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RAESFELD/BAD KISSINGEN
Erdkabel statt Strommasten: Gute Idee?
SuedLink und Co.: Die geplanten Strom-Großmasten sorgen auch in Unterfranken für Gegenwind. Nun fragt man sich: Sind Erdkabel doch eine gute Lösung?
Verlauf der Strommagistrale nach Grafenrheinfeld soll zu Jahresbeginn feststehen       -  Ein Kernstück der deutschen Energiewende ist der Ausbau der Stromnetze. Drei große Strommagistralen sollen die Elektrizität von der Nordseeküste in den Süden transportieren. Die größte von ihnen, der so genannte „SuedLink“ endet in Grafenrheinfeld, von wo aus der Strom ins restliche Bayern und nach Baden-Württemberg weitergeleitet werden soll.
Foto: SymbolJürgen Lösel/dpa | Ein Kernstück der deutschen Energiewende ist der Ausbau der Stromnetze. Drei große Strommagistralen sollen die Elektrizität von der Nordseeküste in den Süden transportieren.
dpa/aug
 |  aktualisiert: 16.08.2021 16:45 Uhr
Massenhaft neue 70-Meter-Strommasten für die Energiewende - das erzürnt viele Anwohner. Seit vielen Wochen bringt zum Beispiel die als SuedLink bezeichnete Trasse von Norddeutschland nach Grafenrheinfeld (Kreis Schweinfurt) Menschen im Raum Rhön/Bad Kissingen/Schweinfurt auf die Barrikaden. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Betreiber Tennet Varianten für den Masten-Korridor in der Schublade hat.

In Bürgerversammlungen zu Netzausbauprojekten werden deshalb immer häufiger Erdkabel statt Überlandleitungen verlangt. Sie sind zwar deutlich teurer, sollen aber die Angst vor Elektro-Smog nehmen und die freie Sicht auf Wald und Felder sichern. Auch die Bundesnetzagentur als oberste Regulierungsbehörde hofft so auf mehr Akzeptanz bei den Bürgern. Dabei sind Erdkabel in der Großanwendung technologisch noch Neuland, wie sich an Deutschlands erster Höchstspannungs-Erdkabel-Baustelle des Netzbetreibers Amprion in Raesfeld am Niederrhein beobachten lässt.

«Das Kabel löst nicht alle Probleme», sagt der technische Geschäftsführer von Amprion, Klaus Kleinekorte, im Baucontainer an der Strecke. «Für lokale Planungskonflikte ist das Kabel eine Antwort, aber gewiss nicht der Königsweg für den Netzausbau», sagt der Leiter für Bau und Betrieb, Ludger Meier.

Raesfeld ist ein kleiner Ort im Münsterland - 11.000 Menschen wohnen insgesamt in der Gemeinde. Auf den Feldern steht im Frühherbst der Mais noch meterhoch.

Hier verlegt Amprion 3,4 Kilometer Kabel der höchsten Spannung von 380 Kilovolt in zwölf Rohren zwei Meter tief in den Boden. Durch die Röhren sollen künftig rund 3,5 Gigawatt Windstrom von der Nordsee fließen - Strom für mehr als drei Millionen Menschen.

Die örtliche Bürgerinitiative hat lange für die Verkabelung gekämpft und freut sich, dass der Gemeinde «Stahlkolosse» für Überlandleitungen erspart bleiben. Geringerer Geländeverbrauch, keine Leitungsgeräusche, kein Wertverlust der Häuser an der Strecke und vor allem keine Kopfschmerzen und Schlafstörungen durch Elektro-Smog, jubelt die «Initiative Pro Erdkabel NRW». In der dünn besiedelten Gegend sollte man relativ freie Bahn für das Kabelprojekt erwarten. Doch die wichtigste Bundesstraße der Gemeinde, die B 70, durfte Amprion für die Verlegung nicht aufreißen, damit der Verkehr weiter fließen kann.

Deshalb wird die Straße aufwendig unterirdisch gequert - das kostet viel Geld und Zeit. Tief buddeln muss Amprion auch ein Stück weiter, wo die Trasse den Bach Nesse trifft.

In dichter besiedelten Gegenden mit mehr Gasleitungen, Straßen, Flüssen und Abwasserkanälen wären die Kosten sicher noch deutlich höher, sagt Kleinekorte. In Raesfeld rechnet Amprion mit rund 30 Millionen Euro für die 3,4 Kilometer - sieben bis acht Mal so viel wie für eine vergleichbare Überlandleitung.

Ein technisches Problem ist die Wärmeentwicklung: Am Kabel selbst sind es 35 Grad, wenn Einzelstränge abgeschaltet werden müssen, kann die Temperatur auf bis zu 50 Grad steigen. Zur Wärmeabfuhr werden die Kabel in Flüssigerde mit Erdaushub und Zementanteil eingebettet.

Hier kämpfen die Ingenieure mit den wechselnden Bodenqualitäten im Münsterland. Die Bauern der Umgebung beobachten die Arbeiten mit Argusaugen, erzählen die Amprion-Leute, denn der Boden ist ihr Kapital.

Mit einem wissenschaftlichen Begleitprojekt und zahllosen Temperaturfühlern im Boden lässt der Netzbetreiber überprüfen, ob durch die Wärme womöglich die Ernte leiden könnte, wenn über den Kabelrohren wieder Getreide wächst.

Derzeit erwartet Amprion das aber nicht. Die Ingenieure haben ganz andere Sorgen: Wenn die Erdkabel einmal kaputt gehen sollten, wäre eine Reparatur wesentlich aufwendiger und würde länger dauern als bei Überlandleitungen, die oft schon nach wenigen Stunden wieder zugeschaltet können.

Alles in allem rechnet der Netzbetreiber im Bundesschnitt, dass sich nur rund ein Zehntel der geplanten neuen Stromleitungen für Erdkabel eignen, sagt Kleinekorte. «Wir wissen heute noch nicht, ob und wie sehr wir die Zuverlässigkeit des Übertragungsnetzes damit schwächen.»

Deshalb fürchten die Netzbetreiber wachsende Begehrlichkeiten nach den Erdkabeln überall dort, wo Bürgerinitiativen nicht locker lassen und es keine Einigung über Streckenverläufe gibt. «Wenn die Öffentlichkeit deutlich mehr Erdkabel verlangt, muss auch klar sein, dass es dann schwierig wird, die Stabilität des Netzes zu garantieren», sagt Kleinekorte.
 
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