die beiden jungen Langs beruflich neu orientieren werden, will sich ihr 59-Jähriger Vater um die Verwaltung der fünf brauereieigenen Gaststätten kümmern. Dazu zählt auch gleich nebenan der alteingesessene Brauereigasthof, der, entgegen mancher Gerüchte, nicht geschlossen wird. "Der Pächter will weiter verlängern."