Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dem verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) ihren „tiefen Respekt vor den Leistungen im Laufe seines langen Lebens“ bezeugt. Als Hamburger Politiker, als Minister verschiedener Bundesregierungen, als Kanzler und schließlich als unabhängiger Geist und Publizist habe er sich um das Land verdient gemacht, sagte die Kanzlerin am Dienstag in Berlin. Merkel sprach Schmidts Lebensgefährtin und seiner Tochter ihr Beileid aus und schilderte ihre erste persönliche Erinnerung als Kind an den damaligen Hamburger Innensenator bei der Bekämpfung der Sturmflut 1962.
Aus der Wertschätzung und dem Respekt der Deutschen für Schmidt sei mit den Jahrzehnten „eine tiefe Zuneigung zu unserem Altbundeskanzler“ geworden, sagte Merkel. Helmut Schmidt sei eine politische Institution der Bundesrepublik und auch für sie persönlich eine Instanz, „einer dessen Rat und Urteil mir etwas bedeuteten“, sagte die Kanzlerin. Schmidts Standfestigkeit habe dem Land geholfen, die Prüfungen des internationalen und des deutschen Terrorismus der 70er Jahre zu bestehen.
Er habe der internationalen Politik wichtige Anstöße gegeben, die bis heute fortwirkten, sagte Merkel. Dazu zähle sein Einsatz für das europäische Währungssystem und eine vertiefte europäische Integration, „eine Forderung, die ihre Gültigkeit nicht verloren hat“. Schmidt sei auch einer der Väter der Gipfeldiplomatie. Vor 40 Jahren habe er mit dem damaligen französischen Präsidenten Valery Giscard d'Estaing zum ersten Weltwirtschaftsgipfel eingeladen.
Bundespräsident Joachim Gauck sagte: „Helmut Schmidt wird uns allen als ein Mensch in Erinnerung bleiben, der in seltener Einheit ein Mann der Tat, des klaren Gedankens und des offenen Wortes war.“ Für SPD-Chef Sigmar Gabriel ist Schmidt „ein wirklich großer Patriot, ein großer Europäer und ein großer Sozialdemokrat“. „Ich glaube, dass sein Vermächtnis Europa ist.“
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte: „Wir Deutschen haben eine Vaterfigur verloren. Wir trauern um einen deutschen Demokraten, einen europäischen Wegbereiter und einen globalen Geist. Helmut Schmidt war ein großer Staatsmann, bis zur letzten Zigarette.“
CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder erinnerte daran, dass Schmidt der letzte Bundeskanzler war, „der den Zweiten Weltkrieg als Soldat miterlebt hat. Diese Erfahrung war für ihn die Motivation, unserem Land zu dienen“.
Die Grünen-Vorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir sagte: „Auch wenn die Grünen gerade in der Gründungsphase in wichtigen Fragen oft auf der anderen Seite der Debatte standen, werden wir Helmut Schmidt, seinen Scharfsinn und seine Freude an der politischen Auseinandersetzung vermissen.“
Genscher äußert sich bestürzt
Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hat sich bestürzt über den Tod von Schmidt geäußert. „Wir wissen, Deutschland ist ärmer geworden, und wir empfinden, er wird uns fehlen – immer wieder“, heißt es in einer Erklärung, die von Genschers Büro verbreitet wurde. „Für mich ist der Tod Helmut Schmidts der Abschied von einem Weggefährten in schwerer Zeit und auch mit einer bitteren Phase, die für mich die menschliche Seite nie berühren konnte.“ Genscher war von 1974 bis 1982 unter Schmidt Außenminister in einer Sozial-Liberalen Koalition. Die FDP wechselte dann zur Union, was für Schmidt das Ende seiner Kanzlerschaft bedeutete.
Zum Nachfolger wurde durch ein konstruktives Misstrauensvotum der damalige CDU-Vorsitzende Helmut Kohl gewählt. Auch Vertreter aus Politik und Kirchen in Bayern trauern um den früheren Bundeskanzler Schmidt. Mit strategischem Geschick und politischer Weitsicht habe Schmidt als Kanzler sicher durch die schwierige Zeit des RAF-Terrorismus und des Kalten Krieges geführt, sagte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) am Dienstag. „Ich verneige mich vor der Lebensleistung von Helmut Schmidt, einem Hanseaten, der Bayern in Sympathie verbunden war.“
Die SPD in Bayern würdigte Schmidt als Jahrhundertpolitiker, unabhängigen politischen Kopf und brillanten Denker. Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher sagte, Schmidt sei mit seiner pragmatischen Tatkraft Deutschlands Sinnbild für entschlossenes Krisenmanagement gewesen: „unter anderem als Hamburger Bürgermeister bei der Jahrhundertflut, als Finanzminister in der Krise des Ölpreisschocks und als Bundeskanzler im Kampf gegen den RAF-Terror“. Schmidts Integrität, Geradlinigkeit und Glaubwürdigkeit hätten ihn zu einem Vorbild für die meisten Deutschen werden lassen.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bayerns Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, bezeichnete den Staatsmann als „großen Denker und einen kritischen Mahner“. „Wir verneigen uns mit Respekt und Hochachtung vor der Lebensleistung von Helmut Schmidt“, erklärte Bedford-Strohm in einem Kondolenzschreiben an die Tochter des Verstorbenen. Über seine Kanzlerschaft und sein politisches Wirken hinaus hätten Schmidts Wort und Stimme großes Gewicht in der Gesellschaft und in Deutschland, heißt es in dem Beileidsschreiben. Mit seinen Äußerungen habe er bis an sein Lebensende vielen Menschen Rat und Orientierung geboten. Die evangelischen Christen in Deutschland verlören mit Schmidt einen Mann, „der seiner Kirche treu und zugleich kritisch verbunden war. Ein Christ, der sich auch durch andere Weltanschauungen und Religionen inspirieren ließ und dennoch an seiner Zugehörigkeit zum Protestantismus festhielt“, hob Bedford-Strohm hervor.
Für die katholische Deutsche Bischofskonferenz würdigte deren Vorsitzender Reinhard Marx den Verstorbenen als einen Politiker mit Weitblick und einen überzeugten Europäer. Schmidt sei dem Glauben und der Religion mit Sympathie und Respekt begegnet. „Wir sind dankbar für einen großen Staatsmann und werden an den Verstorbenen und seine Familienangehörigen im Gebet denken“, heißt es in dem Kondolenzschreiben von Kardinal Marx an den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Schmidt habe stets hohe Erwaltungen in die Kirchen als „moralische und gesellschaftliche Impulsgeber“ gesetzt, fügte der Erzbischof von München und Freising hinzu. Immer wieder habe Schmidt öffentlich betont, dass sein Wirken durch das christliche Menschenbild geprägt sei.
Weg der Versöhnung
Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sagte, mit Schmidt verliere Deutschland eine ihrer größten Politiker-Persönlichkeiten. „Geprägt von den eigenen Kriegserlebnissen, verband Helmut Schmidt herausragende historische Bildung und Geschichtsbewusstsein mit dem Verantwortungsbewusstsein des Staatsmanns.
“ Er sei ein überzeugter Europäer gewesen, „der den Weg der Versöhnung und der Freundschaft konsequent fortschritt.“ Außerdem habe er ein besonderes, von Empathie geprägtes Verhältnis zur jüdischen Gemeinschaft und zum Staate Israel gehabt, für dessen Sicherheit er mit Leidenschaft eingestanden habe, sagte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Text: dpa/EPD
Zitate des Verstorbenen
Sein Redetalent brachte Helmut Schmidt von politischen Gegnern einst den Namen „Schmidt-Schnauze“ ein. Der SPD-Abgeordnete, Minister, Kanzler und Elder Statesman in Zitaten: „Ich war als Schüler relativ faul. Was mich nicht interessiert hat, habe ich nur flüchtig gemacht. (...) Meine Frau und ich waren ja in derselben Klasse; wir hatten eine ähnliche Handschrift und es ist vorgekommen, dass Loki meine Hausaufgaben in mein Heft geschrieben hat, zum Beispiel in Mathematik, da war sie besser.“
(In der Wochenzeitung „Die Zeit“, 2008) „Für Loki und mich war klar: Im Falle einer Entführung lassen wir uns nicht austauschen.“
(Schmidt zur Gefahr, von RAF-Terroristen entführt zu werden - eine entsprechende Anweisung ließ er dem Kanzleramt übermitteln) „In unserer 68 Jahre währenden Ehe hat es ein einziges Mal etwas gegeben, was ein Außenstehender eine Krise nennen könnte. Ich hatte eine Beziehung zu einer anderen Frau.“
(Schmidt 2015 zu seiner Affäre Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre – er musste Loki von einer Trennung abbringen) „Die Heutigen wissen alles viel besser.“
(Schmidt zu Belehrungen wegen der Rolle als Soldat in der NS-Zeit) „Wohl aber ist mir sehr klar bewusst, dass ich - trotz aller redlichen Bemühungen - am Tode Hanns Martin Schleyers mitschuldig bin. Denn theoretisch hätten wir auf das Austauschangebot der RAF eingehen können.“
(Bei der Verleihung des Hanns-Martin-Schleyer-Preises an Schmidt im April 2013 in Stuttgart) „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“
(Im „Spiegel“ über Willy Brandts Visionen im Bundestagswahlkampf, 1980) „Die heutige politische Klasse in Deutschland ist gekennzeichnet durch ein Übermaß an Karrierestreben und Wichtigtuerei und durch ein Übermaß an Geilheit, in Talkshows aufzutreten.“
(In Berlin, 1994) Text: dpa