Die Mitglieder des ersten Würzburger Rauchvereins werden wohl zu Ehren Helmut Schmidts zunächst mal eine qualmen. Möglich, dass sie im Vereinslokal „Mainbäck“ nahe der Alten Mainbrücke auch Reinhardt Meys Lied „Gute Nacht, Freunde“ auflegen, in dem es passenderweise heißt: „Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh'n.“
Das würde Schmidt gefallen. Und vielleicht liest einer von ihnen – am ehesten Vorstandsmitglied Frank Dotterweich – dann noch einmal den Brief Helmut Schmidts an den Würzburger Verein vom April 2008 vor, der eine spaßige Vorgeschichte hat.
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Damals schlug das frisch erlassene Rauchverbot nicht nur in Bayern Wellen. Helmut Schmidt musste sich heftige Vorwürfe gefallen lassen, weil er bei einem Auftritt im Thalia-Theater in Hamburg nicht von den Menthol-Zigaretten lassen konnte. Da solidarisierte sich der kurz zuvor gegründete Würzburger Verein öffentlich mit ihm und trug dem Ersten Raucher der Republik und seiner Frau Loki die Ehrenmitgliedschaft an. „Unsere 350 Mitglieder würden sich jederzeit mit ihm einen Aschenbecher teilen“, erklärte Vorstandsmitglied Roland Gaitzsch damals dieser Zeitung.
„Schließlich ist der Altkanzler eine Symbolfigur für die Kultur des Rauchens.“ Der Pflege dieses Kulturgutes habe sich auch der eingetragene Verein laut Satzung verschrieben.
In einem Antwortschreiben, das der Verein kurz darauf erhielt, bewies der Bundeskanzler a. D., dass er um seine Vorbildfunktion wusste, und immer noch den richtigen Ton traf. Der damals 89-Jährige dankte für „Ihre freundlichen Zeilen zum Rauchen sowie das in Ihrem Brief zum Ausdruck gekommene Zeichen der Sympathie“. Dies habe ihn „sehr gefreut“, schrieb der Altbundeskanzler nach Würzburg.
Doch so sehr sich zwischen den Zeilen die Freude über „Ihre freundliche Anfrage“ herauslesen lässt, so sehr „bitte ich Sie um Verständnis, dass meine Frau und ich dafür nicht zur Verfügung stehen können“, formuliert Helmut Schmidt in dem handschriftlich gezeichneten Brief. Seitdem hängt Schmidts Bild im Vereinslokal an einem Ehrenplatz.
Es sind nicht die einzigen Spuren, die Schmidt in Unterfranken hinterlassen hat – auch wenn die Verbindung des Hanseaten nicht ganz so innig war, wie die seines Nachfolgers Helmut Kohl. 1961 besuchte der junge Bundestagsabgeordnete und Wehrexperte die Bundeswehreinheiten in Hammelburg und hielt dann in Schweinfurt eine Rede in der Stadthalle. Diese Zeitung vermerkte, er „gehört zur nicht sehr starken Junioren-Mannschaft des Bundestages und gilt als glänzender Redner“. Und schon 1965 erklärte Schmidt bei einem Besuch im Würzburger Hofkeller: „Wir müssen nicht regieren, wir wollen regieren, wir wollen in die Verantwortung!“
Für Aufregung sorgte 1968 der Auftritt des mittlerweile zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden aufgestiegenen Schmidt in Schweinfurt: Auf dem SPD-Bezirksparteitag sprach er in Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen in Baden-Württemberg von „Hottentotten-Wahl“, was für mächtig Wirbel sorgte. Schmidt aber dachte nicht daran, zurückzustecken.
Er habe die Bürger nicht kränken wollen, ließ er in einer belehrenden Erklärung wissen: „Hottentotten-Wahlen ist ein historischer Begriff“, schrieb er und erinnerte an Vorgänge von 1907 in den deutschen Kolonien, zu denen die SPD eine Position bezogen hatte, die von den Bürgern in der Heimat mehrheitlich abgelehnt wurde. Die Folge war eine verheerende Niederlage der SPD bei der Wahl im Jahr 1907.
In einem Porträt charakterisierte diese Zeitung 1969 den neuen Verteidigungsminister folgendermaßen: „Seine Schlagfertigkeit in freier Rede, seine mitunter ätzende Schärfe und seine Kritikfreudigkeit an Freund und Feind trugen dem drahtig wirkenden und trotz seines hemdsärmeligen Umgangstones stets peinlich korrekt gekleideten Hanseaten mit dem scharf gescheitelten vollen dunklen Haar schon früh den Spitznamen Schmidt-Schnauze ein.“
Wiederholt war er in Mainfranken, etwa im Wahlkampf 1974, als er vor 6000 Zuhörern auf dem Marktplatz in Würzburg sprach, 1977 als Gastredner auf dem deutschen Handwerkstag oder 1978 zum Mozartfest – da war aus Schmidt-Schnauze längst der Kanzler Schmidt geworden, der international hohe Achtung genoss – und den Wein aus Franken: Zum 60. Geburtstag gab es gute Tropfen aus dem Landkreis Kitzingen.
„Er war ein Mann der klaren Worte“, erinnert sich Walter Kolbow, als Wehrexperte der SPD-Bundestagsfraktion aus Würzburg ein Weggefährte Schmidts seit den 80ern – in Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses und der Friedensbewegung auch manchmal gegen viele der eigenen Genossen. „Ich marschierte an seiner Seite“, sagt der Ex-Hauptmann der Reserve über den kriegsgedienten Oberleutnant, „und in den meisten Fällen vertraten wir die gleichen Überzeugungen“. Aber Kolbow, der später an der Seite Peter Strucks Staatssekretär im Verteidigungsministerium war, erinnert sich auch an den Moment, als er dem Welterklärer Schmidt Paroli bieten musste. „Helmut Schmidt gab sich 2009 die Ehre, die Fraktionssitzung zu leiten, in der Struck und ich aus dem Bundestag verabschiedet wurden“, sagt er.
„Und er nahm – wie immer – kein Blatt vor den Mund und kritisierte den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr.“ Kolbows Aufgabe war es dann, die Kritik aus der Sicht eines aktiv Handelnden „zu relativieren“.
Als Helmut Schmidt vom Stuhl fiel
„Kein Tabak mehr“, mahnte ihn diese Zeitung 1981 – ebenso vergeblich wie zahlreiche andere Kritiker, nachdem Schmidt ein Herzschrittmacher eingesetzt worden war. Kurz darauf fiel der rüstige Noch-Kanzler ausgerechnet in Würzburg vom Stuhl: Inzwischen war er wegen des Nachrüstungsbeschlusses in den eigenen Reihen heftig umstritten. Er reiste aber unverdrossen zum Bezirkstag der fränkischen SPD nach Veitshöchheim, wo es neben Applaus auch Pfiffe gab. Der einheimische Bezirksvorsitzende, der Vizepräsident des Europa-Parlaments Bruno Friedrich, kurierte da gerade einen Herzinfarkt in der Klinik aus, rief aber in einem Brief die Genossen zur Solidarität mit Schmidt auf.
Im Gegenzug eilte der zu Friedrich ans Krankenbett in einer Würzburger Klinik. „Plötzlich brach unter Helmut Schmidt der Stuhl zusammen“, erinnert sich ein Zeitzeuge noch heute schaudernd, „und schon saß der deutsche Bundeskanzler auf seinem Hintern.“ Es mag ein Wink des Schicksals gewesen sein. Aber mehr weh getan hat ihm kurz darauf der Sturz als Bundeskanzler – auf Helmut Schmidt (SPD) folgte Helmut Kohl (CDU).
Es folgte der lange Herbst seines Lebens, in dem der einstige „Journalistenfresser“ zum Herausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ wurde, zum hochgeachteten Staatsmann heranreifte, Raucher blieb und fast Ehrenmitglied des Würzburger Rauchervereins wurde. Ein wenig dieser Welt entrückt wirkte er in dem Dokumentar-Film „Der perfekte Wurf“ von 2014 um den Basketball-Star Dirk Nowitzki: Da sitzt der Altkanzler bei einer Veranstaltung in Frankfurt neben dem Würzburger 2,13-Meter-Riesen und rät ihm ganz altväterlich, nach dem Ende seiner Sportlerkarriere noch einmal etwas Ordentliches zu machen. „Sie sollten vielleicht anfangen zu studieren.“
Und Dirk, der Millionär und Weltsportler, ist viel zu nett und zu verlegen, um den 95-jährigen Weltökonomen aufzuklären. Später wird er auf Anfrage sagen: „Ich habe mich in dem Moment einfach nicht getraut, ihm zu sagen, dass ich nicht vorhabe, noch mal an die Uni zu gehen, und wirklich nur mit einem Ball auf den Korb werfen kann. Also habe ich so getan, als würde ich nebenher ein bisschen BWL studieren, weil ich ihn nicht enttäuschen wollte.“
Ein Rückblick auf Schmidt-Schnauze wäre unvollständig ohne Millimeter-Schmidt: Das war der Spitzname des Würzburger Oberlokomotivführers Otto Schmidt, der den SPD-Politiker im Zug durch mehrere Wahlkämpfe fuhr. Er war auch im Führerstand, wenn Staatsgäste wie der persische Schah auf der Schiene durch Franken fuhren. „Schmidt, Lehrlokführer der Bundesbahn, war von seinen Oberen mit Recht als einer der Besten für den Staatsbesuch ausgesucht worden“, schrieb der „Münchner Merkur“ am 1.
Juni 1967 in einer Reportage – und dann einen prophetischen Satz, der für Schmidt (Würzburg) und Schmidt (Hamburg-Bergedorf) gleichermaßen zugetroffen haben könnte: „Er stoppte den Staats-Sonderzug auf den Zentimeter genau an dem Punkt, wo der rote Läufer den Ausstieg aus dem Salonwagen markierte.“